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2.4 Multinationale Unternehmen als Träger der ökonomischen Globalisierung

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Multinationale Unternehmen

Multinationale Unternehmen (MNU) gelten als wesentliche Antriebskräfte des ökonomischen Globalisierungsprozesses. Im UN-Sprachgebrauch ist dann von einem MNU die Rede, wenn dieses in mehr als zwei Staaten Vermögenswerte kontrolliert (vgl. UNDESA 1973, S. 5). Für die Zuordnung eines MNU zu einem einzelnen Land ist der Hauptsitz des Mutterunternehmens ausschlaggebend. Nach Definition der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) kontrolliert ein Mutterunternehmen Teile eines ausländischen Unternehmens. Für diese Kontrolle ist – je nach Unternehmensform – eine Beteiligung von mindestens 10 % der Stammaktien oder der Stimmrechte erforderlich (vgl. BPB 2008).

Transnationale Unternehmen

Anstelle von multinationalen wird häufig auch von internationalen oder globalen Unternehmen gesprochen. Mit dem Begriff transnationales Unternehmen (TNU) ist dagegen eine Form der geographischen Unternehmensorganisation gemeint, die nicht bei allen international tätigen, grenzüberschreitend in mehreren Ländern operierenden Unternehmen vorausgesetzt werden kann. Während in MNU die Tochtergesellschaften in punkto Produktion, Beschaffung und Absatz vor Ort weitgehend autonom agieren, steht der Begriff TNU für eine geographisch gestreute Netzwerkorganisation. In dieser legt die Unternehmensleitung die teilautonomen Tochtergesellschaften auf strategische Unternehmensziele fest. Die Tochtergesellschaften übernehmen in den verschiedenen Ländern unterschiedliche funktionale Aufgaben. Die Produkte sind weitgehend an nationalen Erfordernissen ausgerichtet, beruhen aber auf gemeinsam konzipierten Basismodulen sowie gemeinschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (vgl. BPB 2008). Im Folgenden werden die Begriffe MNU und TNU synonym verwendet. Sie stehen für solche Firmen, die über die Macht verfügen, Aktionen in mehr als einem Land zu tätigen und zu kontrollieren.


Abbildung 2–1: Umsätze multinationaler Unternehmen versus Bruttoinlandsprodukte von Ländern im Jahr 2006 (UNCTAD 2008a; IWF 2008).

Multinationale Unternehmen in Zahlen

Im Jahr 2004 gab es rund 70.000 MNU mit 690.000 Tochterunternehmen. Zusammen beschäftigten die größten 100 MNU, von denen 85 innerhalb der Triade (vgl. Kap. 3.1) und davon 22 in den USA ihren Hauptsitz haben, im Jahr 2006 rund 15,4 Mio. Menschen (mehr als die Bevölkerung Belgiens und Irlands zusammen). Der Umsatz der weltweit 100 größten MNU betrug im Jahr 2006 rund 9239 Mrd. US-$, was ca. 17 % des weltweiten BIP ausmachte (vgl. BPB 2008; UNCTAD 2008a und 2008b). Besonders deutlich wird die immense ökonomische Bedeutung von MNU, wenn man ihre Wertschöpfung mit der von ganzen Volkswirtschaften vergleicht. Abb. 2–1 zeigt einen Vergleich der Umsätze der weltweit größten MNU mit den Bruttoinlandsprodukten einzelner Länder. Beispielsweise überragte der Jahresumsatz von Exxon Mobil im Jahr 2006 mit ca. 365 Mrd. US-$ knapp das jährliche BIP von Indonesien (ca. 364 Mrd. US-$) und deutlich das von Norwegen (ca. 337 Mrd. US-$).

Tabelle 2–1: Vorteile und Merkmale multinationaler Unternehmen (in Anlehnung an FÄßLER 2007, S. 193f.)

