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Das „Gold“ von Byzanz in den Münzstätten der Araber und Lateiner

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Unter den christlichen Kulturen des mittelalterlichen Europa ordnete sich Byzanz ganz der antiken Tradition zu, doch war das Netz der berühmten Schulen im römischen Ostreich schon vor den Arabern zerstört. Ephesos, Pergamon und Smyrna hatten bereits im 5. Jahrhundert ihre Bedeutung eingebüßt oder waren verschwunden, Antiochia hatte unter Erdbeben (526/528) und der Plünderung durch die Perser (540) schwer gelitten, und gegen die neuplatonische Schule von Athen war Kaiser Justinian I. eingeschritten (529), bevor der Einbruch der Slawen von 579/580 wohl das definitive Ende bedeutete. Das ägyptische Alexandria ging vermutlich beim Einfall der Muslime 641 unter. Zur gleichen Zeit waren die Kenntnisse des Lateinischen, der Sprache von Armee, Recht und Zentralverwaltung, fast ganz geschwunden. Hatte noch Kaiser Theodosius II. (†450) in Konstantinopel öffentliche Professuren für Latein eingerichtet, so brachte die Zeit seines Nachfolgers Herakleios (†641) einen Gräzisierungsschub. Die Verständigung zwischen katholischen und orthodoxen Christen war sprachlich schwer beeinträchtigt, wie schon Papst Gregor I. konstatierte (597).

Zwei technische Neuerungen

Zur Tradition der antiken griechischen Wissenschaft und Philosophie trugen in den beiden folgenden Jahrhunderten jedoch zwei technische Neuerungen entscheidend bei: zum einen die Übernahme des Papiers als billigen und leicht produzierbaren Beschreibstoffs von den Arabern, zum anderen die Erfindung einer neuen Kursive, die ein schnelleres und raumsparendes Schreiben ermöglichte. Spätestens am Ende des 9. Jahrhunderts konnte eine „Massenproduktion“ von Handschriften einsetzen. Unter kaiserlicher Anleitung wurden die alten Manuskripte gesammelt und in der modernen Schrift kopiert; offenbar stand dabei die Transliteration von (natur-)wissenschaftlichen Werken am Beginn. Aber auch die Handschriftenüberlieferung des Aristoteles (rund 1000 erhaltene Codices bis ins 16. Jh.) und des Platon (etwa 260 Handschriften aus demselben Zeitraum) setzte während des 9. Jahrhundert ein. Die ältesten vollständigen Abschriften von »Ilias« und »Odyssee« stammen aus dem 10. Jahrhundert, und ähnlich verhält es sich mit den antiken Tragödien.

Austausch gelehrter Schriften

Bei ihren Eroberungen fielen den Muslimen zahlreiche griechische Codices in die Hände; die Texte zur Alchemie gingen dabei beispielsweise den Byzantinern so vollständig verloren, dass sie nur noch in syrischen und arabischen Übersetzungen erhalten blieben. Christliche Klöster und sonstige Bildungsstätten unter der Herrschaft des Kalifats erleichterten den andersgläubigen Wissenschaftlern den Zugang zur griechischen Tradition. Gleichzeitig gaben byzantinische Gesandtschaften beteiligten Gelehrten wie Johannes (VII.) Grammatikos (829/830) und Photios (838/845/855) Gelegenheit zum Austausch philosophischer und gelehrter Schriften, besonders was die Mathematik, Astronomie, Astrologie und Musik betrifft, aber auch von schöner Literatur. Der Christ Theophilos von Edessa, ein Grieche aus Syrien, trat sogar in den Dienst des Kalifen al-Mahdi (775–785), um ihn auf der Grundlage der Astrologie militärisch zu beraten. Seine Traktate, die zum Teil nur in arabischer Fassung überliefert sind, zeigen Einflüsse indischer Quellen und auch persischen Gedankengutes, das auf Zoroaster zurückgeführt wurde. Theophilos war, wie üblich bei byzantinischen Gelehrten, aber nicht nur auf einem Gebiet tätig, sondern übersetzte auch Homers Werke ins Syrische. Al-Mahdis Nachfolger al-Ma’mun versuchte später, Leon „den Mathematiker“ aus Konstantinopel abzuwerben. Leon blieb und wurde durch den Kaiser großzügig belohnt. Wie er vermieden es die meisten byzantinischen Gelehrten, in fremde Länder zu gehen; vor allem vom Westen erwarteten sie keine Belehrung.

