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Der Verkehr auf innerasiatischen und europäischen Straßen

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Innerasiatische West-Ost-Verbindung

Die für die Kohärenz der mittelalterlichen Welt entscheidende Verbindung zwischen Europa und Asien war auch dort, wo ihr das Land die Basis bot, in ihrer Tragfähigkeit weitgehend von den Seewegen abhängig. Denn die große innerasiatische West-Ost-Verbindung, die man wegen des Handels mit chinesischer Seide in neuerer Zeit die „Seidenstraße(n)“ nennt und die mit ihren Hauptrouten das zentralasiatische Tarimbecken um die Sandwüste Taklamakan im Norden und Süden umgreift, endete im Westen an den Häfen des Schwarzen beziehungsweise Asowschen Meeres und Syriens, wenngleich sie auch mit weiteren Landrouten nach dem Inneren Europas vernetzt war. Wer hier herrschte – in der Antike etwa die Parther, im Mittelalter teilweise die Byzantiner –, der hatte eine ähnliche Schlüsselstellung inne wie seit dem 7. Jahrhundert sonst in der Levante die Muslime. Allerdings konnte das Straßensystem in seiner riesigen Ausdehnung von vielen tausend Kilometern zwischen Mittel- und Gelbem Meer nur ausnahmsweise von einer einzigen Macht kontrolliert werden; die nahezu unvermeidliche herrschaftliche Zersplitterung trug dazu bei, dass die Kommunikation zwischen Ausgangs- und Endpunkt auch hier den weiten Raum nicht ohne Zwischenträger überbrücken konnte – mit allen Konsequenzen für Verluste, Mutationen und Anreicherungen.

Schon in vorgeschichtlicher Zeit muss sich die Magistrale schrittweise aus regionalen Austauschbeziehungen entwickelt haben. Europide, kaukasoide und mongolide Skelettfunde aus menschlichen Siedlungen seit etwa 2000 v. Chr. zeigen deutlich, dass die Verbindung von Westen und Osten gleichermaßen gesucht worden ist. Griechisches Interesse an Innerasien ist für das 7. Jahrhundert belegt, die Handelsbeziehungen zwischen Schwarzem Meer und Ostasien brachen jedoch offenbar bald nach der Zeit Herodots (485–425 v. Chr.) wieder ab. Vornehme Römerinnen interessierten sich seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. verstärkt für die asiatische Seide; der transparente und den Körper umschmeichelnde Stoff wurde so massenhaft nachgefragt, dass angeblich die römische Handelsbilanz, im Urteil der Strengen ganz sicher aber Anstand und Moral aus der Ordnung gerieten. An den Parthern als Zwischenhändlern kamen die Römer nicht vorbei, selbst chinesische Autoren berichteten von regelrechten Blockaden.

Probleme in Chinas Norden

China selbst war zunächst an Geschäften mit dem Westen kaum interessiert, dafür umso mehr durch Probleme in seinem Norden beunruhigt. An der Grenze des Reiches forderten die Nomaden für ihr Überleben Reis und anderes Getreide vom Ackerbau treibenden Volk, andererseits bedrohten sie die Herrschaft der Han (206 v.–220 n. Chr.) durch ihre Bogenschützen, die sich im 1. Jahrtausend v. Chr. auch das Pferd als schnellkräftiges Reittier gefügig gemacht hatten. Zahlreiche Stadtstaaten, am großen Handelsweg vielleicht über 50, seien ihnen untertan, rühmte sich ein nichtsesshafter Stamm, gegen den Kaiser Wu andere Nomaden als Verbündete suchte. Sein Gesandter nach den „Westlanden“ hatte damit zwar keinen Erfolg, gelangte aber bei zwei Expeditionen bis zum Oxus (Amudarja in Westturkestan), erfuhr von der Existenz von Parthern und Römern und lernte, abgesehen vom hellenisierten Iran, den Traubenwein von Turfan an der Nordroute der großen Straße kennen. Am wichtigsten waren ihm die „blauschwitzenden Pferde“ des fruchtbaren Ferghanatals – heute besonders in Usbekistan. Für Seide mochten die Züchter ihre Tiere den Chinesen erst nicht überlassen, dann gaben sie ihnen um 100 v. Chr. Tausende davon; der Kaiser konnte sich der Nomaden erwehren, sein Reich ausdehnen und in den Straßenstationen nach Westen Militärkolonien errichten. Auch nach dem Zusammenbruch der Han-Dynastie blieb China an der Seidenstraße interessiert, auf der die großen Religionen des Westens, besonders der Buddhismus aus Indien, aber auch der persische Zoroastrismus, das Judentum und das Christentum, der Manichäismus und der Islam, eindrangen, während technologische Errungenschaften und naturwissenschaftliche Kenntnisse meist den umgekehrten Weg nahmen.

