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20.

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Der TV-Moderator, ein hübscher und netter Bursche, den jede Mutter zum Schwiegersohn hätte haben wollen, stand an der Rampe der Bühne des mittelgroßen Studios und kündigte seinen nächsten Gast dem Publikum an: „Und nun begrüßen Sie mit mir unseren Innenminister, Herrn Doktor Manfred Krahl!”

Höflicher Beifall quittierte seine Ankündigung. Im Hintergrund der Bühne öffnete sich ein großes goldfarbenes Portal, als träte der Erzengel Gabriel persönlich auf. Aber nur die hagere, in einen dunkelblauen Anzug mit Weste gekleidete Gestalt des Innenministers erschien. Die Frisur mit einem korrekten Scheitel, die Haarfarbe in einem für sein Alter etwas unecht aussehenden Schwarz, auf der Nase seine bekannte randlose Brille.

Der Moderator begrüßte ihn mit Handschlag und geleitete ihn unter leichtem small talk zu einem Portal aus Plexiglas, umfasst von einem dünnen Chromstreifen und bewacht von einer Person in der Uniform eines Grenzbeamten, die auf einen kleineren Monitor blickte. Als der Innenminister nach einer leichten Handbewegung des Moderators das Tor durchschritt, ertönte ein leichtes ”Piep!” und der Monitor zeigte eine Textzeile, die von einer Studiokamera auf die Großbildleinwand des Raumes übertragen wurde:

Krahl, Dr. Manfred ID 0502672977818

Danach nahmen der Moderator und der Innenminister auf der in der Mitte der Bühne stehenden Sitzgruppe Platz, als wären sie aufgezogene Schaufensterpuppen. Der Kameragalgen schwenkte wie eine torkelnde Achterbahn auf die Großaufnahme der beiden bedeutenden Persönlichkeiten.

„Ja”, begann der Moderator, „vielen Dank erst einmal, dass Sie gekommen sind und dass Sie uns die Personenschleuse aus Ihrem Ministerium zur Verfügung gestellt haben. Sie ist identisch mit allen anderen, die an Flughäfen, in den Eingängen von Warenhäusern und Theatern und vielen anderen öffentlichen Gebäuden stehen, nicht wahr?”

„Ja, das ist korrekt”, antwortete der Minister, „und um Ihre Frage gleich vorwegzunehmen, dabei erfolgt nur eine Identitätsfeststellung durch den jeweiligen Sicherheitsbeamten, der noch zusätzlich einen Abgleich mit dem Identitätsdokument selbst vornehmen kann, aber meist nicht muss. Mit anderen Worten: es werden nur die RFID-Chips der Hausausweise gelesen.”

„Das heißt, wenn ich jetzt in Ihren Ausweis des Innenministeriums blicken würde, dann könnte ich sehen, dass Sie tatsächlich Herr Doktor Manfred Krahl sind.”

„Genau!“

„Und der ePass, funktioniert der genauso?“

„Nein, dort ist es ganz anders. Das ist ein offizielles Identitätsdokument mit zusätzlichen biometrischen Daten. Darin haben wir zusätzliche digitale Sicherheitsmerkmale. An einer Passkontrolle, zum Beispiel auf dem Flughafen, liest ein optisches Lesegerät die auf dem Dokument gedruckte maschinenlesbare Zone aus. Erst nach dieser Authentifizierung wird der Funkchip ausgelesen.“

„Dann wissen wir genau, wer Sie sind. Dass Sie nicht mit einem falschen Ausweis unterwegs sind.“

Noch immer war die Stirn des Innenministers in Großaufnahme schweißfrei und seine Mimik entspannt. Lange sollte das nicht mehr so bleiben.

„So ist es... und wenn Sie noch Zweifel hätten, dann könnten Sie meine biometrischen Daten, zum Beispiel meinen Fingerabdruck oder meine Gesichtsform, mit den Informationen in den Datenbanken vergleichen. Das wäre zwar aufwendig, gibt uns aber dieses hohe Maß an Sicherheit, das wir uns angesichts der immer weiter steigenden Kriminalitätsrate und der Terrorgefahr wünschen.”

