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2.5 Innovation ohne Nachfrage in der Praxis

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Die Implementierung von Innovationen in der Pflege durch hochschulisch gebildete Pflegekräfte stellt allerdings nicht nur eine Reaktion auf einen Bedarf an verbesserter Gesundheitsversorgung dar, die Nachfrage nach Forschungsergebnissen wird genauso durch eine Überproduktion an Studien angeschoben. Dem Jahresbericht der International Association of Scientific, Technical & Medical Publishers zufolge gab es Mitte 2018 etwa 33.100 aktive, wissenschaftlich begutachtete englischsprachige Zeitschriften (plus weitere 9.400 nicht-englischsprachige Zeitschriften), die zusammen über 3 Millionen Artikel pro Jahr veröffentlichten (Johnson et al. 2018). Das ist mehr wissenschaftliche Literatur pro Jahr als eine einzelne Person in ihrem ganzen Leben zu lesen vermag. Auch wenn die pflegewissenschaftliche Literatur nur einen kleinen Teil an der Gesamtheit aller wissenschaftlichen Publikationen ausmacht, so ist doch schon dieser kaum noch überschaubar. Der International Academy of Nursing Editors zufolge gab es 2018 251 englischsprachige, pflegewissenschaftliche Zeitschriften (INANE 2018). Die Menge der jährlich erscheinenden Artikel wird von der Akademie zwar nicht beziffert, dürfte aber so hoch sein, dass eine Gesundheitseinrichtung kaum alle publizierten Resultate mit ihren Verbesserungsvorschlägen zur Kenntnis nehmen, geschweige denn implementieren kann. Die Einführung forschungsgestützter Problemlösungen setzt also deren Auswahl voraus, wofür die Forschungsliteratur allerdings kein Kriterium benennt. Geht es nach den publizierten Studien, scheint jedes Problem in gleicher Weise von Bedeutung zu sein.

Wenn die Wissensproduktion derart die Aufnahme- und Verarbeitungskapazität der Anwender von Forschungsergebnissen übersteigt, wird sie offensichtlich nicht durch eine Nachfrage aus der Praxis ausgelöst. Dies zeigt sich deutlich im Prinzip der Open Access Publikationen, die laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung zum Standard des wissenschaftlichen Publizierens in Deutschland werden sollen (BMBF 2016). Wissenschaftliche Publikationen sollen so frei im Internet zugänglich werden, wobei die Publikationskosten durch die Forscher bzw. eine Subvention durch Fördergelder getragen werden. Unter der Prämisse, dass die Praxis der Absatzmarkt für Forschungsergebnisse ist, ergibt eine freie Zugänglichkeit von Forschungsergebnissen allerdings keinen marktwirtschaftlichen Sinn, da hier ein Produzent dafür bezahlen muss, dass ihm sein Produkt abgenommen wird. Eine Bäckerei könnte nicht überleben, wenn sie die Kundinnen für die Abnahme ihrer Brötchen bezahlen müsste.

Die Produktion von Wissen scheint damit einer Eigenlogik zu folgen, bei der der Forschungsbetrieb beständig neue Fragen stellt, um sich selbst zu erhalten. Erst im Nachhinein zeigt sich dann die Notwendigkeit, eine Zielgruppe für die Ergebnisse der Forschung in der Praxis zu finden, um diese beständige Produktion von Wissen zu legitimieren. Studienergebnisse, die keine Verwendung finden, mögen im Rahmen von Grundlagenforschung akzeptabel sein, weil sie ein Ideenreservoir generieren, dessen Nutzen sich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt erweist, im Rahmen von anwendungsorientierter Forschung haben sie jedoch keinen Wert – es sei denn, es gelingt, eine Nachfrage nach ihnen zu erzeugen, indem man der potenziellen Zielgruppe einen Bedarf aufzeigt, den diese selbst bislang noch nicht erkannte. Durch die Produktion von neuem Wissen entsteht somit erst ein Innovationsbedarf in der Praxis, dem dann durch Implementierung externer Evidenz entsprochen werden soll.

Praxisentwicklung und Akademisierung in der Pflege

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