Tierhandel

Der Tauschhandel Pferde gegen Seide begleitete die chinesische Geschichte bis zum Ausgang des Mittelalters; so verlangten die mongolischen Oiraten noch vom Hof der Ming-Kaiser im 15. Jahrhundert für ein Pferd mittlerer Qualität einen Ballen Seide gehobener, acht Ballen mittlerer und einen Ballen von Steuer-Qualität. Ähnlichen Wert hatten Kamele, besonders aus Baktrien, als genügsame Lasttiere; sie konnten vier- bis fünfhundert Pfund Warengewicht pro Tag über 25 bis 30 Meilen weit transportieren. In den Oasenstädten des Tarimbeckens steuerten sie fest eingerichtete Märkte an, auf denen die Geschäfte keineswegs stumm, sondern durch Vermittlung von Dolmetschern vielerlei Herkunft und Sprachen abgewickelt wurden. Neben und sogar vor der Seide exportierte China Gewürze und Heilpflanzen, Zimt und tibetische Pelze oder auch Sklaven in den Westen, um dafür Metalle, Korallen, Purpur, Perlen, Bernstein, Stoffe aus Baumwolle oder Räucherwaren zu erhalten. Mit den Luxusgütern des Ostens konnten die Produkte des Okzidents allerdings nicht mithalten, so dass schon die Römer Defizite machten. Auch wenn im Mittelalter der europäische Westen zum Beispiel noch Leinwand aus Deutschland oder Flandern und Kristallwaren aus Murano beisteuerte, flossen Gold und Silber weiter massiv nach Asien ab.

Import von Seide

Das mittelalterliche Reich von Konstantinopel wurde durch die miteinander verbündeten iranischen Sasaniden und die Hephthaliten, die die Gebiete zwischen dem Kaukasus und dem Tarimbecken kontrollierten, am Import von Seide gehindert. Im 6. Jahrhundert sollen zwar orthodoxe Mönche einige Seidenkokons nach Byzanz eingeschmuggelt haben, die Qualität der chinesischen Seide blieb aber unübertroffen. In den Grenzstädten Nisibis und Dara in Mesopotamien kauften die Oströmer die Seide von persischen Zwischenhändlern. Kaiser Justinian öffnete, um sich den Rivalen zu entziehen, eine nördliche Route vom Schwarzen und Kaspischen Meer nach China; 576 verbündete sich sein Nachfolger zur Förderung des Seidenhandels mit dem neuen Khaganat der Türken in Transoxanien, das bald darauf bis zur Krim expandierte sowie die Hephthaliten (Weißen Hunnen) und weite Teile der Seidenstraßen unterwarf. Nach dem Sieg des Kaisers Herakleios über die Perser von 628 gelangten mehrere Gesandtschaften aus Konstantinopel bis zum Hof des Tang-Kaisers; zur selben Zeit bezeugt eine Inschrift die Mission nestorianischer Christen aus Syrien in China, und byzantinische Goldsolidi, die sich entlang der Seidenstraßen fanden, zeigen einen direkten Handelsverkehr bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts an. Ein Wandel trat ein, als das Reich der Westtürken, zeitweise schon zuvor von den Chinesen unterworfen, von den aggressiven Arabern bedrängt und zwischen 745 und 766 durch die sprachverwandten Oghusen, Uiguren und Karluken ausgelöscht wurde. Der fast gleichzeitige Sieg der Muslime über die Chinesen am Fluss Talas 751 öffnete dem Islam das westliche Innerasien; unter Abbasiden und Fatimiden etablierten sich die Araber auch hier als Mittler zwischen Europa und dem Fernen Osten. Ihre Handelstätigkeit über die Karawanenstraßen wurde seit etwa 900 im Norden (Mongolei) geschützt durch das Reich der Uiguren, die überwiegend den Manichäismus angenommen hatten. Über Samarkand vermittelten Muslime dem Westen die chinesische Technik der Papierherstellung und importierten im Übrigen neben Seide auch Tinte und Tee; chinesisches Porzellan, das dem Reisenden Ibn Battuta zufolge bis nach Marokko gelangte und von seinen Glaubensgenossen nachgeahmt wurde, erreichte das westliche Europa anscheinend erst im frühen 15. Jahrhundert. Selbst der Einbruch der Mongolen konnte den islamischen Handel mit dem Osten nicht entscheidend beeinträchtigen, da ihm die Seewege über Rotes Meer, Persischen Golf und Indischen Ozean weiter offenstanden.