Fremde Wissbegierige am Bosporus

Im 11. Jahrhundert zog hingegen noch einmal eine Blüte der Studien fremde Wissbegierige an den Bosporus. Der Universalgelehrte Michael Psellos (1017/1018–ca. 1078) konnte sich rühmen, seinen Schülern die Tür zu allen Wissenschaften geöffnet zu haben; seine Neugier erstreckte sich nicht nur auf den klassischen Kanon, sondern schloss nach eigener Aussage das Interesse für das Wissen der Chaldäer, Ägypter und Juden ein. Unter seinen Studenten seien auch Araber, Perser, Ägypter, Äthiopier und Kelten (aus dem Westen) gewesen. Offenbar konkurrierten seinerzeit in der Reichshauptstadt mehrere Schulen miteinander, die vom kaiserlichen Fiskus unterhalten wurden. Später war aber auch die Privatschule des Eustathios in Thessaloniki so berühmt, dass sie Schüler aus Konstantinopel anziehen konnte. Kaiser Konstantin IX. versuchte, Hochschulen zu errichten, die neben dem Recht vielleicht auch der Philosophie gewidmet sein sollten. Konflikte um den „Freidenker“ Johannes Xiphilinos und den Neuplatoniker Johannes Italos leiteten jedoch eine neue Periode der geistigen Unfreiheit und Enge ein, für die besonders Kaiser Alexios I. Komnenos (1081–1118) verantwortlich gemacht wird.

Burgundio von Pisa – Hugo Etherianus

Das „Gold“ von Byzanz begann nach dem Westen abzufließen; denn im 12. Jahrhundert kamen zahlreiche lateinische Gelehrte zu den Rhomaioi, um deren reiche Bibliotheken zu durchforschen, und manche von ihnen blieben Jahrzehnte oder gar auf Dauer. Als Kenner der griechischen Sprache erlangte Moses aus Bergamo so hohes Ansehen, dass ihn der kaiserliche Hof um 1125 bereits als Sekretär einstellte. Zusammen mit dem etwas jüngeren Burgundio von Pisa nahm er 1136 als Übersetzer an einer theologischen Disputation teil, die Bischof Anselm von Havelberg als Gesandter Kaiser Lothars III. mit Erzbischof Niketas von Nikomedia in Konstantinopel führte. Burgundio machte in seiner Heimatstadt Karriere als Jurist im Laienstande und war zwischen 1168 und 1171 erneut am Goldenen Horn, um über Pisas Handelsrechte mit den Griechen zu verhandeln. Seinen Aufenthalt nutzte er offenkundig zur Lektüre von Kirchenvätern (Johannes Chrysostomos, Johannes Damaskenos), antiken Medizinern (Galen) und naturwissenschaftlichen Schriften. Seine Marginalien finden sich in griechischen Handschriften, seine Übersetzungen ins Lateinische schließen die griechischen Passagen der »Digesten« Justinians sowie Teile der »Geoponika«, einer Sammelschrift zum Agrarwesen wohl aus der Mitte des 10. Jahrhunderts, ein. 1173 wird eine „griechische Schule“ in Konstantinopel erwähnt, offenbar für Lateiner, die die Sprache des Gastlandes erlernen wollten. Schon vorher hatten sich hier die Brüder Leo Tuscus und Hugo Etherianus angesiedelt, die ebenfalls aus Pisa stammten. Hugo hatte in den 40er Jahren in Frankreich studiert und war 1161 nach Konstantinopel gekommen, um sich als Laie griechischer Philosophie und Theologie zu widmen. Bald schon war er in der Lage, mit Zeugnissen der aristotelischen Philosophie und der griechischen Kirchenväter den Standpunkt der lateinischen Theologen im Streit über den Heiligen Geist mit der Ostkirche zu verteidigen. Seinen Traktat »Über den heiligen und unsterblichen Gott« verfasste er mit Hilfe seines Bruders sowohl auf Griechisch als auch auf Lateinisch und sandte ihn an Papst Alexander III. (1177). Leo wurde „Übersetzer der kaiserlichen Briefe“, also ein hoher Beamter am Hofe. Die europaweite transkulturelle Vernetzung der Intellektuellen zeigt sich darin, dass er für einen Gesandten aus Aragón liturgische Texte des Johannes Chrysostomos ins Lateinische übertrug; ihm lag daran, das Verständnis der östlichen Riten im Bereich der römischen Kirche zu verbreiten. Seinem Bruder Hugo sandte er seine Übertragung vom »Traumbuch« des Achmet ben Sirin. In diesem Werk, das angeblich für den Kalifen „von Babylon“, al-Ma’mun, bestimmt war, tatsächlich aber von einem byzantinischen Anonymus unbekannter Zeitstellung stammte, waren Traumdeutungen arabischer, spätantiker und byzantinischer Provenienz versammelt. Zum Kreis um Hugo Etherianus können auch Jakob von Venedig und Hugo, der Schulmeister der Abtei Honau im Elsass, gezählt werden. Jakob hatte in Konstantinopel die erste lateinische Übersetzung der »Physik« des Aristoteles vollendet, zu deren Lesern der Pisaner Hugo gehörte. Das Buch gelangte über die Donau oder über Sizilien in den Westen und wurde eine Generation darauf eine Schrift von umstürzender Wirkung in den Hohen Schulen von Paris. Hugo von Honau hatte selbst bei Gilbert von Poitiers studiert und war auf diesem Wege mit den neuen Versuchen vertraut worden, beim theologischen Reden von Gott die Kategorien des Aristoteles zu nutzen. Diese methodischen Ansätze und Lehren waren im Westen nicht unumstritten, so dass Hugo, der auch Kaplan am Hof Friedrichs I. war, zwei Gesandtschaften im Auftrag des Stauferkaisers dazu nutzen wollte, in Konstantinopel griechische Überlieferungen zu konsultieren (1171, 1179). Im Vorwort zu dem »Buch über die Verschiedenheit der Natur und der Person sowie der persönlichen Eigenheiten, das nicht bloß ein Auszug aus lateinischen, sondern auch aus griechischen Autoritäten ist«, erklärte Hugo, weshalb er die griechischen Texte schätzt: „Weil aus den Quellen der Griechen alle Wissenschaften der Lateiner hervorgesprudelt sind“. Auch Hugo Etherianus sprach von den Graecorum fontes, warnte aber, dass im Korb der gelehrten Disziplinen auch die hinterhältige Schlange Leviathan lauere. Kurz vor dem Ende seines Lebens (1182) ging er in die Heimat zurück und wurde noch, als Laie, in den Kardinalsrang erhoben.

