Читать книгу Hatschepsut - Heike Rüster - Страница 5

2. Kapitel

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Schlagartig ist das schreckliche Gefühl des Fallens vorüber. Stoff hüllt sich um meinen Körper und langsam erkenne ich Umrisse um mich herum. Diese erdrückende Finsternis, die mir bis vor wenigen Sekunden noch beinahe den Atem geraubt hat, ist verschwunden. Nach einigen tiefen Atemzügen erkenne ich meinen Schrank, daneben die kleine Kommode, die ich bei dem Händler unter meiner Wohnung erst letzte Woche gekauft hatte. Darüber hängt, wie immer ein bisschen schief, das Foto von meinen Eltern und mir bei ihrem letzten Besuch hier in Ägypten. Seit ich im letzten Sommer hierher ausgewandert bin, besuchen sie mich, so oft sie nur können.

Ich richte mich langsam auf und setze mich im Schneidersitz auf meinem Bett hin. Wieder einmal dieser schreckliche Traum, der mich schon seit einigen Wochen verfolgt. Genauer gesagt leide ich seit ziemlich genau zwei Monaten unter ihm, seit ich mit meiner Freundin Annabel auf diesem Basar war. Mit ihr zusammen habe ich den Schritt der Auswanderung nach Ägypten gewagt. Allein wäre ich dazu niemals in der Lage gewesen. Doch gemeinsam mit meiner Studienfreundin hatte ich diesen Traum verwirklichen können. Nachdem wir beide Ägyptologie studiert hatten, wollten wir nicht zu jenen hochstudierten und doch arbeitslosen Menschen gehören, wie es sie in Deutschland leider zu Hauf gibt. Als wir dann ein Job-Angebot als Reiseleiterinnen in Ägypten bekamen, zögerten wir nicht lange. Schon während unserer Studienzeit lernten wir Arabisch und waren damit sprachtechnisch bestens vorbereitet. So brachen wir in dieses große Abenteuer auf.

Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen: mein erster Besuch des großen Karnak-Tempels bei Luxor. Dieser war noch während meines Studiums. Ich war sofort fasziniert von dem etwa 3 km nordöstlich von Luxor gelegenen Tempel. Sein Eindruck, den er auf die Menschen gemacht haben muss, als er noch nicht von den Häusern der Stadt umgeben und somit vom Nil aus gut sichtbar war, muss gewaltig gewesen sein. Wie er dort am rechten Nilufer ruht und mit den jahrhundertelangen Erweiterungen an ihm doch lange nicht zum Stillstand kam.

Meine erste Führung: die Erfüllung meiner Träume. Als ich mit meiner ersten Touristen-Gruppe durch die drei von Mauern umgebenen Bereiche des Tempels schritt, um im zentralen Teil, dem Amun-Bezirk, eine kleine Pause zu machen, genoss ich die beeindruckten Gesichter der Besucher.

Meine Leidenschaft für diese prächtige Kultur mit anderen zu teilen, ist noch heute eines der größten Dinge für mich, die es auf der Welt gibt.

Nun führen wir fast täglich viele tausend Touristen durch das Land der Pharaonen und doch ist es für mich noch immer jedes Mal etwas Besonderes. Da jetzt im Sommer jedoch die Zahlen der Touristen auf Grund der hohen Temperaturen eher gering sind, haben wir ab und an ein wenig Zeit für uns.

Im Juni dieses Jahres drängelte dann Annabel: „Joanna, komm endlich. Wir leben nun schon fast ein ganzes Jahr hier und waren bisher kaum auf einem richtigen Basar. Ich meine nicht diese langweiligen Touristenbasare, auf die wir unsere Reisegruppen führen. Ich möchte endlich einmal mit dir über einen echten ägyptischen Markt schlendern. Lass uns nach all der Arbeit der letzten Monate ein wenig Spaß haben!“

Natürlich hatte sie Recht. Annabel hat eigentlich fast immer Recht, wenn es darum geht, die richtige Mischung aus Arbeit und Vergnügen zu finden. Deshalb überwand ich mich und traute mich mit ihr in die vollen Straßen. Bisher hatte ich solche Basare eher gemieden. Sie waren mir in der Regel zu voll und chaotisch. Da bin ich immer sehr dankbar, dass Annabel in diesem Fall ganz anders tickt und somit meine Einkäufe gemeinsam mit unserer englischen Freundin und Kollegin Cloe erledigt.