Neue Dynamik der westeuropäischen Kaufleute

Die innerasiatischen Seidenstraßen wurden nach der mongolischen Reichsbildung im 13. Jahrhundert indessen so stark beansprucht wie wohl nie zuvor; entscheidend war hierfür die neue Dynamik der westeuropäischen Kaufleute, denen sich bereits mit der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzzügler von 1204 der Zugang zum Schwarzen Meer aufgetan hatte. Schon zwei Jahre später, als gerade Dschingis Khan sein Reich gründete, fassten Venezianer in Soldaia (Sudak) auf der Halbinsel Krim Fuß, sie setzten sich auch in Tana (Asow) an der Mündung des Don ins Asowsche Meer fest, während sich ihre stärksten Konkurrenten aus Genua in Kaffa (Feodossija) auf der Krim niederließen (1266). Über Sarai an der Wolga und entlang der Ostküste des Kaspischen Meeres erreichten die lateinischen Geschäftsleute die nördliche Seidenstraße über Urgentsch, Buchara und Samarkand beziehungsweise die südliche Route von Trapezunt (Trabzon) über das persische Täbris und weiter nach Indien oder China, wenn man sich hier nicht über das Zweistromland nach Hormus am Golf wandte. Die Abendländer schätzten die Sicherheit, die ihnen das von Dschingis Khan (gest. 1227) errichtete und von seinen Neue Dynamik der westeuropäischen Kaufleute Nachkommen erweiterte Imperium bot; ihm sind im Westen unter anderem die Reiche von Choresmien in Zentralpersien und der Rus an den Flüssen Osteuropas sowie der abbasidische Kalifat von Bagdad, im Osten aber zwischen 1215 und 1279 ganz China zum Opfer gefallen. Mit der einheitlichen politischen Herrschaft entfielen für die Händler wiederholte Zollabgaben, auch wenn das mongolische Reich durch Rivalitäten und neue politische Aufteilungen unter den Nachkommen seines Gründers kein geschlossenes Ganzes blieb. Die Mongolen förderten den Handel und die Reisenden überhaupt, zumal sie zu religiöser Duldung bereit waren; an den gut geschützten Fernwegen sollen alle 25 bis 30 Meilen Stationen mit frischen Pferden, Unterkünften und Verpflegung eingerichtet worden sein. Der berühmteste Fremde aus dem Westen, der Venezianer Marco Polo (Reise nach China 1271–1295), nennt die Zahl von 200.000 bereitgestellten Reittieren und mehr als 10.000 Häusern für die Durchreisenden. Wenn er, sein Vater und sein Onkel auch als Pioniere des lateinischen Direkthandels mit China gelten, so nahmen neben ihnen doch Hunderte, wenn nicht Tausende Kaufleute aus Venedig und Genua, gelegentlich auch aus Florenz, Siena, Pisa oder Piacenza, das Abenteuer auf sich, teilweise, wie Marco Polo selbst, indem sie eine der Fahrten zu Schiff wählten. Die Benutzung der Seidenstraße war zeitraubend; nach dem Florentiner Bankier Pegolotti brauchte man zwischen 259 und 284 Tage, um von der Krim nach Peking zu gelangen; dafür lockten Gewinnspannen von rund einhundert Prozent. Als Pegolotti seine Erfahrungen niederschrieb (1310/1340), empfahl er allerdings, die meisten der mitgeführten Waren schon in Urgentsch nahe dem Aralsee zu verkaufen und nur Hochwertiges, vor allem Silber, nach China mitzunehmen. In Cathay, dem Gebiet zwischen den Unterläufen des Huangho (Gelber Fluss) und des Jangtse, boten venezianische und genuesische Kaufleute zwischen 1290 und 1340 zu Dutzenden Juwelen, Perlen und Luxustextilien gegen Seide und Gewürze an. Den Spuren der Händler aus dem Westen folgten die Kleriker. Schon Papst Innozenz IV. hatte den Einfall der Mongolen nach Mittel- und Südosteuropa (Ungarn, Polen/Schlesien, Mähren, Dalmatien) 1245 zum Anlass genommen, Mönche als Kundschafter, Gesandte und Missionare nach Asien zu schicken; später waren es vor allem die Bettelbrüder des Franziskanerordens, die sich als Glaubensboten und sogar Bischöfe zu den Mongolen und nach China begaben. Die „europäische Epoche“ der Seidenstraßen endete um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als die Konflikte der Khanate unlösbar wurden, die Pest von Asien nach Westen vordrang, die meisten Mongolen zum Islam konvertiert waren und die Dynastie der Yuan in China durch die einheimischen Ming abgelöst wurde, die Fremden eher ablehnend gegenüberstanden. Der Fernhandel lag nun wieder in den Händen muslimischer Mittelsmänner. Die Seidenstraßen mit ihren blühenden Oasenstädten verloren ihre Bedeutung erst, als die Portugiesen um 1500 eine neue Ozeanroute nach dem Osten erschlossen hatten.