Erstaunliche Spätblüte

Die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer hat erheblich schwerer wiegende Plünderungen zur Folge gehabt als diejenige zweieinhalb Jahrhunderte später durch die Türken. Dabei sind offenkundig auch viele Bücher geraubt worden und noch mehr griechische Texte ein für allemal verloren gegangen. Der herausragende Lehrer und Autor im Reich von Nikaia, Nikephoros Blemmydes († ca. 1269), der in Ephesos Hegoumenos (Abt) zweier Klöster war, musste jedenfalls auf der Suche nach Büchern zum Klosterberg Athos sowie nach Thessaloniki, Larissa und Ochrid reisen. In der frühen Palaiologenzeit (seit 1261) erlebte das byzantinische Geistesleben trotz der politischen und wirtschaftlichen Schwäche des Reiches eine erstaunliche Spätblüte, die sich nicht mehr auf die traditionelle Pflege der eigenen Tradition beschränkte, sondern eine neue Offenheit für lateinische Literatur einschloss. Jetzt kam eine respektable Reihe griechischer Gelehrter auch in den Westen, um lateinische Texte der Antike und sogar des hohen Mittelalters zu studieren und in ihre eigene Sprache zu übersetzen.

Die lateinischen Gelehrten selbst mussten freilich nicht unbedingt zur Kaiserresidenz des Ostens reisen, um aus der Quelle der Griechen zu trinken. Vor ihrer Haustür, in den muslimischen Ländern des Okzidents und deren Nachbarschaft, waren ihnen antike Texte durch arabische Vermittlung, ergänzt um die Werke der Muslime selbst, seit dem Frühmittelalter zugänglich geworden. Schon in der Zeit des Kalifen ‘Abd ar-Rahman III. verfügte das christliche Kloster Ripoll in Katalonien über Handschriften griechisch-arabischer Gelehrsamkeit. Hier und am Bischofssitz Vich lernte der aus Aquitanien stammende Mönch Gerbert von Aurillac um 960 die arabische Wissenschaft in Mathematik (Arithmetik), Astronomie und Geometrie kennen, die er in eigenen Schriften selbst anzuwenden verstand. Die in Spanien und Sizilien entstehenden interkulturellen Zentren der Wissenschaft zogen die unruhigsten und wagemutigsten Geister aus dem Norden in großer Zahl an. Einheimische und Zugereiste beteiligten sich an der Übertragung der fremden Schriften ins Lateinische, wenn nicht in ihre Volkssprachen, und bereiteten dadurch der weiteren Verbreitung des gelehrten Wissens die Wege.

