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2.6 Innovation als wertloses Wissen

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Die Entkopplung der Wissensproduktion vom unmittelbaren Verwertungsbedarf der Praxis dient jedoch nicht immer einem Gewinn von Erkenntnis im Interesse der Wahrheit und einer Entwicklung verbesserter Behandlungsmethoden, die der Praxis dann uneigennützig zum Wohl der Kranken zur Verfügung gestellt werden können. Das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V. (Sänger 2016) und auch Cochrane Deutschland (2015) beklagen auf ihren Tagungen vielmehr eine erhebliche Produktion von Studien mit zweifelhaftem Wert. Ioannidis et al. (2014) zu Folge weisen viele veröffentlichte Studien Schwächen in der Konzeption, Durchführung und Analyse auf. Das Fehlen detaillierter schriftlicher Protokolle und eine mangelhafte Dokumentation seien weit verbreitet, die statistische Aussagekraft der Studien sei oft zu gering oder die Statistik werde durch eine willkürliche Wahl der Analysen in irreführender Weise verwendet. Die von den Studien festgestellten Effekte können dabei variieren, je nachdem welche Variablen in statistische Anpassungen einbezogen werden, welche statistischen Modelle zur Anwendung kommen, welche Definitionen und Messverfahren für Ergebnissen und Prädiktoren und welche Ein- und Ausschlusskriterien für die Studienpopulation verwendet werden. Dass auf diese Weise Scheineffekte ermittelt werden, sei unter anderem auf eine unzureichende Ausbildung der Forschenden in Forschungsmethoden und auf die fehlende Einbeziehung von statistischer Expertise zurückzuführen.

Die gleiche Kritik betrifft Paley (2017) zu Folge auch qualitative Studien. Um den Publikationsoutput zu erhöhen und schon Masterabsolventen eine Publikation zu ermöglichen, seien im wissenschaftlichen Diskurs Methoden legitimiert worden, die dem engen Zeitrahmen und den beschränkten Ressourcen solcher Abschlussarbeiten entsprächen. »The academic environment has selected for whatever can be achieved in less than a year, and methodologists have adopted philosophical ideas in order to provide a justification« (Paley 2017, S. 10). Interviewstudien mit kleinen Stichproben, die zwecks angeblicher Unbefangenheit ohne theoretischen Hintergrund geplant würden, sich auf eine reine Beschreibung von Erfahrungen beschränkten und mithilfe eines einfachen Rezepts ein paar Kernthemen identifizierten, entsprächen diesen Anforderungen am besten. Derart gewonnene Forschungsergebnisse – gleichgültig ob qualitativer oder quantitativer Art – seien daher im Grunde wertlos.

Dass Forschende trotz wiederholter Appelle und der Erstellung von Leitlinien wie z. B. durch das Equator Network (www.equator-network.org) Studien von zweifelhafter Qualität produzieren, scheint systembedingt zu sein. Forschung erhält nicht durch ihre Bewährung in der Praxis, sondern durch ihre Publikation ihre Bedeutung. Ioannidis et al. (2014) zu Folge gibt es dabei einen stärkeren Anreiz zur Produktion von Quantität als von Qualität. »Although publication of research is essential, use of number of publications as an indicator of scholarly accomplishment stresses quantity rather than quality. With thousands of biomedical journals, nearly any manuscript can get published« (Ioannidis et al. 2014, S. 171). Forschende konkurrieren so um die Anzahl ihrer Publikation und unterliegen damit einem Publikationszwang, der ihnen schon in ihrer Sozialisation mit der Maxime »publish or perish« vermittelt wird. Da es schwierig ist, durch detaillierte Forschungsarbeit den erforderlichen Publikationsoutput zu erreichen, werden durch diese Maxime Studien von zweifelhaftem Wert provoziert.

Darüber hinaus, so Ioannidis (2014), sei es in diesem Wettlauf um Publikationen wichtiger, Neues zu präsentieren, als zuverlässige Forschung zu betreiben, da dies mehr Aufmerksamkeit beim Publikum erzeuge. Hinzu komme die Bedeutung, die dem Einwerben von Fördergeldern zugeschrieben werde, was Forscher dazu verführe, übertriebene Resultate zu versprechen und zu publizieren, um weitere Fördergelder zu bekommen (ebd.). Nicht zuletzt spielt auch der Einfluss von Interessensgruppen bei der Forschungsförderung eine Rolle. Das Testen von innovativen Pflegemaßnahmen kann so im Interesse einer Vermarktungsstrategie instrumentalisiert werden. Auch wenn die Forschung nicht direkt auf eine Nachfrage aus der Praxis angewiesen ist, unterliegt sie dennoch einem Wettbewerb um Reputation und Fördergelder, der dazu führt, dass sie zumindest teilweise in einen Widerspruch zu ihrem eigentlichen Erkenntnisinteresse gerät. Der Wert von Innovation durch Forschung ist damit zweideutig.

Praxisentwicklung und Akademisierung in der Pflege

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