Landwege ins Innere Europas

Im Mittelalter führten von den transasiatischen Großstraßen verschiedene Landverbindungen nach dem Innern Europas weiter, auf denen der freie Handel, wie bei den Seidenstraßen, vielfach durch militärische Eroberungen gefährdet war. Schon Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. war Bernstein vom Baltikum aus in den Süden exportiert worden. Über die Wolga und das Kaspische Meer oder östlich von diesem zu Lande gelangte der magische Edelstein nach Transoxanien, Choresmien und weiter bis nach Indien. Andere Verbindungen führten über den Don beziehungsweise den Dnjepr ins Asowsche und Schwarze Meer und von dort nach Konstantinopel oder ins Kalifat. Die Bernsteinstraße wurde unterbrochen, als hunnische Awaren, Bulgaren und Slawen auf den Balkan vordrangen und bald darauf auf Kosten von Byzanz eigene Reiche schufen. Sie blockierten zugleich die großen Korridore zwischen der Kaiserstadt am Bosporus und dem westlichen Europa: zum einen auf dem Balkan selbst die Heerstraße von Adrianopel (Edirne) über Philippopolis (Plovdiv), Serdica (Sofia), Naissus (Niš), Singidunum (Belgrad) und Sirmium (Sremska Mitrovica) nach Poetovio (Ptuj), sowie die alte Via Egnatia, die vom „Goldenen Tor“ in Konstantinopel über Thessaloniki nach Dyrrhachion (Durrës) beziehungsweise Apollonia an der Adria führte, zum anderen nördlich von beiden das mittlere und untere Donaubecken, eine der wichtigsten Arterien für den Transport von Menschen und Gütern im Römischen Reich. Jetzt war es Soldaten und Händlern nicht mehr möglich, von Köln über den Rhein und die Donau bis zum Schwarzen Meer zu gelangen. Da zugleich die von den Awaren aus Pannonien vertriebenen Langobarden nach Oberitalien vordrangen (568), wurde auch die Poebene als Durchgangszone für Kaufleute, die hier über die Alpen dem Rhein zustrebten, gestört. Der Handel zwischen der katholischen und orthodoxen Christenheit Europas sah sich im Süden ganz auf den Weg über das Mittelmeer verwiesen. Im Norden hingegen musste der Bernstein vorerst über die Ost- und Nordsee vertrieben werden.