Fast mechanisch folgte der Moderator dem abgesprochenen Text: „Dann müsste aber das Lesegerät mit den Datenbanken verbunden sein!?” Das Publikum begann sich zu langweilen.

„Ja, der kleine Kasten da neben der Schleuse kann mit einem Ausgang zum Internet oder zu internen Rechnernetzen versehen werden.”

„Besteht da nicht die Gefahr, dass Unbefugte die Daten lesen oder gar verändern?”

„Nein, das ist völlig unmöglich. Unsere Kryptographen haben lange daran gearbeitet, den Chip sicher zu machen. Alle Daten sind verschlüsselt. Sie können nur von speziellen Apparaten geschrieben oder verändert werden. Die Chips auf den Pässen sind sicher, absolut sicher.”

„Nun”, sagte der Moderator und blickte in die Kamera, die in Richtung des Publikums stand, „das waren die offiziellen Aussagen der Regierung. Wir haben allerdings noch einen anderen Experten geladen, den Sie bitte mit mir zusammen begrüßen wollen.“

Damit war er aufgestanden und in Richtung des goldenen Portals gegangen, das sich nun langsam öffnete und eine im Gegenlicht nicht sofort erkennbare Gestalt zeigte.

„Es ist unser Innenminister, Herr Doktor Manfred Krahl!”

Nun stand der neue Gast auf der obersten Stufe der Freitreppe, und das Publikum erkannte die hagere, in einen dunkelblauen Anzug mit Weste gekleidete Person, die Frisur mit dem korrekten Scheitel in der bekannten künstlichen Haarfarbe und die randlose Brille. Nach einem kurzen Erstaunen klatsche der Saal wie besessen: jeder kannte den Kabarettisten Tomas Stirling, der fast jede Person des öffentlichen Lebens täuschend echt imitieren konnte.

Auch er wurde vom Moderator mit Handschlag begrüßt und durch die Schleuse geleitet, die erwartungsgemäß seine Identität bestätigte:

Stirling, Tomas ID 2712799401254

Es war wirklich phantastisch, wie Stirling den hölzernen Gang und die schnarrende Stimme des Ministers imitieren konnte, ebenso wie seine Mimik und seine Kopfbewegungen. Die Begrüßung der beiden ?­­ der echte Minister hatte ein süßsaures Lächeln aufgesetzt, das Stirling sofort kopierte ?­­ erinnerte an den berühmten Film ”Die Feuerzangenbowle” mit Heinz Rühmann: ”Schnauz I und Schnauz II stehen sich gegenüber”.

„Nun, da muss ich mir leider widersprechen”, sagte Stirling alias Krahl, „der Chip kann von Hackern gelesen werden. Das Änderungsdatum ist uncodiert, und mit dessen Hilfe kann der Code für die anderen Daten ermittelt werden, die dann damit auch lesbar sind.”

„Da bin ich nicht Ihrer Meinung”, entgegnete der Minister, „der Code wird über ein kompliziertes Verschlüsselungsprogramm ermittelt. Oder Sie müssten ihn jeden Tag aus dem Internet abschreiben, wo er aber auch durch Passwörter geschützt ist.”

Stirling hatte sich offensichtlich sachkundig gemacht und spielte weiter die Rolle Krahls so echt, dass er teilweise von Beifallsstürmen des Publikums unterbrochen wurde. Außerdem kopierte er nicht nur seine Stimme perfekt, sondern schlüpfte auch in seiner Formulierung in den Mantel seines Opfers: „Ich bin nicht meiner Meinung, im Gegenteil! Abgesehen davon, dass man das gesamte Lesegerät klauen könnte...”

„... geht nicht, es funktioniert nur nach vorhergehender Initialisierung und zerstört sein Decodierungsprogramm selbst, wenn es in unbefugte Hände...”

