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DIE SCHATTEN DES NATIONALSOZIALISMUS

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1927 wird die „Piscator-Bühne“ am Berliner Nollendorfplatz eröffnet. Piscators Inszenierungen von zeitgenössischen Stücken und Romanen wie Ernst Tollers „Hoppla, wir leben!“ oder „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ nach Jaroslav Hašek beeindrucken durch bühnenästhetische Innovationen mit Film-, Ton- und Bühnenbildeffekten. Piscator bringt politisches Theater auf die Bühne, das im Publikum ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, die Welt zu verändern, wecken soll. Tilla Durieux kommt in Kontakt mit Bert Brecht, dem Reporter Egon Erwin Kisch, dem Journalisten Leo Lania und dem Propagandisten der Sowjetunion, Ilja Ehrenburg. Was sie alle eint, sind die Angriffe der Presse. Die Nationalsozialisten haben sich bereits zu mächtigen Verbänden zusammengeschlossen. Trotz zahlreicher Besucher kann die„Piscator-Bühne“ nicht gewinnbringend agieren und muss geschlossen werden, was hämisch kommentiert wird. Nun zieht sich die Durieux vorübergehend vom Theater zurück und veröffentlicht 1928 verschlüsselt ihre Erinnerungen in dem Roman „Eine Tür fällt ins Schloss“ im Berliner Horen-Verlag.

Das Berlin der Jahre zwischen 1924 und 1929, die „Goldenen Zwanzigerjahre“, bringt eine ungeheure Vielfalt in den Bereichen Kunst, Unterhaltung, Technik und Verkehr. Das Nachtleben nach amerikanischem Muster bietet unendlich viele Möglichkeiten, sich zu unterhalten und zu amüsieren. Abend für Abend strömen Tausende, die über das nötige Geld verfügen, in die Tanzpaläste, Kabaretts, Theater, Kinos und Cafés. Der überwiegende Teil der Bevölkerung kann sich diese Vergnügungen jedoch nicht leisten und kämpft mit Not und Arbeitslosigkeit, die durch die Weltwirtschaftskrise von 1929 verstärkt wird.„Überall, wohin man blickte, gab es Elend und Hunger. Berlins Straßen standen voller Arbeitsloser und Bettler, die Jugend verkam“,41 schreibt Tilla Durieux. Hitlers Aufstieg beginnt: „Ich wusste, dass nicht nur rheinische Industrielle, sondern auch Berliner Banken und Konzerne Hitler Geld zufließen ließen, keiner erkannte die Gefahr.“42

Tilla Durieux und Ludwig Katzenellenbogen heiraten am 12. Februar 1930. Tilla kann ihren mondänen Lebensstil beibehalten und sich jeden Luxus leisten. In ihrer Wohnung hält sie sich einen Papagei, einen Hund, zwei Siamkatzen, ein Terrarium mit Alligatoren und ein Aquarium mit Zierfischen. Katzenellenbogen hatte ihr Vermögen gut investiert. Aber der rasante Kurssturz im Zuge der Weltwirtschaftskrise lässt sein Vermögen und auch das seiner Frau schwinden. Am 28. Oktober 1931 wird Katzenellenbogen verhaftet. Die Anklage lautet auf Bilanzfälschung und Untreue, der bis dahin hoch angesehene Unternehmer wird zu drei Monaten Gefängnis und zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Prozess, der große Aufmerksamkeit erregt, und die vielfach antisemitische Berichterstattung der Presse machen aus Katzenellenbogen einen gebrochenen Mann.

Tilla Durieux steht nach all den Aufregungen wieder auf der Bühne und erntet Lob von Presse und Publikum. Sie unternimmt Gastspielreisen ins Ausland, unterrichtet am Mozarteum in Salzburg und unterstützt ihren Ehemann bei seinen Versuchen, sich eine neue Existenz aufzubauen. Doch jetzt ist Hitler an der Macht. Am 31. März 1933 werden die Schauspieler während der Vorstellung gewarnt, dass für den nächsten Tag ein „Juden-Boykott“ und eine Demonstration vor dem Theater geplant seien. Tilla und ihrem Mann wird dringend zur Flucht geraten. „Die Vorstellung schloss um einviertel vor elf, um elf ging der Zug über Dresden nach Prag. Zum Glück befand sich der Bahnhof ganz in der Nähe des Theaters, und fünf Minuten vor Abgang konnte ich den Zug erreichen“43, schreibt sie in ihren Erinnerungen.

In dem Zug sitzen Theaterdirektoren, Rechtsanwälte, Journalisten, Schriftsteller – alle auf der Flucht vor den Nazis. Nach Prag geht es für das Ehepaar Katzenellenbogen weiter in die Schweiz nach Ascona. Tilla spielt in der Schweiz, in Holland, in Skandinavien, im Elsass, in der Tschechoslowakei und in Österreich. Sie könnte zwar in der Schweiz bleiben, aber Katzenellenbogen wird steckbrieflich gesucht und muss das Land verlassen. Das Paar sucht Zuflucht in Zagreb in Jugoslawien. Von dort aus unternimmt Tilla Gastspielreisen, unter anderem auch nach Wien, wo sie in Gorkis „Nachtasyl“ auftritt. Sie wundert sich über die in Wien herrschende Euphorie:

„In Wien befand sich die Bevölkerung in nervöser Stimmung. Sehr erstaunt war ich, als meine alten Bekannten sich für das Regime in Deutschland begeisterten und unbedingt für den Anschluss waren, von dem sie sich ein Aufblühen der österreichischen Wirtschaft erhofften. Stundenlang redete ich auf sie ein, um ihnen klarzumachen, dass dieses Regime ihnen nur einen trügerischen Wohlstand bringen könnte.“44

Ludwig Katzenellenbogen investiert die Reste seines Vermögens in eine Firma zum Bau von Autobussen, doch das Unternehmen geht in Konkurs. Tilla verkauft Bilder und steckt den Erlös in das heruntergekommene „Hotel Cristallo“ in Abbazia, das heutige „Hotel Kristal“ in Opatija. Es wird renoviert und ist bald voll belegt. Tilla spielt jetzt die Rolle der Gastgeberin und tritt bis 1938 auf Bühnen in Wien, Prag und Budapest auf. Am 12. März 1938 erfolgt Österreichs „Anschluss“ an Deutschland, die ersten Judenverfolgungen beginnen. Tilla und Katzenellenbogen geben das Hotel in Abbazia auf und flüchten wieder nach Zagreb. Bei ihrem ersten Aufenthalt dort hatte Tilla durch Zufall die Gräfin Zlata Lubienski kennengelernt, die, wie sich später herausstellt, mit ihr verwandt ist.

Alles, was ich wollte, war Freiheit

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