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2.7 Innovation als Scheinentwicklung

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Wird die Praxis als Anwender von Forschungsergebnissen mit Informationen überhäuft, von denen ein Teil zweifelhaft und wertlos ist, ist eine kritische Bewertung von Studien notwendig, um die Spreu der Forschung von deren Weizen zu trennen, bevor eine Implementierung forschungsgestützter Problemlösungen erfolgen kann. Die oben skizzierte Problematik der Glaubwürdigkeit von Studien erfordert allerdings ein erhebliches Maß an forschungsmethodischen Kenntnissen, um deren Einschränkungen zu durchschauen.

Dies wirft jedoch die Frage auf, ob Bachelorstudiengänge ihre Absolventinnen und Absolventen im Rahmen ihrer relativ kurzen Dauer, die in einigen Fällen die einer dreijährigen Berufsausbildung nicht übersteigt, adäquat auf diese Aufgabe vorbereiten können – zumal dann, wenn sie im Rahmen einer generalistischen Ausbildung ohnehin schon sehr breite Wissensbestände vermitteln müssen. In Bachelorarbeiten wird zwar oftmals eine kritische Bewertung von Studien versucht, die Vorträge auf Hochschultagen, die solche Arbeiten vorstellen, laufen jedoch zumeist nur auf die unhinterfragte Nennung einer Anzahl signifikanter Studienergebnisse hinaus und lassen so eher eine Studiengläubigkeit als eine kritische Haltung ihnen gegenüber erkennen. Die Publikation von Bachelorarbeiten auf Hochschultagen und Internetplattformen kann so zu einer Dissemination von zweifelhaften Forschungsergebnissen führen und trägt im schlimmsten Fall zur Einführung eines neuen Pflegerituals bei, dass darin besteht, für jede Maßnahme, die man zu implementieren gedenkt, auf eine beliebige Studie zu verweisen, so als ob dieser Verweis die Wirksamkeit der Maßnahme sicherstellen könne. Anstatt der Praxis durch nachvollziehbare Beweise den Sinn und Nutzen ihrer Maßnahmen darzulegen und so zur Abschaffung unnützer Rituale beizutragen, hat sich der Versuch ihrer Aufklärung in sein dialektisches Gegenteil verkehrt und befördert lediglich eine neue Hörigkeit, die sich dieses Mal nicht auf Eminenzen wie den Oberarzt oder die Pflegedirektorin, sondern auf nur halb verstandene Evidenzen bezieht.

Evidenzbasierung, so man sie denn einführen will, erfordert neben der kritischen Bewertung von Studien zudem noch zwei weitere Schritte: Zunächst gilt es, die Relevanz der Studienergebnisse für die Praxis zu bestimmen (welche Konsequenzen können aus der gegenwärtigen und nicht immer überzeugenden Studienlage gezogen werden?) und schließlich geht es um die Implementierung selbst. Erfahrungen aus Großbritannien, wo eine Implementierung von Innovationen schon seit mehr als 30 Jahren betrieben wird, legen dabei nahe, dass ein linearer Top-down-Approach, bei dem auf Anweisung des Managements nach einer Schulung eine neue Maßnahme durch das Personal einfach angewendet werden soll, wenig erfolgsversprechend ist (Shaw 2013). Implementierungsprozesse erfordern vielmehr das Verlernen alter und das Erlernen neuer Routinen, wobei dies kein individueller, sondern ein teambasierter Prozess ist, der zudem im Rahmen einer Organisation verläuft, welche die Rahmenbedingungen für Veränderungsprozesse vorgibt und durch diese Prozesse selbst verändert wird. Um die Nachhaltigkeit von Veränderungsprozessen sicherzustellen, wird von McCormack et al. (2013) das Modell der Praxisentwicklung vorgeschlagen ( Kap. 4), das auf einer Verbindung von Personal- und Organisationsentwicklung basiert und als Bottom-up-Ansatz auch eine Beibehaltung von bewährter Praxis und damit eine vom Pflegeteam mitbestimmte Übernahme neuer Praktiken erlaubt.

Ein Blick auf die Homepages diverser Kliniken und Pflegeeinrichtungen lässt allerdings die Frage aufkommen, inwieweit die dort verfolgten Ansätze die Komplexität von Implementierungsprozessen und den mit ihnen verbundenen Arbeitsaufwand berücksichtigen. Eine Pflegewissenschaftlerin in der Stabsstelle einer Universitätsklinik oder ein Referent für einen ganzen Verband von Kommunalkrankenhäusern werden den vielfältigen Anforderungen der betreffenden Einrichtungen kaum gerecht werden können. Mit Hilfe von Internetrecherchen lassen sich zwar recht leicht Konzeptpapiere erstellen, es ist jedoch fraglich, ob der Außenwirkung, die sich durch ihre Publikation auf der Homepage der Einrichtung erreichen lässt, eine Tiefenwirkung entspricht, durch die sich die Arbeitsprozesse der Einrichtung tatsächlich verändern. Analog zur Scheinerkenntnis der Forschung kann sich auch eine Scheinentwicklung der Praxis verbreiten.

Praxisentwicklung und Akademisierung in der Pflege

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