„... abgesehen davon: nennen Sie mir einen Code, den man "nicht knacken...”

„... diesen hier...”

„... ist doch alles nur theoretisch!“

„Theoretisch können Sie auch in die Bank von England einbrechen oder in das Fort Knox, nur geschafft hat es noch keiner! Und außerdem, wie ich schon sagte, der Pass muss vorher von einem speziellen Gerät optisch gelesen werden und gibt erst dann eine gesicherte Kommunikation mit dem Funkchip frei.”

Ein Punkt für den Minister? Oder eine Falle, die er sich gerade selbst gestellt hatte? Die Ringrichter im Publikum waren sich noch nicht einig, da kam schon der entscheidende Konterschlag: „Wozu funken sie dann überhaupt? Dann könnte doch auch der Chip auf dem Lesegerät direkt ausgelesen werden!“

Krahl schwieg betroffen und trat dann, sichtlich sauer, den Standard-Rückzug an: „Die technischen Einzelheiten kann ich Ihnen natürlich nicht nennen. Meine Fachleute sagen mir: der ePass kann nicht unbemerkt über Funk gelesen werden.“

„Und unsere Fachleute haben es gerade vorgemacht.“

Krahl dampfte vor verhaltener Wut. Kleine Tröpfchen hoben die Schminkschicht auf seiner Stirn wie Gasblasen eine glühende Lavaschicht. Seine Stimme wurde leise und scharf: „Der Pass ist sicher!“

Stirling schien einzulenken, obwohl die meisten Zuschauer im Publikum jetzt auf die Entgegnung „Die Renten sind sicher!” gewartet hatten, was einen garantierten Lacher ergeben hätte.

Der Kabarettist hatte blitzschnell einen anderen Gag zur Hand: „Der Pass ist sicher...”, wiederholte er im Ton des Ministers ?­­ und nach einer kurzen wirkungsvollen Kunst­pause: „... so wahr ich der Innenminister bin!”

Nun hatte er seinen Lacher. Das Publikum geriet außer Rand und Band. Die Einpeitscher brauchten ihre Tafeln mit der Aufforderung zum Beifall gar nicht mehr hochzuhalten.

Jetzt war es an der Zeit für den Moderator, einzugreifen. Infotainment von über 5 Minuten Dauer verpufft beim Zuschauer in der Regel. Zum Publikum und in die Kamera gewandt versuchte er, den sich anbahnenden ernsthaften Streit zu beenden: „Sie sehen, meine Damen und Herren, das Thema ist noch immer kontrovers. Und jeder Sachverständige hat seine eigene Meinung. Vielleicht können Sie sich in wenigen Minuten Ihre eigene Meinung bilden. Herr Stirling, äh, Verzeihung, Herr Minister, wir danken Ihnen für Ihr Kommen!”. Mit diesen Worten führte er die Person, die ?­­ trotz aller Künste des Kabarettisten ?­­ Tomas Stirling war, durch die Schleuse zur Treppe. Und die Schleuse zeigte

Krahl, Dr. Manfred ID 0502672977818

Mit schnellen Schritten war er wieder beim Minister, dankte ihm und nötigte ihn fast hastig durch die Schleuse. Auf der Großbildwand erschien die Anzeige:

Piepenbrinck, Paul-Werner ID 3003680983321

ACHTUNG: z.Zt. Vorsorgegewahrsam Strafanstalt Schloßberg N

Aus der Kulisse tauchten zwei Polizisten auf und geleiteten den verdutzen Minister die Treppe hoch und durch das Portal nach draußen.

Nach einer kurzen Schrecksekunde johlte und trampelte das Publikum. Der Moderator konnte sich kaum Gehör verschaffen: „Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung! Wir haben die Pässe nicht nur gelesen, sondern auch verändert. Aber keine Angst: Tomas Stirling erhält seine Identität zurück! Und nun zum nächsten Thema...”

Der Schnüffel-Chip

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