Güteraustausch Osteuropas

Als Karl der Große das Reich der Awaren zerstört hatte, konnte die Kommunikation zwischen Konstantinopel und dem Westen über den Donaukorridor und die Via Egnatia wiederhergestellt werden, aber schon am Ende des 9. Jahrhunderts traten neue Auseinandersetzungen zwischen Byzantinern und Bulgaren sowie der Einfall der Ungarn dazwischen. Auch im Osten war die Entfaltung des Kaiserreichs eingeschränkt. Zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer hatten nämlich vorwiegend türkische Nomaden das Reich der Chasaren gegründet, das wichtige Handelswege zwischen Osteuropa, Konstantinopel und dem Kalifat kontrollierte. Unter ihrer jüdischen Führung hatten die Chasaren in Itil am Wolgadelta ihre Hauptstadt erbaut, in der sich Kaufleute verschiedenster Herkunft trafen, darunter Muslime aus Bagdad oder die jüdischen Rhadaniten aus Spanien oder Frankreich auf ihrem Weg in den Fernen Osten. Aus den Pontischen Steppen hatten die Chasaren wohl einen Teil der Bulgaren nach Norden abgedrängt, die ihrerseits an der Wolga einen muslimischen Staat ausgebildet hatten; das politische Zentrum Bolgar am Zusammenfluss von Wolga und Kama (heute nahe Kasan, Hauptstadt der Republik Tatarstan) war ebenfalls ein bedeutender Handelsplatz. Hierher kamen unter anderem die Waräger, die den Slawen zwischen Baltikum und Waldzone Schutzgelder oder Beute abpressten und ihre Waren – Sklaven, Pelze, Honig und Wachs – gegen das begehrte Silber aus der muslimischen Welt eintauschten. Umgekehrt gelangten durch die Wikinger aus Schweden auch Schmuck, chinesische Seide und Münzen aus Byzanz und dem Orient nach Skandinavien. In der Mitte des 9. Jahrhunderts hatten die Slawen eben diese Germanen aus dem Norden zur Herrschaft herbeigerufen; Rurik und seine Brüder errichteten in den bestehenden städtischen Siedlungen an den großen nordsüdlichen Wasserstraßen ihre Fürstentümer. Das Reich der Rus ist geradezu um städtische Handelsplätze an Flussläufen errichtet worden, von denen Nowgorod am Wolchow beziehungsweise Ilmensee im Norden und Kiew am oberen Dnjepr im Süden nur die bedeutendsten waren. Wenn die Rurikiden auch den Handel förderten, so begingen sie doch einen schweren Fehler, als sie im Zuge ihrer Herrschaftsausdehnung 965 das Reich der Chasaren zerstörten. Damit erlaubten sie neuen nomadischen Völkern, zunächst den Petschenegen und dann den Kumanen, über die Wolga und den Don nach Westen vorzustoßen, die Aufsicht über den Handel in den Pontischen Steppen zu übernehmen und die Rus selbst zu bedrohen. Außerdem verlagerte sich der Güteraustausch Osteuropas mit dem Kalifat ganz auf die Route von Bolgar über die Kasachensteppe nach Transoxanien. Erst von den Mongolen sind die drei Mächte im Osten Europas – Wolgabulgaren, Kumanen und Kiewer Rus – zerstört worden (1236/1240).

„Erschließung“ Europas

Zwischen Wolga und Atlantik, Mittel- und Nordmeer ist Europa während des Mittelalters erst eigentlich entdeckt und erschlossen worden. Die Unterschiede zur Antike lassen sich am Erfahrungshorizont der Autoren verdeutlichen. Als Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. die bewohnten Teile der Erde beschreiben wollte, verzweifelte er an seinen geringen Kenntnissen über Europa. Aus der Perspektive eines Griechen gesehen, blieb ihm vor allem der europäische Westen unbestimmt. „Von Europa weiß kein Mensch, ob es vom Meer umflossen ist“, konstatierte der Geograph aus Kleinasien, weder habe man erforscht, ob es im Osten noch ob es im Norden ans Wasser grenze. So unklar ihm also die besagten Umrisse blieben, Herodot hatte doch immerhin eine Vorstellung von europäischen Landmassen, die von der Mittelmeerküste weit hinaufreichten. Seine »Historien« lassen sich dem Bericht eines anderen Griechen gegenüberstellen: Laskaris Kananos wollte um 1400 n. Chr. gerade die nordischen Länder bereisen und offenbar Handel treiben. Er behauptete von sich, er sei „durch viele Länder Europas herumgekommen“ und habe dessen „ganze Küste vom äußersten nördlichen Ozean“ befahren. Im Einzelnen nennt und beschreibt Laskaris Preußen und Norwegen, Schweden, Livland, das Slawenland um Lübeck, Dänemark, sogar Island und England, ferner, seiner Route folgend, auch Flandern und Portugal. In den zwei Jahrtausenden zwischen Herodot und Laskaris Kananos ist Europa also weithin bekannt geworden, wenn auch schon antike Schriftsteller, man denke nur an Strabon, über Herodots Wissen erheblich hinausgelangt waren.

