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2.2.3 Abwertung oder Aufwertung der Geographie?

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Ende der Geographie

Ausgelöst durch die weit reichenden Fortschritte in der Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologie kommt es im Zuge der Globalisierung zu einer Zeit-Raum-Kompression (vgl. Kap. 2.2.1), welche zu einem Bedeutungsverlust natürlicher Barrieren und räumlicher Distanzen führt und auf die Abwertung regionaler und distanzspezifischer Aspekte sowie räumlicher Besonderheiten schließen lässt. In diesem Zusammenhang stellte der Finanzökonom O’Brien 1992 die These vom Ende des Faches Geographie auf. Angesichts der weltweiten Integration der Finanzmärkte spiele ein spezifischer Standort für die Entwicklung der Wirtschaft keine Rolle mehr. Niederschlag findet dieser Zusammenhang im Begriff der Ubiquitifizierung, der darauf hindeutet, dass durch die Senkung von Transport- und Transaktionskosten (= Kosten für die Anbahnung, Durchsetzung und Kontrolle von Verträgen) Unternehmensressourcen (u.a. Wissen Technologien, Kapital) theoretisch weltweit verbreitet und verfügbar sind (vgl. GLÜCKLER 2007, S. 844).

Unverzichtbarkeit räumlicher Faktoren

Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, dass gerade in der Globalisierungsdebatte der räumlichen Komponente und vor allem der länderspezifischen bzw. regionalen Differenzierung doch ein ganz erhebliches Gewicht zukommt. Denn auch im Zeitalter der Globalisierung gibt es vielfach geographische Faktoren, welche die räumliche Ordnung der Wirtschaft strukturieren.

Physische Infrastruktur

Erstens ist für die Abwicklung wirtschaftlicher Transaktionen – erscheinen sie räumlich auch noch so grenzenlos – immer eine physische Infrastruktur erforderlich, welche den Transport materieller Güter und die Übermittlung von Informationen ermöglicht. Dies macht infrastrukturelle Investitionen in erheblichem Umfang notwendig. Flug- und Seehäfen, Hochgeschwindigkeitsnetze für Züge, Schnellstraßen und digitale Knoten werden benötigt. Sie machen deutlich, dass die „Abwertung von Raum“ mit einer spezifischen „Aufwertung von Raum“ einhergeht, welche Interaktionen zwischen Standorten überhaupt erst ermöglicht und strukturiert (vgl. OSSENBRÜGGE 2007, S. 834; Kap. 4.3).

Regionale Unternehmenskonzentrationen

Zweitens korrespondiert die Globalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten eben nicht – wie häufig vermutet – mit einem Bedeutungsverlust regionallokaler Wirkungszusammenhänge (vgl. KRÄTKE 1995, S. 211). Denn in der heutigen Zeit sind nachhaltige unternehmerische Wettbewerbsvorteile in einem immer größeren Ausmaß gerade auf der regionalen Maßstabsebene verortet. Sie liegen in Kenntnissen, Fähigkeiten und informellen Beziehungen, die räumlich entfernte Wettbewerber nicht aufweisen. Immer häufiger wird in der wirtschaftsgeographischen Forschung daher der Bildung regionaler Unternehmenskonzentrationen, wie z.B. Cluster, Industriedistrikte, kreative Milieus oder Innovationsnetzwerke, Aufmerksamkeit gewidmet, da diese einen maßgeblichen Einfluss auf die regionale Wettbewerbsfähigkeit ausüben (vgl. KIESE/SCHÄTZL 2008; FROMHOLD-EISEBITH 1995; KIRCHNER 2001; ARNDT 2001; PORTER 1999, S. 207ff.; SCHAMP 2000).

Global Cities

Drittens benötigt die vor allem auf der wirtschaftlichen, arbeitsorganisatorischen und kommunikationstechnischen Ebene voranschreitende Intensivierung des Globalisierungsprozesses, aus der eine räumliche und sektorale Zersplitterung des Produktionsprozesses resultiert, Knotenpunkte zur Kontrolle und Koordination. Während sich die ausführenden Produktionsaktivitäten global agierender Unternehmen auf immer größer werdende geographische Distanzen verteilen, konzentriert sich die Steuerung der globalen Investitions- und Handelsströme auf wenige strategisch bedeutsame Orte, sog. Global Cities. Diese lassen sich als räumlich angesiedelte Verankerung globaler Kontroll- und Koordinationsaktivitäten weltweiter ökonomischer Aktivitäten umschreiben (vgl. Kap. 3.4).

Globale Produktionsnetzwerke

Neben dem Global-City-Ansatz bilden sog. Globale Produktionsnetzwerke im Zeitalter der Globalisierung einen weiteren wichtigen geographischen Forschungsansatz. Sie dienen der Erfassung der raumzeitlichen Dynamik unternehmerischer Aktivitäten sowie der Analyse der sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Beziehungsgeflechte unter Berücksichtigung ihrer Einbettung in politische und ökonomische Zusammenhänge (vgl. HENDERSON et al. 2002; COE et al. 2004).

Steigende Raumüberwindungskosten

Viertens kommt es aufgrund der in der jüngeren Zeit stark angestiegenen Sprit- und Energiekosten zu einer gewissen Renaissance der Bedeutung der lange Zeit als nebensächlich eingeschätzten geographischen Distanzen, deren Überwindung immer teurer wird. Noch vor wenigen Jahren als unerheblich eingestuft, erwachsen sich die Transportkosten wieder zu einer bedeutenden Handelsbarriere mit der Konsequenz, dass über weite geographische Entfernungen komparative Kostenvorteile unterminiert und nahgelegene, ehedem als nicht mehr wettbewerbsfähig geltende Produktionsstandorte wieder aufgewertet werden (vgl. Kap. 3.3 und Kap. 4.3).

Fazit

In der Gesamtschau werden räumliche Faktoren und Prozesse durch die Globalisierung mehr auf- denn abgewertet und die Geographie scheint gut gerüstet, „um eine offensive (…) Auseinandersetzung um die räumlichen Auswirkungen der Globalisierung mit der Ökonomie und anderen Sozialwissenschaften zu führen“ (OSMANOVIC 2000, S. 253).

Geographie der internationalen Wirtschaft

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