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Weltbild, Kartographie und geographische Kenntnisse

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Ingrid Baumgärtner, Stefan Schröder

Mappae mundi

Entgegen der älteren Forschung, die für das europäische Mittelalter ein geschlossenes Weltbild annahm, geht man heute von einer Pluralität der Weltbilder aus. Auch die kartographischen Darstellungen spiegeln diese pluralistische Weltsicht wider, wobei je nach Zielsetzung geographisch-physikalische, astronomisch-kosmologische oder weltanschaulich-religiöse Erkenntnisse die abgebildeten Raum- und Zeitvorstellungen bestimmten. Eine große Typen- und Formenvielfalt von Welt- und Regionalkarten eröffnete ganz unterschiedliche Möglichkeiten, Raum zu visualisieren. Im mittelalterlichen Verständnis stand das lateinische Wort mappa für ein ausgebreitetes weißes Tuch, dessen begrenzte Fläche auszugestalten war. In Verbindung mit mundus wurde es zum Sammelbegriff für Weltkarten, die sogenannten mappae mundi. Der seit dem 9. Jahrhundert nachweisbare Terminus, den Raschīd (Rašīd) ad-Dīn in seiner Geschichte der Franken im frühen 14. Jahrhundert zum persischen bāb mandū verballhornte, umfasste Weltbeschreibungen in Bildern und in Texten. Diese Kombination legt nahe, dass topographische wie weltanschauliche Kartierungen im Kontext geographischer, enzyklopädischer und historiographischer Schriften, die sich weitaus häufiger als Karten erhalten haben, zu betrachten sind.

Die Entwicklung der europäischen Kartographie von der Antike bis in das 16. Jahrhundert zeigt eine mehrfache Verlagerung des Erkenntnisinteresses und der Darstellungsformen. Bereits in vorchristlicher Zeit führte die theoretische Annäherung der Griechen an die inmitten des Sonnensystems verankerte kugelförmige Erde zu einer Berechnung von Umfang, Längen- und Breitengraden. Die Römer entwickelten präzise Vermessungstechniken für administrative und militärische Zwecke, um ihr Reich zu erfassen und die Herrschaft zu sichern. Die europäischen Weltkarten des Früh- und Hochmittelalters füllten den kreisförmigen orbis terrarum, dessen Ostung auf das Paradies eine Christianisierung des Weltbildes symbolisierte, mit einer enzyklopädischen Synthese antiker und biblischer Wissensbestände. Spätmittelalter und Renaissance bildeten neue Kartentypen aus, darunter Portulan- und Regionalkarten, um das im Widerspruch mit antiken Vorgaben stehende Erfahrungswissen zu verarbeiten. Ähnliche Schwerpunktverschiebungen zeigen sich in anderen Weltkulturen wie etwa im islamischen und chinesischen Bereich.

Die unterschiedlichen Erkenntnisziele und Veranschaulichungsformen lösten einander nicht einfach in linearer Folge ab, sondern existierten nebeneinander und im Austausch miteinander: Kirchenväter und frühmittelalterliche Gelehrte wie Isidor von Sevilla rezipierten heidnisches Bildungsgut über spätantike lateinische Enzyklopädien, darunter Plinius’ »Naturalis historia« und Solinus’ »Collectanea rerum memorabilium«. Übersetzungen von geographischen Texten aus dem Arabischen und Griechischen, Kulturkontakte innerhalb der Mittelmeerwelt sowie mündliche und schriftliche Berichterstattungen von Pilgern, Gesandten oder Handelsreisenden gaben weitere Denkanstöße. Nicht zuletzt sind einige vermeintlich antike Kartographien wie die Tabula Peutingeriana und die Ptolemaios-Karten nur über mittelalterliche Zeugnisse erhalten. Im Folgenden richtet sich der Blick vor allem auf die im mittelalterlichen Europa produzierten kartographischen Weltbilder, deren Überlieferung im weltweiten Vergleich überwiegt. Ausgehend von der Reichhaltigkeit der Quellen, Formen und Funktionen der europäischen Kartographie ist dabei immer wieder nach Übereinstimmungen und Differenzen mit anderen Kulturen sowie nach den Austausch- und Transformationsprozessen zu fragen.

wbg Weltgeschichte Bd. III

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