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2.2.1 Globalisierung als entgrenztes wirtschaftliches Handeln – Eine begriffliche Eingrenzung

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Globalisierung aller Lebensbereiche

Der Globalisierungsbegriff ist längst ein fester, nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Alltagswelt unserer Zeit geworden, denn es existieren heute kaum noch Lebensbereiche, die nicht in ein Geflecht globaler Beziehungen und Abhängigkeiten eingebunden sind: „Wer sich um die Gesundheit seiner Kinder sorgt, wird sich mit der Herstellung von bleihaltigem Spielzeug in China auseinandersetzen. Wer in der Vorweihnachtszeit Lieferengpässe für Computer beklagt, könnte auf den Brand in einer indischen Chipfabrik verwiesen werden. Der Preisanstieg für Spargel ist eine Folge von Lohnerhöhungen in Polen, dessen Erntehelfer nunmehr auf die Saisonarbeit in Deutschland verzichten. Der Preis für ein warmes Wohnzimmer wird durch politische Konflikte zwischen Russland und der Ukraine mitbestimmt.“ (PRAXIS WIRTSCHAFT 2008, S. 4).

Catchword Globalisierung

Somit ist der Globalisierungsbegriff allgegenwärtig geworden und findet gleichzeitig in ökonomischen, kommunikationstechnischen, arbeitsorganisatorischen, kulturellen und zivilgesellschaftlichen Kontexten Verwendung. Aufgrund dieses inflationären Gebrauchs und der inhaltlichen Beliebigkeit ist Globalisierung „sicher das am meisten gebrauchte – missbrauchte – und am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag- und Streit-)Wort der letzten, aber auch der kommenden Jahre“ (BECK 1997, S. 42). Globalisierung gilt als „Schlüsselbegriff der Gegenwartsanalyse und (…) Epochenetikett des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ (FÄBLER 2007, S. 29).

Negativimage

In der politischen Diskussion wird der Globalisierungsbegriff insbesondere dann eingesetzt, wenn es darum geht, nach den Ursachen für eine wirtschaftlich, sozial oder ökologisch beunruhigende Situation in Ländern, Regionen und Gesellschaften zu suchen. Globalisierung wird dann zu einem mit negativen Konnotationen aufgeladenen Begriff, den viele Menschen mit kritischen Entwicklungen assoziieren. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Arbeit (Globalisierung der Niedriglöhne), Steuern (Steuerschlupflöcher, Steuerungerechtigkeit, Unterversorgung mit öffentlichen Gütern), Soziales (Absenkung gewohnter Sozialstandards), Umwelt (Ökodumping), politische Autonomie (Schwächung nationalstaatlicher Souveränität) und Sicherheit (Globalisierung der Kriminalität und des Terrorismus) (vgl. WALTER 2006, S. 202).

Begriffliche Merkmale

Jenseits polemischer oder ideologischer Verwendung besteht unter Wissenschaftlern aber keine Übereinstimmung darin, was unter dem Begriff Globalisierung zu verstehen ist. Um ihn sinnvoll einsetzen zu können, erscheint es deshalb hilfreich, die unterschiedlichen Inhalte, die durch ihn kommuniziert werden, und die verschiedenen Dimensionen, die er beinhaltet, kurz darzustellen.

Der Globalisierungsbegriff findet für alle Facetten internationaler Verknüpfungen Verwendung. Globalisierung ist als Prozess zu verstehen, in dem sich soziale Verflechtungen über immer weitere Räume ausdehnen (Expansion), mehr und mehr dichter werdende Interaktionsnetzwerke diese Räume durchziehen (Netzwerkverdichtung), aus denen sich globale Wechselwirkungen ergeben (Reziprozität), die den strukturellen Umbau der daran beteiligten Gesellschaften (Transformation) beschleunigen (vgl. FÄBLER 2007, S. 30).

Allgemein ist Globalisierung im Spannungsfeld zweier Phänomene angesiedelt:

 Entgrenzung meint die Herauslösung von Handlungszusammenhängen aus territorialen Bezügen und ihre zunehmende Loslösung aus dem physischen Raum (vgl. BATHELT/GLÜCKLER 2002, S. 263). Ökonomisch gesehen bedeutet dies die Erhöhung von Standortunabhängigkeit bzw. die Vervielfachung der Reichweite der räumlichen Koordinationsfähigkeit wirtschaftlicher Akteure. Globalisierung entfaltet sich daher nicht in spezifischen nationalstaatlichen, sondern in globalen Formen. Der Entgrenzung stehen „traditionelle“ lokalisierte, d.h. an konkrete Standorte gebundene Ökonomien (z.B. Lagerstätten für Rohstoffe, weiterverarbeitende Industrien) gegenüber.