Ruhm der arabischen Wissenschaften

Der Ruhm der arabischen Wissenschaften verbreitete sich rasch bis nach England. Einer, der nach seinem Vermögen „die Studien der Araber durchdringen“ wollte und dabei vor allem an Astronomie/Astrologie und Mathematik dachte, war Adelard von Bath. Er hatte in der Normandie und an der Loire seine Ausbildung in den Septem Artes erfahren und war dann weitergezogen, über die französischen Bildungszentren Tours und Laon nach Salerno (1104/1107) und Sizilien sowie nach Antiochia (um 1115). In Tarsus debattierte er die Anatomie. Adelard übersetzte 1126 die astronomischen Tafeln des al-Chorismi und übertrug erstmals die »Elemente« des Euklid vollständig aus dem Arabischen ins Lateinische. Daneben verfasste er eigene Abhandlungen, die zum Beispiel dem Abakus oder dem Astrolab gewidmet waren. Erst 1130 ist Adelard nach England heimgekehrt. Ebenso wenig wie ihm genügten in der folgenden Generation seinem Landsmann Daniel von Morley näher gelegene Bildungsstätten, Daniel lehnte Oxford und selbst Paris ab. „Weil die Lehre der Araber, die fast ausschließlich aus dem Quadrivium besteht, in unseren Tagen am meisten in Toledo dem Publikum bekannt gemacht wird, eilte ich dorthin, um die weisesten Philosophen der Erde zu hören“, so schrieb er später an einen Vertrauten. Auf seinem erzwungenen Heimweg (um 1187), nahm er eine Ladung kostbarer Bücher mit, vor allem der griechischen Philosophen, die er gegen den Kleinmut christlicher Theologen verteidigte.

Veritables Übersetzungszentrum

Beide Engländer haben zu jenen weit gereisten Männern gehört, die seit dem frühen 12. Jahrhundert im christlichen Spanien die Schätze Griechenlands, Indiens, Persiens und des Islam ins Lateinische übertrugen. Dabei bildeten sich einige Schwerpunkte höfischen Charakters heraus: Barcelona, Tarazona und vor allem das von muslimischer Herrschaft befreite Toledo. Plato von Tivoli arbeitete zum Beispiel in der Zeit von Graf Raimund Berengar IV. (1131–1162) in Barcelona an der Übersetzung eines arabischen astronomischen Tafel- und Lehrwerks und übertrug unter anderem das »Quadripartitum« des Ptolemaios. Seine Vorlage war jeweils eine jüdische Übersetzung aus dem Arabischen. In der Grenzstadt Toledo entstand unter Erzbischof Raimund (1125–1152) sogar ein veritables Übersetzungszentrum. Man kennt die Namen mehrerer der beteiligten Gelehrten, vor allem Domingo Gundisalvo, Johannes von Sevilla, Gerhard von Cremona, Robert von Chester und Hermann von Kärnten. Alle Genannten kannten sich persönlich, tauschten ihre Erfahrungen aus, wandten dieselben Methoden an und achteten auf die Erwartungen eines bestimmten Leserkreises. Zahlreiche Übersetzer formulierten den lateinischen Text direkt nach der arabischen Vorlage, sonst bildeten sie Teams mit einem anderen Gelehrten. Einer der beiden pflegte das arabische Wort laut in die Volkssprache zu übertragen, der andere danach die lateinische Version niederzuschreiben. Der Erste, der sich des Kastilischen oder Katalanischen bediente, war oft ein Jude, der andere ein Christ, typischerweise ein Kleriker. Juden, die trilingual waren, also Hebräisch, Arabisch und eine der romanischen Sprachen beherrschten, spielten eine Schlüsselrolle. Der Prozess der Aneignung arabischer Literatur durch die Lateiner vollzog sich freilich nicht bloß durch Übersetzung, sondern wie bei den Arabern in Bezug auf die Griechen durch Zusammenfassung, Systematisierung, Ergänzung und selbständige Fortentwicklung der vorgelegten Texte. Eine zweite große Periode der Toledaner Übersetzertätigkeit fiel ins 13. Jahrhundert.


