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Schlussbetrachtung

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Keine dieser Entwicklungen war unvermeidlich oder vorherbestimmt. Zwar gab es strukturelle und kulturelle Faktoren, die den Handlungsspielraum der verantwortlichen Politiker stark einschränkten. Schon die Verheerungen der Weltwirtschaftskrise und die nachfolgende Radikalisierung der deutschen Mittelschichten machten eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie unmöglich. Doch die Situation in der Periode von den Novemberwahlen 1932 bis Ende Januar 1933 war extrem fluide. Erstens war es keineswegs sicher, dass Hitler die durch den Rücktritt Strassers ausgelöste Krise innerhalb der NSDAP würde bewältigen können. In der Tat waren die außerordentlichen Führungsqualitäten und das persönliche Charisma Hitlers erforderlich, um die Partei als Instrument seines politischen Willens zusammenzuhalten. Zweitens war das Treffen Papens mit dem Führer der NSDAP am 4. Januar 1933 die verzweifelte Tat eines Mannes, dessen Selbstherrlichkeit und Rachegelüste ihn für die Intrigen des sehr viel geschickter und resoluter agierenden Hitlers verwundbar machten. Selbst unter diesen Umständen waren die Verhandlungen nicht einfach und drohten in letzter Minute zusammenzubrechen, als der DNVP-Vorsitzende Hugenberg beinahe die Vereidigungszeremonie am Morgen des 30. Januar mit Aplomb verlassen hätte, weil Hitler sich weigerte, seiner Forderung auf eine Aussetzung von Neuwahlen nachzukommen. Nur eine vollständige Willenslähmung Hugenbergs in dem Moment, in dem die neuen Kabinettsmitglieder dem Reichspräsidenten vorgestellt wurden, gewährleistete Hitlers Ernennung.70

Blickt man noch weiter zurück, erscheinen noch andere Momente in der Zeit zwischen 1930 und 1933, in denen die Handlungen individueller Akteure mehr Gewicht hatten als gewöhnlich. Im Falle Brünings war dies das rigide Festhalten an seiner Deflationspolitik, welche die Auswirkungen der tiefen Wirtschaftskrise noch verstärkte und zu einer zunehmenden Radikalisierung weiter Kreise der deutschen Bevölkerung führte. Brüning kannte sicherlich auch andere, weniger traumatische Strategien zur Bekämpfung der Krise, setzte diese aber, hauptsächlich aus außenpolitischen Gründen, nicht ein, bis es zu spät war. Doch erst mit Schleichers Einmischung in die politischen Prozesse begannen die wirklichen Probleme. Während die Wahl Brünings als Müllers Nachfolger im Frühjahr 1930 angesichts fehlender Alternativen sicherlich noch sinnvoll war, kam Brünings hartnäckiger Rückgriff auf Artikel 48 zur Durchsetzung seines Wirtschafts- und Sozialprogramms der langfristigen Strategie Schleichers und der deutschen konservativen Eliten sehr nahe, welche die Ausübung der Exekutivgewalt von den Wechselfällen der Weimarer Parteipolitik abkoppeln wollten. Das Regieren durch Notverordnungen spielte eine besonders unheilvolle Rolle bei der Auflösung der Weimarer Republik, da es den Entscheidungsprozess vom Reichstag auf den Reichspräsidenten übertrug. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als der sich verschlechternde Gesundheitszustand Hindenburgs den Reichspräsidenten besonders empfänglich für die Manipulationen seiner Kamarilla machte, die nun über enorme Einflussmöglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Intrigen ohne legislative Kontrolle verfügte.

Schleichers fixe Idee von einer „Zähmung“ der Nationalsozialisten durch deren Einbindung in die Regierungsverantwortung war das Ergebnis einer fundamentalen Fehleinschätzung Hitlers und der Lage innerhalb der NSDAP. Dies beflügelte zudem die wahnhaften Fantasien der präsidialen Entourage von einer möglichen Zusammenarbeit mit Hitler. Auch der Reichspräsident selbst hing diesem Irrglauben an. Aus bisher größtenteils ungeklärten Gründen überwand Hindenburg in der zweiten Hälfte des Januar 1933 seine Aversion gegen Hitler und erlag dem Einfluss der präsidialen Kamarilla, die in Hitlers Ernennung zum Reichskanzler das einzige Gegenmittel gegen die sich verschärfende politische Krise in Deutschland sah. Doch die verhängnisvollste Entscheidung war die Ernennung Papens zum Reichskanzler im Juni 1932, die wahrscheinlich auf eine persönliche Laune des Reichspräsidenten zurückging. Papen war nicht nur vollkommen unqualifiziert für das Amt des Reichskanzlers, er erwies sich darüber hinaus als mehr als nur ein Platzhalter, den nach seinem Amtsantritt nicht einmal Schleicher kontrollieren konnte. Nach seiner Absetzung begann Papen gegen Schleicher zu intrigieren. Er legte dabei eine Boshaftigkeit an den Tag, die sich unter anderem in einer kompletten Missachtung der Realität ausdrückte und ihn zu seiner verhängnisvollen Umwerbung Hitlers verleitete. Die Entlassung Groeners, Brünings und selbst des anmaßenden Papens schwächte Schleichers Position gegenüber dem Reichspräsidenten deutlich, sodass er nicht mehr in der Lage war, die von ihm klar vorausgesehene völlige Katastrophe für die deutsche Nation zu verhindern. Im Endeffekt war Papens krönende Errungenschaft – die Bildung einer „Regierung der nationalen Konzentration“ am 30. Januar 1933 – ebenso sehr das Ergebnis von kleinlichen Animositäten, strategischen Misskalkulationen und der bewussten Missachtung der Konsequenzen wie eine Folge der Wirtschaftskrise und der Lähmung der Weimarer Demokratie.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christine Brocks

Aufbruch und Abgründe

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