Wir zogen also durch die vollen Straßen Luxors und ich muss doch zugeben, dass ich es wider jede Erwartung genoss. Von allen Seiten strömten eifrige Händler auf uns zu und versprachen uns die schönsten Dinge zu den niedrigsten Preisen. Sobald man nicht wie ein typischer Einheimischer aussieht, wird man von allen und jedem für völlig dumm und steinreich gehalten.

Da wir das aber natürlich kannten, störte es uns kein bisschen. Aufdringliche Händler wurden ignoriert und damit schnell wieder vertrieben. Vor allem ich war wieder beeindruckt von dem Stimmengewirr, den vielen Farben und Gerüchen, die von den unterschiedlichsten Ständen auf uns hereinbrachen. Plötzlich fiel uns ein kleines Geschäft ins Auge. Es handelte sich nicht um einen mobilen Stand, sondern einen Laden. Annabel machte mich auf ihn aufmerksam. Er ging hinter den aufgebauten Ständen eigentlich fast gänzlich unter. Er wäre mir normalerweise gar nicht aufgefallen. Doch in diesem Moment fühlten wir beide uns von dem Lädchen regelrecht angezogen.

Offensichtlich verkaufte man dort Antiquitäten. Vor dem Geschäft wurden einige Holzstühle, kleine Tischchen und andere Einrichtungsgegenstände zum Verkauf angeboten. Als wir nähertraten wurde sogar unseren ungeschulten Augen schnell deutlich, dass es sich zwar um alte aber doch ziemlich wertlose Möbelstücke handelte.

Trotz der unscheinbaren Erscheinung waren wir beide auf eine Art und Weise von dem Lädchen fasziniert, die ich bis heute nicht genau erklären kann. Ohne auch nur noch ein Wort zu wechseln, steuerten wir beide gleichzeitig schnurstracks darauf zu. Im Inneren stießen wir auf weitere noch ältere Möbel, die lieblos übereinandergestapelt waren und mindestens ebenso wenig wert waren, wie die vor dem Laden. Sie strömten einen Geruch von Moder und altem staubigen Holz aus, der uns beinahe zu überwältigen schien.

„Hallo? Is-salamu aleikum! “, rief Annabel. Die einzige Antwort war völlige Stille. Der Lärm und Trubel des Basares war hier absolut nicht zu hören. „Ist da jemand?“, fragte ich auf Arabisch in den dunklen hinteren Teil des Verkaufsraumes. Daraufhin schien sich dort dann tatsächlich etwas zu regen. Ein leises Rascheln kam aus der Richtung, in der ich so eine Art Tresen zu erkennen meinte. Ich glaubte sogar eine Art Schatten auszumachen, der sich allmählich aufrichtete.

Ich starrte eine ganze Weile in die Dunkelheit des Ladens. Es fühlte sich an, wie in diesen Träumen, die mich nun verfolgen. Dieses Geräusch war… unheimlich.

„Is-salamu aleikum. Bikam? Wie viel?“, wiederholte Annabel die Begrüßung und zeigte dabei auf eines der Möbelstücke. Zweifellos tat sie das nicht, um es dann wirklich zu kaufen, sondern um überhaupt etwas zu sagen.

„Sie wollen es doch nicht kaufen. Das sehe ich von hier. Seit Sie in meinen Laden getreten sind, haben Sie es nicht ein einziges Mal angeschaut“, ertönte plötzlich eine tiefe Männerstimme in einem verständlichen Deutsch aber mit unüberhörbarem arabischen Akzent.

Sie kam allerdings nicht aus derselben Richtung, wie das Rascheln, sondern vielmehr aus Richtung des Einganges. Wir wandten uns erschrocken um. Neben dem Eingang saß ein großer Mann mit fast nubischem Aussehen. Er war von auffallender Körpergröße und hatte mit seiner schlanken Nase und den vollen Lippen beinahe europäische Gesichtszüge. Dabei war seine Haut fast schwarz und damit bei Weitem dunkler, als die eines durchschnittlichen Ägypters. Doch all das hätte mich nicht so verängstigt, wären seine Augen nicht strahlend blau gewesen. Dadurch schienen sie regelrecht zu leuchten und uns mit einem einzigen Blick zu durchbohren.

Ich hätte geschworen, dass er vor einer Sekunde noch nicht dort gesessen hatte. Wo war der hergekommen?

