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EIN „MÄDCHEN AUS GUTEM HAUSE“ WIRD SCHAUSPIELERIN

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Der richtige Name der 1880 in Wien geborenen Tochter eines Chemieprofessors und einer ungarischen Pianistin lautet Ottilie Godeffroy de la Rochelle. Da sie trotz heftigen Widerstands der Mutter – der Vater war verstorben, als sie vierzehn Jahre alt war – darauf bestand, Schauspielerin zu werden, musste sie aus Gründen der Familienehre ihren Namen gegen den ihrer Großmutter tauschen. Sie nannte sich nun Tilla Durieux.

„In Wien, wo ich alsda geboren aufwuchs, gab es acht Schulklassen für Mädchen. Weitere Bildung wurde dem Geschmack und dem Geldbeutel der Eltern überlassen“,12 erzählt Tilla Durieux in ihren Erinnerungen. Die Mutter will aus der Tochter eine Pianistin oder zumindest eine Klavierlehrerin machen, sie auf einen bürgerlich akzeptablen Beruf vorbereiten und zwingt sie, täglich vier Stunden zu üben. Tilla hasst das Klavier, das ihr täglich vier Stunden Kindsein raubt, aber sie liebt es, wenn die Mutter spielt. Dann tanzt sie im Nebenzimmer, fühlt sich als Prinzessin oder Fee, erfüllt sich Wünsche in Tagträumen. Denn ihre Kindheit ist einsam. Sie wächst allein, ohne Geschwister auf. Noch als alte Frau wird sie von ihrer „einsamen, in Träumen versponnenen Kindheit“13 sprechen. Besuche im Wiener Burgtheater wecken in ihr den leidenschaftlichen Wunsch, Schauspielerin zu werden. Sie will ausbrechen aus der Enge ihrer bürgerlichen Herkunft in eine Welt, in der sich das Leben abspielt, buntes, facettenreiches Leben mit den Höhen und Tiefen, die sie sich in ihrer Fantasie ausmalt. Sie nennt es später ein „krankhaftes Sehnen nach einer anderen Welt, die doch irgendwo stecken musste. Einer Welt voller Geheimnisse und zugleich voller Wahrheit.14“

Als sie der Mutter diesen Wunsch gesteht, schlägt ihr „die fassungslose Frau“ ins Gesicht. Den Beruf einer Schauspielerin assoziiert man zu jener Zeit mit Oberflächlichkeit, Libertinage, sogar mit Prostitution, auf keinen Fall aber mit der Zukunft einer „höheren Tochter“. Die angebliche Freiheit der Schauspielerin wird als Bedrohung des Sittenkodex empfunden, der bürgerlichen Ehefrauen, vor allem aber den Töchtern auferlegt ist. „Nicht nur der Kreis meiner Eltern, sondern die ganze Welt hatte zu dieser Zeit andere Ansichten über die Erziehung junger Mädchen als heute. (…) Wenn einen Beruf auszuüben an sich schon damals für ein Mädchen eine Degradierung bedeutete, wie viel mehr stellte sich eine werdende Schauspielerin abseits von allem Erlauchten und Hergebrachten.“15

So mag man vielleicht die Ohrfeige erklären, mit der Tillas autoritäre Mutter auf den Berufswunsch der Tochter reagiert. Aber Tilla verfolgt ihn hartnäckig und erkämpft sich schließlich den Besuch der Theater- und Vorbereitungsschule des Wiener Hofschauspielers Karl Arnau. In der Saison 1899/​1900 macht sie ihre ersten Bühnenerfahrungen und erlebt am Wiener Raimundtheater in der Rolle der scheidungswilligen, lebenslustigen Cyprienne im gleichnamigen Lustspiel von Victorien Sardou den ersten Publikumserfolg. 1901 wird sie in Olmütz von Direktor Lesser trotz ihres „Ponems“ unter Vertrag genommen. „Eine Saison Olmütz, eine Saison Breslau, und schon landete ich bei Max Reinhardt in Berlin.“16 Es ist ein Blitzstart.


Tilla Durieux im Jahr 1910

Alles, was ich wollte, war Freiheit

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