Christianisierung

Entscheidende Voraussetzungen für die innereuropäische Kommunikation waren neben Völkerwanderungen, Landnahmen und Kolonisationen vor allem die Christianisierung, die bis Ende des 14. Jahrhunderts fast auf dem gesamten Kontinent erfolgreich war, mit der nahezu lückenlosen Raumerfassung durch Bistümer und Pfarreien sowie die damit einhergehende Verbreitung des monarchischen Prinzips königlicher Herrschaft nach dem Vorbild des Kaisertums Konstantins des Großen. Differenzen zwischen der west- und mitteleuropäischen Staatenwelt, die meist direkt oder indirekt dem Muster des karolingischen Großreiches folgten, und dem byzantinischen Commonwealth, in dem die neuen Reiche vom Kaiser oder seinem Patriarchen nie ganz freigegeben wurden, hinderten nicht am Austausch und Verkehr, und dies gilt ebenso für die Wechselbeziehungen zwischen den Christen und Muslimen, die im Früh- und Hochmittelalter in Spanien und Unteritalien, seit dem 14. Jahrhundert auf dem Balkan politische Herrschaften errichtet hatten.

Heidnische Wikinger

Neben der religiösen und politischen Netzwerkbildung Europas, die die Grenzen des alten Imperium Romanum von Süden und Osten nach Norden und Westen transzendierte, darf freilich der Beitrag der heidnischen Wikinger zur Integration des Kontinents nicht unterschätzt werden. Sosehr sie die Christenheit erschreckten und auch schädigten, haben die nordischen Bauernkrieger bei ihren weiträumigen Beute- und Eroberungszügen auf „nassen Straßen“ doch die europäischen Grenzen markiert und durch ihre Hinterlassenschaft eine Orientierung zur Mitte hin gestiftet. Wie dies im Osten für die Waräger aus Schweden galt, so im Westen für die Wikinger aus Norwegen, die seit etwa 870 die abgelegenen Inseln Grönland und Island besiedelten und Hafenstädte (Burgen) in Irland gründeten. Auch nach ihrer Konversion zum Christentum blieb es bei einer lang andauernden Ausrichtung der nordgermanischen Völker nach dem Westen, vor allem England und Frankreich, die den Einfluss des Römisch-Deutschen Reiches, besonders auf Dänemark, überlagerte oder ersetzte. Nach der Wikingerzeit entfalteten Dänemark und Schweden ihr Interesse an der Beherrschung des Ostseeraumes, vor allem an der slawischen und baltischen Südküste und durch die schrittweise erfolgende Integration Finnlands.

