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Der Tag, an dem Okambo Ozamba starb, war ein Mittwoch. Der erste Mittwoch im März, um genau zu sein.

Eigentlich hatte er mit einer guten Nachricht begonnen...

Okambo war gegen acht Uhr erwacht und hatte vom Bett aus den erbarmungslos an die Scheiben trommelnden Regen und den heulenden Wind bemerkt. Da hatte er beschlossen, die Wärme des Bettes nicht so schnell gegen die kalte und ungemütliche Wohnung zu tauschen. Auf der Fensterbank des Flügels mit dem fehlenden Wasserschenkel hätte sich eine Pfütze gebildet, läge dort nicht seit Monaten ein zusammengerolltes, inzwischen stark müffelndes altes Handtuch, das an Regentagen wie diesem mehrmals täglich ausgewrungen werden musste. Eigentlich hätte er aufstehen müssen, um das zu erledigen, denn schon lief ein schmales Rinnsal aus dem Stoff die Fensterbank hinab.

Doch er hatte sich nicht einmal aufraffen können, die Etagenheizung anzustellen, die er über Nacht aus Sparsamkeit abgeschaltet hatte. So hatte er nur dagelegen und die spärlichen Möbel angestarrt, die herumstanden und sich nichts zu sagen hatten. Während der Wind feuchtkalte Luft und einen undefinierbaren Essensgeruch durch die Ritzen der undichten Fenster trieb, hatte er auf einen Grund zum Aufstehen gewartet. Doch dann war der Anruf gekommen. Eddie, einer seiner wenigen weißen Freunde, hatte stolz und im üblichen barschen Ton, den er für männlich hielt, verkündet: „Deine Kiste ist fertig, ich habe ’ne Scheibe gefunden... wie find’ste das? Nun räum’ aber die Schleuder vom Hof, ich brauch’ den Platz, und zwar dalli!”

Das hatte seine Stimmung gehoben und ihn aus seiner Lethargie befreit. Eine ganze Woche mit öffentlichen Verkehrsmitteln war stressig gewesen, und er hatte es kaum geschafft, seine zwei Jobs rechtzeitig zu erreichen. Mit dem Auto war das kein Problem gewesen, aber es hatte ja so kommen müssen in der Gegend, in der er in seiner winzigen Zweizimmerwohnung hauste. Zwei Bike Ripper hatten ihm morgens an der dritten Ampel mit ein paar Hammerschlägen die rechte Scheibe zertrümmert, sich seine auf dem Nebensitz liegende Laptop-Tasche geschnappt und waren auf ihrem Motorrad um die Ecke verschwunden, noch ehe er hatte reagieren können. Gott sei Dank waren nur seine darin befindlichen Sandwichs ihre Beute gewesen, neben der Tasche selbst natürlich ?­­ auch sie hatte Geld gekostet. Und seinen neuen Pass mit den biometrischen Daten auf dem Chip, sein wichtigster und kostbarster Besitz, den trug er sowieso immer am Körper tief in seinen Taschen vergraben.

Besonders dieser Ausweis war es gewesen, der ihm den Vorwurf seiner Frau eingebracht hatte, er habe sie nur wegen der Staatsbürgerschaft geheiratet. Von Anfang an hatte die Beziehung auf Missverständnissen beruht. Sie hatte eigentlich nur den exotischen feurigen Liebhaber gesucht. Und er konnte nicht einmal mit einem Kondom richtig umgehen. Eddie, sein Freund, hatte ihn immer gewarnt vor „Sex-Kontakten zu Weibern, die nur mal einen schwarzen Schwanz ausprobieren möchten.” Doch er hatte sich nach emotionaler Wärme gesehnt in dieser Welt, in der er ständig fror, und war nach ihrer ersten Nacht bei ihr geblieben. Aber sie war arrogant und kalt, und nur morgens im Bett genoss er ihre körperliche Wärme. Jetzt litt er unter dem Verbot, seinen dreijährigen Sohn zu sehen, den sie herabsetzend immer „das Milka-Baby” nannte. Und seine Wohnung war jetzt kalt und leer und ohne jegliches Geräusch eines menschlichen Wesens.

Die hohen Unterhaltszahlungen seit ihrer Scheidung hatten ihn gezwungen, die zwei Jobs anzunehmen, legale immerhin mit allen Papieren. So war er tagsüber Gärtner in einer exklusiven Wohnanlage und abends Gebäudereiniger in Banken und Büros. Da brauchte er das Auto, so alt und klapprig, wie es war, denn die Fahrten mit den Bussen, die immer öfter wegen der Smog-Fahrverbote notwendig waren, waren extrem zeitraubend und umständlich.

Okambo hatte sich seine Wohngegend ja nicht aussuchen können. Die Höhe der Miete bestimmte sein soziales Umfeld, und das war überhaupt nicht zu seiner Zufriedenheit. Der hohe Anteil an Ausländern, insbesondere Jugendlichen, machte ihn – den Schwarzen – zu einer beliebten Zielscheibe von Aggressionen. Jeder, der nur eine Spur hellere Haut hatte als er, glaubte höher zu stehen als “dieser Kongoaffe“. Angriffe, mit denen er alleine fertig werden musste, denn er war kein Mitglied irgendeiner Bande, die ihn hätte schützen können, und die Polizei traute sich auch nur in Notfällen und beachtlichen Mannschaftszahlen in diese Gegend. Nicht einmal die Müllabfuhr kam regelmäßig, und entsprechend sah es aus.

Nun war er auf dem Weg zur Bushaltestelle, den Kragen seines warmen cremefarbenen Raglan-Mantels aus dem Secondhand-Shop hochgeschlagen. Eine große, kräftige Gestalt mit aufrechtem Gang, allein auf weiter Flur. Der starke Regen hatte kurz nach dem Aufstehen aufgehört, und er hatte sich entschieden, lieber nicht zu frieren als sich nur mit seinem dünnen Regenmantel zu schützen. Es schien ja dieses Jahr überhaupt nicht Frühling werden zu wollen. Dunkle Wolkenfetzen jagten über den Himmel und ab und zu fegte eine Bö die Straße entlang. Es fiel nur noch ein leichter Nieselregen, kaum zu merken. Er legte sich auf die pelzigen Härchen seines Mantels wie Nebeltröpfchen auf ein Lotusblatt. Derselbe feine Überzug bedeckte seine kurzen gekräuselten Haare wie ein Brautschleier bei einer afrikanischen Hochzeit.

Gemächlich, doch mit festem und weiträumigem Schritt ging er die Straße entlang. Den Bus um 9 Uhr 35 würde er noch gut erreichen. Die Häuserzeilen der grauen Mietskasernen, durch einfallslose Graffiti verunstaltet, begleiteten ihn in ihrer Eintönigkeit, nur unterbrochen von einem nicht minder hässlichen brach liegenden Grundstück, dessen Gestrüpp, von Müllbeuteln und Unrat bedeckt, erst wenige grüne Spuren zeigte. Hier spielten oft Kinder, doch zu dieser frühen Tageszeit war noch niemand zu sehen.

Als ein kurzer Sonnenstrahl ein paar undefinierbare Blümchen am Anfang des verwilderten Grundstücks beleuchtete, lächelte er. Sein Auto war fertig, und es würde nicht viel kosten. Eigentlich begann der Tag doch ganz gut.

Der Schnüffel-Chip

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