 Mit Beschleunigung sind zeitliche Veränderungen durch die Zunahme von Transaktionsgeschwindigkeit und -intensität sowie das Erreichen von Echtzeitkommunikation bei der globalen Informationsübermittlung gemeint (vgl. OSSENBRÜGGE 2007, S. 836f.).

Zeit-Raum-Kompression

Durch das Zusammenwirken von Entgrenzung und Beschleunigung ergibt sich eine Zeit-Raum-Kompression („time-space-compression“), womit die zunehmenden Möglichkeiten gemeint sind, den Raum in immer kürzerer Zeit zu überwinden und damit soziale und ökonomische Strukturen und Prozesse tendenziell immer weiter räumlich ausdehnen zu können. Möglich wird dieses „Grenzenloswerden alltäglichen Handelns“ (BECK/LANGE 2005, S. 8) insbesondere durch Innovationen in der Verkehrstechnik (Container, Flugzeug) sowie der Informations- und Kommunikationstechnik (Satellitentechnik, Glasfaserkabel, Internet etc.) (vgl. Kap. 4.3 und DICKEN 2003, S. 89f.). Unter Zugrundelegung der Zeit-Raum-Kompression kann man Globalisierung als verändertes Verhältnis von Zeit und Raum begreifen und definieren als „Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt“ (GIDDENS 1996, S. 85).

Ökonomische Dimension von Globalisierung

Im Gegensatz zu dieser sehr allgemeinen, sozialwissenschaftlichen Definition, die offen lässt, um welche Ereignisse und Vorgänge es sich handelt, und damit bewusst impliziert, dass damit jegliche sozialen Phänomene gemeint sein können, steht hier stärker die ökonomische Perspektive im Vordergrund. Globalisierung bedeutet die Zunahme von Volumen und Frequenz des grenzüberschreitenden Austausches von Gütern, Kapital, Menschen und ihren Ideen und lässt sich demnach verstehen als „Prozess der weiträumigen Ausdehnung und Verknüpfung von Aktivitäten, der u.a. in einer wachsenden, regionale und nationale Grenzen überschreitenden Bewegung von Gütern, Kapital und Menschen zum Ausdruck kommt“ (KRÄTKE 1995, S. 208). Zu den wichtigsten Indikatoren der Globalisierung zählen daher das Wachstum von Außenhandel und Direktinvestitionen (vgl. Kap. 4.1 und Kap. 4.2).

Durch die Globalisierung entsteht ein geographisch weltweit verortetes Geflecht wirtschaftlicher Wertschöpfung, das als dynamisches Netzwerk flexibel interagiert. Dabei sind vor allem drei Elemente anzusprechen: Die wirtschaftliche Integration von Ländern durch die Verdichtung der weltweiten Marktverflechtungen und die Intensivierung der internationalen Faktormobilitäten (Arbeitskräfte, Sach- und Humankapital) (vgl. WALTER 2006, S. 202). Dadurch werden nationale Ökonomien sukzessive aufgelöst und wirtschaftliche Teilsysteme zu einer Weltökonomie verknüpft. Als treibende Kräfte dafür lassen sich multinationale Unternehmen (vgl. Kap. 2.4) und ihr Interesse an günstigen Produktionsbedingungen und einem freien Handel identifizieren.

Ebenen der ökonomischen Globalisierung

Die ökonomische Dimension der Globalisierung spielt sich auf den Ebenen des Handels, der Finanzwirtschaft und der Produktion ab. Wie stark die dabei geschaffenen ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Abhängigkeiten mittlerweile sind und wie schnell sich insbesondere krisenhafte Entwicklungen ausbreiten, zeigt die im Herbst 2008 einsetzende weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise (vgl. Kap. 2.2.2).