Während Annabel fast panisch nach der passenden Antwort suchte, drehte ich mich wieder zu der Stelle um, an der ich eben die Bewegung wahrgenommen hatte. Ich war mir zwar nicht ganz sicher, aber hatte plötzlich das Gefühl, sogar ein leises Atemgeräusch zu hören. Doch es war nicht der Atem eines Menschen, sondern der eines Tieres. Könnte es ein Hund gewesen sein? Wenn dem so war, musste es allerdings ein ziemlich großer sein.

Und mit einem Mal spürte ich ihn, den Blick aus zwei riesigen Augen. Ich konnte nichts erkennen, aber ich spürte etwas. Es durchdrang mich und kroch langsam tief in mich hinein. Mein Herz raste, doch ich war mir nicht sicher, ob es dies aus Angst oder einem ganz anderen, mir noch unbekanntem Grund tat.

Wie zu Stein erstarrt stand ich da und wartete, bis irgendetwas diesen Bann zu brechen vermag. Endlich hörte ich Annabel wieder. Sie sah mich voller Panik eindringlich an und raunte mir ins Ohr: „Lass uns gehen!!!“ Damit schien wieder Leben in meine Glieder zurückzukehren und ich schaffte es, mich zum Ladenbesitzer umzudrehen. Er fixierte mich, ebenso wie Annabel. Doch in seinem Blick spiegelte sich weniger Panik als vielmehr… ja was war es eigentlich?

Ich war mir nicht ganz sicher. Sollte es tatsächlich Erstaunen sein?

Schließlich sagte er etwas zu mir, das mir noch heute in meinen Ohren widerhallt, als höre ich es eben in diesem Moment erneut: „Wiedergekehrt bist Du aus dem Reich der Toten, den zu finden, der Dir einst das Leben nahm.“

Ohne jeden Einfluss darauf zu haben, antwortete ich: „Wiedergekehrt ihn zu finden, der nun unter den Lebenden wandelt, und mich zu rächen.“

Annabel verhinderte, dass einer von uns beiden diese kuriose Unterhaltung weiterführen konnte: „Also gut ihr beiden Spaßvögel. Ich weiß ja nicht, was ihr hier abziehen wollt, aber mich kriegt ihr nicht, klar? Ich versteh aus eurem Kauderwelsch kein Wort und will es auch nicht. Joanna, wir gehen! Klar?!“

Damit griff sie heftig und entschlossen meinen linken Oberarm und zog mich aus dem Laden. „Raus hier, klar?“

‚Klar‘, damit schließt Annabel so gut wie jeden Satz ab, wenn sie sich über etwas aufregt oder sich in einer Situation unwohl fühlt. Man kann sagen, dass die Anzahl an ‚klar‘ in ihren Sätzen proportional zu ihrer Unsicherheit wächst. Ich liebe es, sie damit aufzuziehen. Leider kramt sie dann immer irgendwelche uralten aber dafür umso peinlichere Geschichten aus unserer Studienzeit raus.

Als wir endlich aus dem Laden gestolpert kamen und den ersten Atemzug frische Luft einsogen, wurde auch Annabel wieder etwas ruhiger. Ihr Griff um meinen Arm lockerte sich wieder und auch ihren Schritten konnte ich allmählich wieder folgen.

„Was war das eben?“, fragte mich meine beste Freundin dann urplötzlich.

„Wie?“ Ich kam nur langsam auch geistig wieder auf den Straßen Luxors an.

„Das da im Laden! Was sollte der Mist? Ich meine, die Show war echt gut, aber wenn ich ehrlich sein darf, hatte ich heute echt keinen Bock auf Cabaret.“

„Annabel“, mir dröhnte wahnsinnig der Schädel und wenn ich heute daran denke, werde ich beinahe ein weiteres Mal von diesen schrecklichen Kopfschmerzen überwältigt, „Ich weiß echt nicht, wovon du redest? Denkst du wirklich, ich hab dir eben was vorgespielt?“

„Ja, das glaube ich. Obwohl ich zugeben muss, dass diese abgefahrene Sprache wirklich ein Meisterwerk war und wahnsinnig authentisch klang.“

Ich weiß nicht, wie lange wir noch diskutierten, bis wir uns dann wütend und gleichzeitig wohl auch verwirrt voneinander verabschiedeten. Bis heute behauptet Annabel, die Unterhaltung nicht verstanden zu haben und glaubt mir wohl noch immer nicht so ganz, dass das gesamte Geschehen echt war.

Hatschepsut

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