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Der Bauernstand

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„Überall auf dem Land sieht man gewisse scheue Tiere, dunkle, blutleere, sonnenverbrannte, die sich nicht lösen können von dieser Erde, die sie mit einer unbezähmbaren Hartnäckigkeit durchsuchen und umgraben.“1 Diese Sätze Jean de La Bruyères aus dem Jahr 1688, die zwischen dem Versuch, sein gutes humanitäres Gewissen zu bewahren, auf der einen Seite und dem Fehlen jeglichen Verständnisses für die Logik der sozialen Ungleichheit auf der anderen schwanken. Sie münden in die Feststellung: „Sie ersparen den anderen Menschen die Mühe, für ihren Lebensunterhalt zu säen, zu pflügen und zu ernten und verdienen es daher, dass es ihnen nicht an dem Brot fehlt, das sie gesät haben.“ Diese Aussage gilt erstaunlicherweise als kühn und neu, obwohl es sich hierbei um eines der am meisten abgenutzten Klischees über die Bauern Europas handelt, das seit je zur Definition des ordo laboratorum, des Pflüger- beziehungsweise Bauernstands, herangezogen wird. Die Darstellung der Landbewohner als wilde, sprachunfähige Tiere verweist ihrerseits auf eine zeitlose, jedenfalls kaum wandelbare Vorstellung, die die Bauern aufgrund ihrer Animalität von jeder bewussten Teilhabe an der Geschichte ausschließt. Im Fall von La Bruyères Text handelt es sich nur um eine Provokation seiner Pariser Leser, allesamt Aristokraten oder Bourgeois, die sich ebenso wie der Autor selbst durchaus ihrer Nähe zu dieser ländlichen Welt, die ja gleich dort beginnt, wo die Vorstädte enden, bewusst sind. Halten wir also fest, dass dieses Klischee die Vorstellung von der Wesensverschiedenheit von Bewohnern der Städte und des Landes beinhaltet. Die Art dieser Erinnerung und die daraus sich ergebenden Folgen verdienen eingehendere Aufmerksamkeit.

Um diese fehlende Zivilisationstauglichkeit der Bauern geht es auch bei der Historiografie der Französischen Revolution, die sich ausschließlich auf die Städte bezog, bis Georges Lefèbvre in einem großen Buch über Gedächtnis und Emotion aus dem Jahr 1929 in den Bauernbewegungen vom Sommer 1789 den Beginn eines politischen Erwachens der Bauern erkennt, dessen Symptome die Angst und der antifeudale Aufruhr waren. Er stellte die vielfältigen lokalen Elemente zusammen, die mindestens ebenso sehr Ausdruck des Unverständnisses der Notablen wie der unendlichen Unterschiede in den bäuerlichen Ausdrucksweisen der Revolte und der Drohung sind. Er zeigte dadurch, inwiefern und auf welche Weise die „Große Furcht“ es der Landbevölkerung gestattete, im Zeitraum einer Hungersnot und eines Sommers vom allgemeinen, aber stets auf den engen Horizont eines Landstrichs begrenzten Unbehagen zum unumkehrbaren Bewusstsein des eigenen politischen Gewichts zu gelangen. Die Formen des Protests blieben allerdings vielfach noch partikularistisch und ortsgebunden, sodass diese Bewegung mindestens bis zur Mitte des folgenden Jahrhunderts nicht wahrgenommen wurde.

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