Messung von Globalisierung

Ökonomische Globalisierung kann man auf zweierlei Weise messen. Der Globalisierungsgrad beschreibt das bestehende Verhältnis zwischen Auslands- und Inlandsaktivitäten. Typische Kennzahlen sind z.B. die Außenhandelsquote (Anteil der Ex- und Importe am BIP), der Anteil ausländischer an den gesamten Beschäftigten in einer Volkswirtschaft, der ausländische Anteil am Eigenkapital, der Produktion oder des Umsatzes etc. Der Globalisierungsprozess ergibt sich durch den Vergleich der Wachstumsraten in- und ausländischer Aktivitäten und vermittelt ein dynamisches Bild von Globalisierung. Indikatoren wären hier z.B. das Wachstum der Außenhandelsquote oder der ausländischen Direktinvestitionen, die Entwicklung der Auslandsbeschäftigtenquote, der ausländischen Umsätze am Gesamtumsatz oder grenzüberschreitender Unternehmenskooperationen (vgl. KOCH 2000, S. 6).

Globalisierung versus Internationalisierung

Obwohl die Begriffe Globalisierung und Internationalisierung häufig gleichgesetzt werden, sind sie nicht als Synonyme zu verstehen. Als Internationalisierung gilt die geographische Ausdehnung ökonomischer Aktivitäten über nationale Grenzen hinaus. Unter Globalisierung wird eine weitergehende und komplexere Form der Internationalisierung im Sinne einer gesteigerten funktionalen Integration zwischen international dispersen ökonomischen Aktivitäten verstanden. Globalisierung ist quasi als fortgeschrittene Phase des Internationalisierungsprozesses zu begreifen (vgl. ZELLER 2001, S. 8; BATHELT/GLÜCKLER, S. 265). Umgekehrt gilt die Internationalisierung damit als Vorstufe bzw. Interimszustand zur Globalisierung.

Es lässt sich aber auch die Sichtweise vertreten, dass die Internationalisierung die Globalisierung als weitreichende Spezialform mit einschließt (vgl. KUTSCHKER/SCHMID 2006, S. 166). Globalisierung lässt sich damit als die „geographisch weitreichendste Form internationalen Marktengagements im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung des Weltmarkts“ (WELGE et al. 1998, S. 1) betrachten.

Nicht-ökonomische Dimensionen von Globalisierung

Auch wenn die ökonomische Dimension der Globalisierung als weltweite Vernetzung wirtschaftlicher Aktivitäten und Entgrenzung der Märkte in diesem Lehrbuch im Vordergrund steht, ist zu beachten, dass sämtliche Lebensbereiche von der Globalisierung tangiert werden. Sie stellt damit einen gesamtgesellschaftlichen Querschnittsprozess dar, der alle gesellschaftlichen Partialsysteme erfasst (vgl. FÄBLER 2007, S. 30). Neben der ökonomischen Dimension sind daher vor allem folgende Bereiche von Bedeutung (vgl. WENDT 2007, S. 329f.; BECK/LANGE 2005, S. 9ff.; OSSENBRÜGGE 2003, S. 164):

Kulturelle Dimension von Globalisierung

Durch die kulturelle Dimension der Globalisierung kommt es zu einer „Entörtlichung“ von Kultur, d.h. zur Lockerung ihrer Bindungen an einen Raum oder fixen Ort. Demokratie, Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, Umweltstandards etc. entwickeln sich zu universell akzeptierten Werten. Lebensstile, Ernährungsgewohnheiten, Mode und Musik orientieren sich mehr und mehr an westlichen Standards (McDonaldisierung, CocaColaisierung, Kalifornisierung). Da dies in fremden Kulturen aber auch als Bedrohung wahrgenommen wird und auf kompromisslose Ablehnung stoßen kann, markiert die kulturelle Globalisierung gleichzeitig die zentralen zukünftigen Konfliktlinien der Weltgesellschaft.

Soziale Dimension von Globalisierung

Im Bereich der sozialen Dimension der Globalisierung erzeugen Migrationen, d.h. die Wanderungen von Menschen zu potenziellen Arbeitsplätzen oder die Flucht vor schlechten Lebensbedingungen, die Loslösung von Kulturkreisen und sozialem Umfeld und damit eine Veränderung von Gesellschaftsstrukturen. Multikulturalisierung lässt den Stellenwert ethnischer Abstammung und nationaler Zugehörigkeit zurückgehen.

Politische Dimension von Globalisierung

Durch die politische Dimension der Globalisierung werden neue Formen politischer Regulation und Partizipation geschaffen. Ausgehend von der Ebene des Nationalstaates, kommt es einerseits zu einer Bedeutungsverschiebung in Richtung globaler Steuerungsmechanismen („Global Governance“), andererseits der subnationalen Ebene durch Aufwertung von politikgestaltenden Prozessen im regionalen Kontext (vgl. Kap. 2.5).

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