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2.5 Bildung neuer Maßstabsebenen und „Politics of Scale“

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Schwächung der Nationalstaaten

Mit dem fortschreitenden Globalisierungsprozess geht eine entsprechende Schwächung nationalstaatlichen Einflusses einher. Während der letzten Jahrhunderte waren nationale Entwicklungsprozesse für die Gesellschaften prägend. Der Nationalstaat repräsentierte die gültige Form politisch-gesellschaftlicher Organisation, während die nationale Volkswirtschaft eine logische und integrierte Wirtschaftsform darstellte. Nationale Märkte als ökonomische Eckpfeiler dieser Volkswirtschaften haben im Zuge der Globalisierung jedoch zunehmend zugunsten einer wachsenden Bedeutung des Weltwirtschaftsraumes an Relevanz verloren. Der Nationalstaat bildet heute nicht mehr den alleinigen Bezugsraum für die wirtschaftlichen Akteure: Gewinne fallen z.B. nur noch dort an, wo die Steuersätze niedrig sind. Umweltintensive Produktionsverfahren finden sich in Ländern, in denen geringe Auflagen bestehen. Arbeitsintensive Produktionsschritte werden bei Tariferhöhungen verlagert (job export). Aufgrund dieser Standortunabhängigkeit von Unternehmen sind einzelne Staaten immer weniger fähig, ihr Territorium nach eigenen Maßstäben und Vorgaben zu gestalten (vgl. KULKE2005b, S. 7; OSSENBRÜGGE 2007, S. 836).

„Politics of Scale“

Mit der vermeintlichen Entmachtung der Ebene souveräner Staaten geht gleichzeitig eine Aufwertung anderer Maßstabsebenen einher (Reterritorialisierung), wenn man berücksichtigt, in welche Richtungen sich der Nationalstaat „verflüchtigt“ bzw. auflöst. Es findet ein umfassender Prozess der Verlagerung politischer Steuerungskapazitäten weg von nationalstaatlichen Institutionen hin zu anderen Maßstabsebenen statt – sowohl nach „oben“ (Global Governance und Regionalisierung) als auch nach „unten“ (Lokalisierung). Man bezeichnet diese Aufwertung von anderen Maßstabsebenen jenseits des Nationalstaates als „Politics of Scale“ (vgl. OSSEN-BRÜGGE 2003, S. 164; 2007, S. 838).

„Global Governance“

Globale Themen wie Klimawandel, Biodiversität, Epidemien, internationale Finanzarchitektur, multilateraler Handel, Rechte an geistigem Eigentum, Terrorismus, Frieden und Sicherheit etc. gewinnen immer mehr an Bedeutung. Im Gegensatz zu konventionellen Politikfeldern, die sich entweder auf ein einzelnes Land erstrecken oder die außenpolitischen Beziehungen zwischen einzelnen Nationalstaaten betreffen, haben sie einen global-grenzüberschreitenden Charakter und bedürfen daher einer umfassenden Politikgestaltung („Governance“) bzw. Harmonisierung über Grenzen hinweg (vgl. KAUL 2008, S. 146). Über der Ebene des Nationalstaates kommt es daher zur Entwicklung oder zum Ausbau globaler Steuerungsmechanismen („Global Governance“). Im wirtschaftlichen Bereich sind hier Organisationen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds oder Welthandelsorganisation (vgl. Kap. 4.1.3) zu nennen, welche die Aufgabe haben, den ökonomischen Globalisierungsprozess zu steuern und die Entfesselung der Märkte politisch zu kontrollieren. Im sozialen und ökologischen Bereich sind v.a. NGOs (Non Governmental Organizations) sowie Internationale Umwelt- und Sozialabkommen und die daraus entstandenen Organisationen (z.B. ILO – International Labour Organisation) anzuführen (vgl. Kap. 4.6.2).

Regionalisierung

Eine weitere Entwicklung, welche die angestammte Rolle einzelner Staaten als gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Handlungsrahmen in Frage stellt, ist die Regionalisierung, d.h. die Integration von Ländern zu Handels- und Wirtschaftsblöcken bzw. supranationalen Zusammenschlüssen. Beispiele dafür sind etwa die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes oder die Entwicklung des nordamerikanischen Wirtschaftsraumes zur Freihandelszone NAFTA (vgl. Kap. 3.5.2). Bei diesem Prozess übernehmen gemeinsame Organe sukzessive Entscheidungsgewalt und Gestaltungsaufgaben, die bis dahin nur auf nationalstaatlicher Ebene umgesetzt wurden (vgl. HAAS/NEUMAIR 2006, S. 382).

Lokalisierung

Die nach „oben“ weisenden Veränderungen werden durch solche ergänzt, die nach „unten“ gerichtet sind. So zeigen sich vermehrt Tendenzen einer stärkeren regional-lokalen Orientierung von Politik und Wirtschaft. In der EU z.B. drückt sich dies durch die zunehmende Eigenständigkeit der Regionen in der Forschungs-, Technologie-, Bildungs- und Entwicklungspolitik aus. In föderal organisierten Staaten wie Deutschland kommt es zu Kompetenzverlagerungen auf die Bundesländer (vgl. OSSENBRÜGGE 2003, S. 164). Gleichzeitig stellt Lokalisierung aber auch den „Prozess der relativ kleinräumigen territorialen Integration und Vernetzung von Aktivitäten, der häufig mit einer Wiederaufwertung besonderer regionaler Qualitäten und Beziehungsgefügen verbunden ist“ (KRÄTKE 1995, S. 207), dar. Dies drückt sich in Standortkonzentrationen und kleinräumigen Netzwerkbildungen wie Clustern und Industriedistrikten aus.

Glokalisierung

Das insgesamt sehr komplexe Zusammenspiel und Nebeneinander unterschiedlicher Maßstabsebenen und ihre nicht hierarchisch strukturierten Beziehungen untereinander kommen im Begriff der Glokalisierung, einer begrifflichen Synthese aus Globalisierung und Lokalisierung, zum Ausdruck (vgl. HESS 1998; OSSENBRÜGGE 2007, S. 839).

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