Innereuropäische Handelswege

Verkehrstechnisch konnte das mittelalterliche Europa westlich des Rheins und südlich der Donau an das Fernstraßensystem der Römer anknüpfen, das im 2. Jahrhundert n. Chr. etwa 80.000 Kilometer umfasst hatte. Die großen von Rom ausgehenden Straßen endeten ihren Zwecken gemäß an Häfen und militärischen Standorten in den Grenzzonen. Weithin unklar ist noch die praktische Brauchbarkeit der alten Verkehrswege, zumal im Frankenreich Pippin als erster König durch Gesetzgebung für ihre Erhaltung sorgte. Sein Sohn Karl der Große bewegte seine Truppen auf Straßen der römischen Legionen. Praktische Bedürfnisse bestimmten die Pflege der überkommenen Magistralen. Das gilt etwa für die Via Flaminia, die über die Apenninen Rom mit Ravenna verband, oder die diversen Passstraßen über die Alpen. Neben Pilgern und Kaufleuten verkehrten seit dem Bündnis der Karolinger mit dem heiligen Petrus Gesandte beider Seiten, aber auch die Streitmacht der fränkischen und deutschen Könige. Klöster, Hospize und Gasthäuser, die nach der Frankenzeit vor allem während des Hochmittelalters gestiftet wurden, erleichterten die beschwerliche Fahrt. Bis ins 14. oder 16. Jahrhundert waren fast alle Alpenpässe nur mit Saumtieren zu begehen, so dass der mit Wagen befahrbare Brenner in den Ostalpen schon seit dem 9. Jahrhundert zur wichtigsten Heerstraße geworden war. Eine große Nord-Süd-Verbindung zwischen Rom über die Alpen weiter in die Bretagne begingen die Besucher der Champagnemessen zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert. Im Mittelalter wurden auch neue Fernstraßen errichtet. Die 876 genannte Via Francigena, die von Rom über Siena und Lucca nach Mailand führte, hatten offenbar die Langobarden errichtet, um die von den Byzantinern kontrollierten Via Aurelia und Via Cassia zu meiden; die „Frankenstraße“ bildete noch Mitte des 12. Jahrhunderts einen Abschnitt im »Leiðarvísir«, einem isländischen Pilgeritinerar, das den Weg bis nach Rom und Akkon im Heiligen Land beschrieb. Nördlich der Alpen mussten neue Verbindungen zu den christlichen Missions- und Kolonisationsgebieten im Osten geschaffen werden. In fränkischer Zeit entstand in Westfalen der Hellweg zwischen Duisburg am Rhein und Höxter an der Weser, von Karl dem Großen durch Burgen und Königshöfe in Essen, Dortmund, Soest und Paderborn gesichert; noch für die deutschen Könige stellte er den wichtigen Reiseweg zwischen Aachen beziehungsweise Köln und Goslar oder Magdeburg sicher. Die Verbindung nach Polen oder zwischen Oder- und Weichselgebiet und den Donauländern wurde in der Mährischen Pforte zwischen Sudeten und Karpaten gesucht. Für Sklaven aus den (heidnischen) Slawenländern waren Mainz am Rhein und Verdun an der Maas wichtige Umschlagplätze; sie wurden über das christliche Spanien ins muslimische al-Andalus verkauft. Mindestens seit dem späten 10. Jahrhundert verknüpfte die „Hohe Straße“ das Rhein-Main-Gebiet mit dem schlesisch-polnischen Raum und führte von Frankfurt am Main über Erfurt, Naumburg, Leipzig, Bautzen und Görlitz nach Breslau und weiter über Krakau und Lemberg nach Kiew. Die gestiegene Nachfrage nach Fleisch hat im späten Mittelalter den Rinderhandel von Ungarn, der Walachei und Moldau, von Galizien, Ostpolen und der Ukraine her gefördert und den Aufstieg Leipzigs und Nürnbergs vorangebracht. Den Zugang nach Böhmen hat erst Kaiser Karl IV. (1346–1378) durch den Bau der „Goldenen Straße“ durch den Böhmerwald über Pilsen nach Nürnberg entscheidend erleichtert.

Beschaffenheit der Straßen

Der zunehmende Handel und Verkehr im hohen Mittelalter hatte von Europas Herrschaften nachdrücklich den Bau und die Pflege der Landstraßen verlangt. Wie allerdings die Fernstraßen der Karolingerzeit beschaffen waren, ob sie also mit gestampfter Erde, durch Holz oder Pflastersteine befestigt waren, ist noch weithin unbekannt. In Dänemark benutzte man schon damals Holzbohlen, wie es auch später im Norddeutschen Tiefland, wo es an Natursteinen mangelte, üblich war. In Frankreich ließ König Philipp II. Augustus 1185 die Straßen von Paris pflastern, weil ihm der Gestank des Gassenkots in die Nase fuhr, und das Fernstraßensystem mit seiner römisch geprägten Ausrichtung auf Lyon wurde allmählich auf die werdende Hauptstadt des Reiches umgestellt. Besonders eifrig im Straßenbau waren die wohlhabenden Städte Oberitaliens im 13. Jahrhundert (Florenz, Bologna). Das Wort von der „Straßenrevolution“ gilt in erster Linie für diese weit entwickelte Städtelandschaft.