Die Weltkarte des al-Idrisi (1154).

Angesichts der byzantinischen Interessen und Stützpunkte konnte die Rezeption griechischer Werke in Italien ohne den Umweg über arabische Textfassungen erfolgen. Das Werk »Περι ύλης ίατρικης« des Dioscurides (»De materia medica«) war hier wohl schon im 6. Jahrhundert zum ersten Mal ins Lateinische übersetzt worden (s. Abb. S. 443), lange noch, bevor im Osten syrische und arabische Fassungen entstanden. Im 11. Jahrhundert wurde die Medizinerschule in Salerno entscheidend durch die Tätigkeit Konstantins „des Afrikaners“ gefördert, ursprünglich angeblich ein muslimischer Kräuterhändler, der viele Jahrzehnte hindurch im Mittelmeerraum und Vorderen Orient seine Geschäfte abgewickelt hatte, bevor er um das Jahr 1075 nach Unteritalien kam.

Höfisch bestimmte Wissenschaft

Wie in Spanien war auch in Sizilien die aus Übersetzungen entwickelte Wissenschaft höfisch bestimmt. In der Kultur der normannischen Herrscher von Palermo wirkten Einflüsse der unterworfenen und verdrängten Muslime nach, ohne dass sich diese konkreten Personen zuordnen ließen. Dafür wissen wir, dass Roger II. und seine Nachfolger Wilhelm I. und Wilhelm II. vielsprachige Gelehrte um sich versammelten. Aus Byzanz kam sogar ein Nomophylax, der führende kaiserliche Rechtsgelehrte, herbei, aus unbekannten Gründen auf der Flucht (um 1140). Berühmt wurde der arabische Geograph al-Idrisi, der wohl aus Marokko stammte und den Roger zu einer Weltbeschreibung und Erdkarte anregte; angeblich hat der Herrscher selbst 15 Jahre lang das Werk begleitet, arabische und griechische Literatur studiert, Gelehrte von weither um Auskunft gebeten und erdkundliche Exkursionen veranlasst.

Für die Verbreitung der neu erschlossenen Kenntnisse sorgten im lateinischen Europa neben den Gelehrten selbst Händler und Pilger, etwa die Wallfahrer nach Santiago de Compostela oder Rom. In den großen Domschulen wie Chartres, wo die lateinischen Dichter und Schriftsteller der Antike ebenso studiert wurden wie die griechisch-römischen Philosophen und Naturwissenschaftler, erregten die arabischen Autoren Aufmerksamkeit; allgemein galten die Araber im Westen als die „Philosophen“ schlechthin und wurden mit ihren Kommentaren als erste Vermittler der Griechen geschätzt. Für Platon und seine Anhänger, um die Mitte des 12. Jahrhunderts besonders aber für Aristoteles wurde Chartres wegweisend.

Mobilität der lateinischen Wissbegierigen

Chartres und andere französische Domschulen frequentierten Studenten aus dem ganzen Abendland; die Mobilität der lateinischen Wissbegierigen wurde um die Wende zum 13. Jahrhundert auch zu einem Kennzeichen der neuen, genossenschaftlichen Form des Studiums in Paris, Bologna und Oxford. Andererseits waren die Universitäten ohne die Schriften der Alten und auch der Araber undenkbar. So international aber die Städte des studium generale waren, wurde die Universität doch eine Institution lateinischer Kultur, an der von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht einmal orthodoxe Christen aus dem Osten, geschweige denn Juden oder Muslime, heimisch wurden. Nur die Höfe von Kalifen, Königen, Fürsten oder Bischöfen, an denen die Fremdsprachenkenntnisse schon für den diplomatischen Verkehr gebraucht wurden und der Respekt für die Differenz unverzichtbar war, mussten plurikulturell sein und konnten die großen Übersetzungsleistungen hervorbringen. Der räumliche Einzugsbereich der Hohen Schulen sollte sich gegen Ende des Mittelalters demgegenüber umso stärker verengen, als jeder Landesfürst nach einer eigenen Universität für seine Untertanen strebte.

wbg Weltgeschichte Bd. III

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