Organisationsvorteile Reibungslose Zusammenarbeit auf Grund der Zugehörigkeit von Partnern zum selben Unternehmen, erleichterte Planung und klare Weisungsbefugnisse
Privilegierter Kapitalzugang Wegen internationaler Positionierung verbesserter Zugang zu nationalen Kreditmärkten
Economies of Scale Steigerung des Auslastungsgrades durch Auftragsvergabe von eigenen, im Ausland sitzenden Betrieben
Synergieeffekte bei Forschung und Entwicklung Amortisation hoher Investitionen durch Nutzen für alle Unternehmensteile
Räumliche Aufteilung der Wertschöpfungskette Wahl von Standorten mit den jeweils günstigsten Produktionsbedingungen
Ausschaltung von Handelshemmnissen Umgehung von Importbeschränkungen und Zöllen durch Errichtung ausländischer Fertigungsstandorte
Standortkonkurrenz Angebot von Ansiedlungsanreizen (Subventionen, Steuervorteile, Zollfreiheit, günstige Darlehen, billige Flächen) durch strukturschwache Regionen und Länder
Marktnähe Anpassung von Produkten und Design an jeweiliges kulturelles Umfeld („think global, act local“)

Der ökonomische Erfolg von MNU beruht auf zahlreichen Gründen bzw. Vorteilen (vgl. Tab. 2–1). Vornehmlich dient die internationale Expansion der Unternehmenstätigkeit der Erweiterung und Sicherung des Absatzes oder der Verbesserung der Produktionsprozesse durch Effizienzsteigerungen und Kostenersparnisse. Im Zuge des schärfer werdenden globalen Wettbewerbs gilt es in diesem Zusammenhang einzelne Standorte miteinander abzuwägen. Die Orientierung an bestimmten Ansprüchen – einerseits an den niedrigsten Lohnkosten, den geringsten Steuersätzen sowie den schwächsten Umweltstandards, andererseits an der größten Innovationsfähigkeit, der höchsten Flexibilität sowie der besten Qualität – bedingt innerhalb eines MNU eine spezifische räumliche Arbeitsteilung.

Funktionalräumliche Arbeitsteilung

In einem räumlich gegliederten Produktionssystem sind die ausführenden Teilfertigungsschritte weltweit verstreut: Humankapitalintensive Prozesse befinden sich in den Agglomerationszentren der Industrieländer, sachkapitalintensive in den Peripherien höher entwickelter Länder, arbeitsintensive in Ländern mit niedrigen Lohnkosten (meist Entwicklungsländer) und umweltintensive in Staaten mit geringen Auflagen. Dagegen sind die strategisch-dispositiven Einheiten wie Management und Steuerung in den Zentren der hoch entwickelten Ländern (Global Cities, vgl. Kap 3.4), Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten meist in Zentren mit innovativem Umfeld (Nähe zu Universitäten, Forschungseinrichtungen und hoch qualifizierten Arbeitskräften) angesiedelt (vgl. KULKE 2005a, S. 6; 2005b, S. 7). In der Gesamtschau stellt ein MNU damit einen „Global Player“ dar, „der über das Potenzial verfügt, die gesamte Erdkugel als sein Spielfeld zu nutzen“ (FÄßLER 2007, S. 190; Tab. 2–2).

Tabelle 2–2: Funktionale Raumspezialisierung eines multinationalen Unternehmens (KULKE 2005a, S. 6, verändert)

Einheit Funktion Standort
Headquarter Strategische Entscheidung Zentren hoch entwickelter Länder (z.B. Global Cities)
Operational Headquarters Koordination und Kontrolle von Teileinheiten in Großregionen Zentren von großräumiger Bedeutung
Forschung und Entwicklung Weiterentwicklung von Produkten, Prozessen, Organisation Agglomerationen mit spezifischen Standortvorteilen (z.B. in Nähe zu Universitäten)
Endmontage Endfertigung des Produkts Agglomerationen mit guten Verkehrsverbindungen
Teilfertigung Produktion
• wissensintensiv Zentren hoch entwickelter Länder
• sachkapitalintensiv Zentren höher entwickelter Länder
• arbeitskostenintensiv Länder mit niedrigen Lohnkosten
• umweltintensiv Länder mit niedrigen Auflagen
Marketing Werbung Agglomerationen
Vertrieb Verkauf der Endprodukte weltweit gestreut