Wasserwege in Europa

Der Warentransport auf dem Wasser war im Mittelalter kostengünstiger als zu Lande, zumal die Seeschiffe Massengüter wie Wolle, Getreide und Metalle in großem Umfang aufnehmen konnten. Allerdings wurde der Schiffsverkehr durch natürliche Einschränkungen, die Unwägbarkeiten des Wetters etwa oder den Wechsel der Jahreszeiten, stärker behindert als der Reisende zu Lande. Europas Regionen boten für die Binnenschifffahrt zudem ganz unterschiedliche Voraussetzungen. So mangelt es in Griechenland und Italien an größeren Flüssen oder diese drohten im Sommer auszutrocknen. Nur der Tiber mit dem Hafen von Ostia hatte im Getreide-, Öl- und Weinhandel einiges Gewicht. Andererseits wunderte sich schon der Geograph Strabon in augusteischer Zeit darüber, wie dicht Gallien von Flüssen durchströmt war; es sei möglich, auf ihnen mit Ausnahme kleiner Landbrücken Waren vom Mittelmeer bis zum Ozean zu bringen. Tatsächlich kann man von der Rhône- zur Rheinmündung 2000 Kilometer auf dem Wasser reisen und muss nur dreißig Kilometer der gesamten Strecke auf trockener Erde ziehen. Die Bedeutung der Binnenschifffahrt nahm zugunsten der Landstraßen erst ab, als der „Energiehunger“ des hohen und späten Mittelalters immer mehr Mühlenbauten an den Flussläufen verlangte. Neben den Warenumschlagplätzen, etwa in der Champagne (Lagny, Provins, Troyes, Bar-sur-Aube), Frankfurt am Main oder Leipzig, oder den Jahrmärkten, wie in Saint-Denis (schon 634/635) oder der (heute) südschwedischen Landschaft Schonen, waren es deshalb vor allem die bedeutenden See- und Flusshäfen, an denen sich Menschen aus vielen Ländern und Kulturen trafen: Genannt seien nur das friesische Dorestad an Rhein und Lek, das Emporium Haithabu an der Ostsee, Bergen in Norwegen, Jumne an der Odermündung und die Hansestadt Lübeck, in Schweden Birka, im Ordensland Danzig, am Finnischen Meerbusen Reval, in Irland Limerick und Dublin, in England Bristol am Avon, Southampton am Kanal, das seit dem 12. Jahrhundert bedeutende London, in Flandern an der Nordseeküste Brügge, das im späten Mittelalter durch Antwerpen an der Schelde beiseitegedrängt wurde, an der Maas weit im Landesinneren Lüttich, an der Seine Rouen und Paris, dessen Aufstieg als Wirtschaftsmetropole, Geldmarkt und Messestadt auf Kosten der Champagne von seiner Hauptstadtfunktion bestimmt war, das durch Natur geschützte La Rochelle und an der Garonne die Stadt Bordeaux; Lissabon am Tejo, Sevilla am Guadalquivir; nicht übergangen werden dürfen Valencia, Saragossa am Ebro und Barcelona, die mediterranen Béziers, Narbonne und Marseille, ferner Arles an der unteren Rhône und Lyon mit seiner Via mercatoria über Rhône und Saône; in Italien neben Genua, Pisa, Rom, Neapel und Venedig besonders Bari an der Adria, das mit Ragusa (Dubrovnik) an der Gegenküste korrespondierte, für Byzanz noch Thessaloniki und natürlich Konstantinopel selbst.

Aktivierung des Atlantikhandels

Ebenso wie die Belebung der Seidenstraßen war auch die Aktivierung des Atlantikhandels im hohen Mittelalter Anzeichen für die neue wirtschaftliche Kraft und den allgemeinen Aufbruch des christlichen „Abendlandes“. Seit der Vermählung Heinrich Plantagenêts mit Eleonore von Aquitanien und der Bildung des Angevinischen Reiches (1152/1154) nahm die Schifffahrt zwischen England und der Gascogne stark zu; genuesische Galeeren fuhren seit 1277 regelmäßig nach England und Frankreich, Pisaner Schiffe brachten Ware aus Florenz nach Marseille und weiter nach Flandern, Segler aus Venedig fuhren seit dem frühen 14. Jahrhundert nach Lissabon und von da weiter bis Sandwich, Southampton oder London beziehungsweise nach Brügge, Sluis, Middelburg und Antwerpen, aber auch von baskischen und kantabrischen Seestädten wie San Sebastián wagte man sich nicht nur für den Fischfang, sondern auch für den Transport der kastilischen Merinowolle nach Flandern über das Wasser. Der Atlantikhandel war auch durch das hier gewonnene Seesalz wichtig. In den Salzgärten, besonders in Bourgneuf südlich der Loiremündung, waren die Produktionskosten niedrig, da die Verdunstung der Sole ohne Brennmaterial im Freien erfolgen konnte. Das auskristallisierte Mineral wurde in großen Mengen gleich vor Ort verschifft. Die erheblichen Gewinnspannen lockten seit 1370 die Kaufleute der norddeutschen Hanse zur „Baienfahrt“ an, wenn sie ihre Schiffe nicht noch weiter nach Setúbal in Portugal oder nach Andalusien lenkten. Sie brachten die Fracht in die Ostsee, wo sie besonders zum Einsalzen der reichen Fischfänge verwendet wurde.

wbg Weltgeschichte Bd. III

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