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Die Weimarer Verfassung

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Peter C. Caldwell

In der Geschichte der Weimarer Verfassung geht es um gesetzliche Regeln, Verfahren und Rechte. Es geht auch um das Wesen der Revolution von 1918/19 und der ersten deutschen Demokratie, um die Gefahren, denen die Demokratie aus sich selbst heraus ausgesetzt war, und darum, wie die Feinde der liberalen Demokratie ihre Regeln nutzen konnten, um sie zu zerstören. War die Verfassung die rechtliche Verkörperung des Geistes der demokratischen Revolution, oder war sie ein Mittel, sowohl Demokratie als auch Revolution einzuschränken? Hat die Verfassung die Prinzipien der Inklusion und Selbstbestimmung institutionalisiert und der deutschen Bevölkerung den Weg dafür geebnet, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden? Oder bereitete die Verfassung lediglich den Weg für unverantwortliche Parteiherrschaft und untergrub gleichzeitig die Grundlagen der deutschen Einheit?

Diese Fragen stellten sich schon in den ersten Jahren der Republik. Tatsächlich sahen viele in den Bedingungen, unter welchen die Verfassung entstand, eine existenzielle Bedrohung für die Demokratie und für Deutschland selbst. Ob der Versailler Vertrag wirklich eine solche existenzielle Bedrohung für Deutschland darstellte, wurde in den letzten Jahren neu bewertet.1

Doch die Herausforderungen für die deutsche politische Ordnung waren damals zweifellos enorm: Der polnische Separatismus im Osten, der von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs unterstützt wurde; die bayerische und rheinische Tändelei mit dem Separatismus, die dem französischen Einfluss die Tür öffnete und durch die Besetzung des Rhein- und Ruhrgebiets noch verstärkt wurde; die Gefahr eines Bürgerkriegs von links in den Jahren 1919, 1920 und 1923 sowie Putschversuche von rechts in den Jahren 1920 und 1923; ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten bei der Bewältigung der enormen Verluste an Vermögensständen und Menschenleben, die mit dem Krieg selbst verbunden waren (und bequemerweise dem Versailler Vertrag angelastet wurden), um nur einige der Krisen zu nennen, denen sich die neue Demokratie stellen musste. Ein halbes Jahrzehnt nach der Ratifizierung der Weimarer Verfassung hatte die neue Demokratie eine Reihe von Krisen erlebt – und überlebt. Jedoch nicht ohne das demokratische System einem Belastungstest zu unterziehen und aufzuzeigen, wie schwach sich viele Deutsche, vor allem Intellektuelle, mit ihm identifizierten.2 Nach 1929 kehrten die Krisen zurück, und 1933 existierte die Weimarer Verfassung nicht mehr.

Die jüngsten Kommentare stimmen darin überein, dass es nicht der Aufbau der Verfassung war, der die Republik zum Scheitern brachte.3 Ein halbes Jahrzehnt der systematischen Subversion durch konservative Kräfte im Inneren, auf höchster Ebene durch Reichspräsident Paul von Hindenburg, höhlte sie aus. Die Weltwirtschaftskrise erzeugte sozialen Druck, der die gemäßigten Parteien untergrub und den Konservativen zudem die Gelegenheit bot, eine Verfassungsänderung hin zu einem autoritäreren System in die Wege zu leiten. Ein quasi-legaler Putsch löste 1932 die amtierende Regierung Preußens, eines der letzten Bollwerke der Demokratie, auf. Und nicht zuletzt entzogen über die Hälfte der deutschen Wähler den demokratischen Parteien nach 1930 ihre Unterstützung, eine Krise, die den Staat lähmte und den Weg für einen Verfassungsbruch ebnete. Es ist nur schwer vorstellbar, welche demokratische Verfassung diese Herausforderungen hätte überstehen können.

Das vorliegende Kapitel überlässt die politische Geschichte anderen Beiträgen in diesem Band. Es versucht stattdessen, die Verfassung und die um sie geführten Debatten zu beschreiben, die zur Definition der neuen Demokratie beitrugen. Das Kapitel beginnt mit der Revolution von 1918/1919, die eine revolutionäre Verfassung hervorbrachte – selbst wenn Parteien aller Segmente des politischen Spektrums sich bemühten, die revolutionären Ursprünge der Republik zu vergessen.4 Sodann beschreibt es die Verfassung als revolutionären Bruch mit dem alten System sowie die auf dem Prinzip der Volkssouveränität erfolgte Gründung der Republik, um sich danach der Art und Weise zuzuwenden, in der die Verfassung demokratische Institutionen bildete. Laut Dieter Grimm schaffen demokratische Verfassungen Staatsorgane, sie organisieren nicht bereits bestehende Macht. Mit anderen Worten: Institutionen werden durch die Verfassung geschaffen und sind ihr daher untergeordnet. Dies war auch in der Weimarer Republik der Fall. Sie etablierte ein komplexes Regierungssystem, das die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen sowie politischen Pluralismus voraussetzte.5 Ein dritter Abschnitt des Kapitels beschreibt die föderalistischen und direktdemokratischen Aspekte der neuen Republik und ein vierter Abschnitt die in der Weimarer Verfassung verankerten Grundrechte, die sowohl individuelle als auch gemeinschaftliche Aspekte beinhalteten. Zum Abschluss des Kapitels werden die wesentlichen Belastungspunkte der Verfassung aufgezeigt, die bei der Zerstörung der Demokratie eine Rolle spielten.

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