Outsourcing und Offshoring

Ein wichtiger Bestandteil der räumlichen Arbeitsteilung innerhalb von MNU sind „Outsourcing“ und „Offshoring“. Outsourcing ist ein Prozess, bei dem ursprünglich unternehmensinterne Wertschöpfungsaktivitäten extern ausgelagert werden. Offshoring hingegen steht allgemein für die Verlegung einzelner Wertschöpfungsaktivitäten in andere Länder, meist zur Nutzung von absoluten Lohnkostenunterschieden, gegebenenfalls aber auch zur Umgehung von Einfuhrbarrieren, zur Anpassung der Produkte an lokale Verbrauchererfordernisse oder aus absatzpsychologischen Gründen (Herkunfts-Goodwill). Werden dabei Ressourcen genutzt, die außerhalb des Verantwortungsbereichs des Unternehmens liegen, spricht man von „Off-shore Outsourcing“. Damit ist die Verlagerung von Arbeitsprozessen an externe Anbieter, meist lokale Unternehmen, durch Zulieferverträge gemeint. Werden die Tätigkeiten dagegen in Eigenregie durch ein Tochter- oder Partnerunternehmen, d.h. innerhalb eines MNU, erledigt, spricht man von „Captive Offshoring“ (vgl. ESCHELBECK 2009, S. 10ff.).

Ziel dieser Maßnahmen ist die Reduzierung der Leistungstiefe, mit der Unternehmen einen neuen Grad an Spezialisierung auf ihre Kernkompetenzen suchen und Wettbewerbsvorteile erlangen wollen. Dabei sind neben der standardisierten Lohnarbeit im Produzierenden Gewerbe auch sog. Back-office-Dienstleistungen (technischer Support, Lohn- und Gehaltsabrechnungen, Callcenter, Dateneingabe und -verwaltung, Telemarketing, Websitegestaltung etc.) Gegenstand dieser Entwicklung geworden. Auch hoch qualifizierte und gut bezahlte Tätigkeiten in der Industrie lassen sich mittlerweile an andere Standorte verlagern.

Beispiele für Offshoring bieten die Lufthansa und der Technologiekonzern Infineon, die Teile ihres Rechnungswesens nach Polen bzw. Portugal verlagert haben. Der Touristikanbieter TUI hat IT-Tätigkeiten nach Indien verlegt, ebenso die Deutsche Bank einen Teil ihres Zahlungsverkehrs. Die am Frankfurter Flughafen sitzende Deutschlandzentrale des Computerherstellers Dell unterhält ihr Callcenter für deutschsprachige Privatkunden in Bratislava. Teile der Personalverwaltung der in Hamburg ansässigen Europazentrale des Mineralölkonzerns ExxonMobil sitzen in Bangkok, während die automatischen Preistafeln an den Tankstellen von Mitarbeitern in Belgien gesteuert werden.

In Deutschland könnten einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zufolge rund 42 % aller Arbeitsplätze von Offshoring-Prozessen bedroht sein, wobei vor allem Tätigkeitsbereiche mit gut qualifizierten Arbeitskräften leicht verlagerbar sind. Tab. 2–3 zeigt den Grad der verlagerbarkeit ausgewählter Berufsgruppen.

Insgesamt beeinflussen Outsourcing und Offshoring nicht nur die organisatorischen Arrangements von Unternehmen, sondern intensivieren aus räumlicher Perspektive die Standortvernetzung und stärken die Bedeutung vormals weniger integrierter Standorte in globalen Wertschöpfungszusammenhängen (vgl. GLÜCKLER 2007, S. 846; 2008, S. 36f.; KULKE 2005a, S. 6; GAEBE 2008, S. 103; WAS 2009b).

Tabelle 2–3: Grad der Verlagerbarkeit ausgewählter Berufsgruppen (Quelle: WAS 2009b)


Rückverlagerung von Standorten

Alleine in Deutschland gehen durch Produktionsverlagerungen jährlich 74.000 Arbeitsplätze verloren. Dennoch kommt es aufgrund von Flexibilitäts-, Qualitäts-, Koordinations- sowie Kommunikations- oder Infrastrukturdefiziten an Niedriglohnstandorten immer häufiger auch zur Rückverlagerung von Standorten, was als „Insourcing“ bezeichnet wird. Innerhalb eines Zeitraums von fünf bis sechs Jahren verlagert jedes vierte bis sechste Unternehmen seine Produktion oder Teile davon wieder zurück (vgl. FRAUNHOFER ISI 2006). Ein Beispiel stellt das Unternehmen Steiff dar, das 2008 beschloss, die Produktion von Stofftieren von China nach Deutschland zurückzuholen. Als Gründe dafür waren ausschlaggebend, dass chinesische Firmen für die Herstellung von Kuscheltieren mit kompliziertem Schnitt nicht geeignet seien und China wegen der Produktion von gesundheitsgefährdendem Spielzeug in Verruf geraten ist. Als großes Problem stellten sich auch die langen Transportzeiten nach Deutschland von bis zu drei Monaten heraus.

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