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6. Kapitel

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Ich verstehe zunächst gar nicht, was ich dort auf dem Spiegel erblicke. Es macht einfach keinen Sinn. Sind das etwa… ja das könnten tatsächlich Schriftzeichen sein. Aber ich verstehe sie nicht. Noch nie habe ich so etwas gesehen, obwohl ich während meines Ägyptologiestudiums viele Schriften sogar schreiben und lesen gelernt habe.

Dann dämmert es mir und in mir steigt eine leichte Wut hoch. „Annabel, das ist nicht komisch! Komm schon, wo hast du dich versteckt? Jetzt mach mich nicht noch wütender, ok?“

Eigentlich hätte ich in diesem Moment erwartet, dass aus irgendeiner Ecke meiner Wohnung plötzlich ein riesiges Gelächter ausbricht und dann eine sich totlachende Annabel und vielleicht noch dazu ein paar amüsierte Freunde irgendwo hervorspringen. Doch nichts passiert. Minutenlang stehe ich in meiner totenstillen Wohnung, allein.

Dann drehe ich mich wieder zu dem Spiegel um und wie aus dem Nichts bilden sich aus dem unlesbaren Gekrakel plötzlich Worte in meinem Kopf.

„Er wartet auf den Tag der Tage. Wenn Liebe zu Hass wird und Hass zu Liebe, wird er erscheinen. Nur die Auserwählte kann den Hass überwinden und das einzig Wahre vollbringen.“

Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Wer auch immer hier diese dummen Spielchen mit mir spielt, ich finde sie überhaupt nicht komisch und er sollte schnellstens damit aufhören.

Mittlerweile fast schon ärgerlich mache ich mich auf den Weg in die Küche. Ein heißer Kaffee ist jetzt das, was ich brauche. Während die Kaffeemaschine blubbert und das Wasser aus der Flasche (an Leitungswasser will sich mein empfindlicher, deutscher Magen einfach noch nicht gewöhnen), schaue ich verträumt aus dem Fenster. Nachdem ich nun schon eine Weile nur wenig Arbeit im Sommer hatte, wird mein Geld knapp. Ich hoffe nur, dass ich zur Saison im Winter wieder mehr als Reiseleiterin gebraucht werde. Ansonsten werde ich wohl demnächst auf sparsamem Fuße leben müssen, zumal es in Ägypten keinerlei staatliche Unterstützung gibt. Was man hier allein nicht schafft, das schafft man überhaupt nicht.

Nach der morgendlichen Routine mache ich mich auf den Weg in das Büro der Reiseagentur, für die ich tätig bin. Mit den mager bezahlten Büroarbeiten, die auch in der Nebensaison zu genüge bei uns anfallen, kann ich mich immerhin über Wasser halten. Nachdem ich endlich den Kampf durch das Verkehrschaos in Luxor gewonnen habe, werde ich schon beim Betreten des altmodisch eingerichteten Büros herzlich von Annabel begrüßt.

„Sabbah il cher!“, ruft sie mir mit einem breiten Lachen im Gesicht und einem Augenzwinkern zu.

„Sabbah il cher, danke. Mein Morgen war aber eher erschreckend als gut. Sag mal ehrlich, wer hatte die Idee?“

Annabel schaut mich unschuldig an. Sie kann tatsächlich gut schauspielern.

„Was meinst du denn?“, fragt sie mich dann.

„Du weißt genau, was ich meine! Wer von euch war das? Das war doch wieder eine Anspielung auf diese Sache damals auf dem Basar. Niemand sonst war mit in dem Laden und ich habe auch niemandem davon erzählt. Das heißt, dass du irgendwie damit zu tun haben musst. Also tu bitte nicht so, als wüsstest du von nichts! Ich finde daran nichts lustig. Es ist nicht lustig!!! Also lass es einfach bleiben, mich damit irgendwie zu ärgern.“

„Ok. Ich habe zwar immer noch keinen blassen Schimmer, wovon du gerade redest, aber gut.“ Ein bisschen eingeschnappt, so kommt es mir jedenfalls vor, dreht sich meine Freundin von mir weg.

„Der Spiegel Annabel!!! Ich rede von heute Morgen, die Zeichen auf dem Spiegel!“

Spätestens jetzt hätte ich erwartet, dass meine beste Freundin in lautes Gelächter ausbricht und mir versöhnlich um den Hals fällt. Aber nichts von alledem passiert. Stattdessen dreht sie sich mit bitterernster Miene zu mir um.

„Jetzt hör mir mal zu. Ich habe keine Ahnung, ich sag’s nochmal: KEINE AHNUNG, wovon du redest! Wenn du dich wieder ein bisschen beruhigt hast, dann würde ich wirklich gerne hören, was dir heute passiert ist. Aber hör bitte mit diesen ganzen Beschuldigungen auf. Das tut mir nämlich echt weh, dass du mir irgendwelche miesen Scherze zutraust. Ich bin deine Freundin, klar?“

Da war es wieder, DAS Wort: Klar. Mir dämmert allmählich, dass Annabel tatsächlich nicht weiß, worum es hier eigentlich geht.

„Tut mir Leid“, lenke ich dann meinen Irrtum ein, „aber wenn du nichts damit zu tun hast, wer…“

„Womit, Joanna, womit habe ich nichts zu tun?“

Wir setzen uns in die beiden Sessel, die eigentlich für Kunden gedacht wären, befänden sich welche hier. Da sich aber auch heute, wie seit vielen Tagen, kein Tourist in unser kleines Büro verirrt, nehmen wir hier wohl keinem den Platz weg. Während ich ihr meine morgendlichen Erlebnisse berichte, ist sie ganz still und schaut mich aufmerksam an. Zwischendurch nickt sie zustimmend und ergänzt dies mit einem kurzen „aha“ oder „hm“.

Als ich schließlich fertig bin, starren wir uns beide zunächst wortlos an. Verlegen nehme ich einen Schluck Wasser aus dem Glas, das seit gestern auf dem kleinen Tisch steht. Ich hatte es mir eingegossen, dann aber doch nicht getrunken. Angewidert verziehe ich das Gesicht. Warmes Wasser schmeckt echt… scheußlich!

Endlich bricht Annabel die Stille: „Also gut! Ich sag dir jetzt auch mal was.“

Ich möchte schnell noch etwas erwidern, ihr sagen, dass mir bewusst ist, wie verrückt und schwachsinnig das alles für sie klingen muss. Aber Annabel drückt ihren Zeigefinger auf meinen Mund.

„Nein, hör zu! Wenn ich dich nicht kennen würde, dann müsste ich dir wohl anraten, einen Arzt aufzusuchen. Aber ich weiß, dass du eigentlich nicht der Typ für Hokuspokus bist. Und ich habe dich auch noch nicht halluzinieren sehen. Deshalb glaube ich dir jetzt mal. Ich denke nicht, dass da übernatürliche Kräfte am Werk sind, klar? Aber irgendjemand verarscht dich da. Und niemand verarscht meine Joanna!“

„Annabel, du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin. Ich dachte schon, du lässt mich sofort in die Klapsmühle einweisen.“

Sie schüttelt den Kopf. Mit einem warmen Lächeln fasst sie mir an die linke Schulter. Dann wendet sie sich ab.

Hatschepsut

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