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Von der Demokratie zur Diktatur. Das Ende der Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus

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Larry Eugene Jones

Für das historische Verständnis und die Erklärung der Ereignisse, die am 30. Januar 1933 zu Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler führten, ist neben strukturellen und kulturellen Faktoren die Rolle, die menschliches Handeln in diesem Zusammenhang für den Zusammenbruch der Weimarer Demokratie spielte, eine besondere Herausforderung. Zweifellos war die Lähmung der Weimarer Demokratie zu Beginn der 1930er Jahre eine Folge von Interessengegensätzen, die sich durch die galoppierende Inflation in den frühen 1920er Jahren, die gesellschaftlichen Kosten der Stabilitätspolitik in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und den Ausbruch der Weltwirtschaftskrise so weit verschärften, dass ein tragfähiger innerer Konsens über die deutsche Innen- und Außenpolitik unmöglich wurde. Doch diese strukturelle Analyse, die den Zusammenbruch der Weimarer Demokratie so gut erklärt, kann nicht zeigen, wie und warum die Krise mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler endete. Harold James wies schon vor 30 Jahren darauf hin, dass der Zusammenbruch der Weimarer Demokratie und Hitlers Ernennung als Reichskanzler „zwei logisch voneinander unabhängige Prozesse“ waren, deren Untersuchung prinzipiell verschiedene analytische Instrumentarien erfordert, insbesondere für ein besseres Verständnis des Letzteren.1 Mit anderen Worten: Die unaufhaltsame Verschärfung sozialer und wirtschaftlicher Gegensätze schuf, wie Karl Dietrich Bracher in seiner klassischen Untersuchung zur Auflösung der Weimarer Republik betont hat, ein Machtvakuum, das den Handlungen einzelner historischer Akteure plötzlich eine viel größere kausale Wirkung verlieh, als sie normalerweise besessen hätten.2 Ein besonders wichtiger Aspekt in dieser Hinsicht war die Anwendung des Notverordnungsrechts nach Artikel 48 der Reichsverfassung im Frühjahr 1930, das die endgültige Verantwortung für den Entscheidungsprozess vom Reichstag auf Reichspräsident Paul von Hindenburg und seine Kamarilla übertrug. Dies war ohne Zweifel ein entscheidender Schritt beim Übergang von der Demokratie zur Diktatur, der allerdings nicht notwendigerweise die Machtübernahme Hitlers als die einzig mögliche Lösung der seit den frühen 1930er Jahren schwelenden politischen Krise nach sich zog. Die Situation in Deutschland zwischen 1930 und 1933 war äußerst fluide und bot keinen klaren Weg aus der Sackgasse, in die das politische System geraten war.3

Im Folgenden soll die Periode vom Beginn der Weltwirtschaftskrise in den späten 1920er Jahren bis zu Hitlers Ernennung zum Reichskanzler im Januar 1933 untersucht werden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den kritischen Momenten während der späten Weimarer Republik, als Entscheidungen und Maßnahmen von individuellen Akteuren stark an Bedeutung gewannen. Vor allem die handlungsleitenden strategischen Überlegungen der letzten drei Reichskanzler der Weimarer Republik und ihre Veränderung im Verlauf der Zeit stehen hier im Mittelpunkt. Über deren individuelle politische Prioritäten hinaus wird dabei auch die Rolle berücksichtigt, die Zufall, Willkür und kleinliche Animositäten beim Untergang der Weimarer Demokratie und der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler spielten. Dies wirft insbesondere ein Licht darauf, wie die jeweiligen Akteure in einflussreichen Positionen auf die strukturelle Krise der Weimarer Demokratie reagierten, entweder mit dem Ziel der Krisenentschärfung oder in der Absicht, Deutschlands demokratische Institutionen zu zerstören und so den Weg für das „Dritte Reich“ zu ebnen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass sich all diese Ereignisse in einem Klima weitverbreiteter politischer Gewalt abspielten – einer Hinterlassenschaft des Ersten Weltkriegs und des Traumas der Geburtsstunde der Weimarer Republik –, die Anfang der 1930er Jahre mit der sich verschärfenden Wirtschaftskrise erneut und mit besonderer Intensität aufflammte. Diese Gewalt fand ihren Niederschlag zunächst vor allem in einer Unmenge an paramilitärischen und nationalistischen Verbänden, die während der unmittelbaren Nachkriegszeit überall in Deutschland aus dem Boden schossen. Sie stilisierten den Frontdienst – oder was sie sich darunter vorstellten – zu einer vaterländischen Tugend und instrumentalisierten ihn für ihre unablässigen Angriffe auf die Weimarer Republik als Symbol der nationalen Demütigung Deutschlands. Ihre Präsenz auf der politischen Bühne hatte einen radikalisierenden Effekt auf die Parteien und Institutionen der politischen Rechten in Deutschland und schränkte deren Handlungsspielraum in Bezug auf die diplomatischen Folgen der Niederlage und das daraus resultierende wirtschaftliche Chaos enorm ein.4

Aufbruch und Abgründe

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