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Zweiter Brief.
Antwort.

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Inhaltsverzeichnis

Mein Gott, Cousine, was für Vergnügen hat mir dein Brief gemacht! Reizende Predigerin! .... reizend in der That. und dennoch Predigerin .... predigend zum Entzücken. Aber Thaten, nicht so viel Redens! Der athenische Architekt .... der so schön zu sprechen wußte .... du weißt ja .... in deinem alten Plutarch .... Alles herrlich beschrieben, ein wundervoller Tempel! .... Sobald er ausgeredet, kommt der andere, ein schlichter Mann, ernsthaft, gesetzt .... wie Einer, würde deine Cousine Clara sagen .... mit einer tiefen Stimme, langsam, ja, etwas durch die Nase .... „Was der da gesagt hat, das werde ich machen." .... Er schweigt; Händeklatschen. Fort mit dem Phrasenmanne [Plutarch erzählt, daß von zwei Architekten, welche sich den Atheniensern zu einem Baue anboten, der erste dem Volke weitläufig vorgetragen habe. wie er Alles machen würde, dann aber der andere aufgetreten sei und nur die obigen wenigen Worte gesprochen habe; diesen habe das Volk gewählt. D. U.] …. Mein Kind, die beiden Architekten sind wir; der Tempel, um den es sich handelt, ist der der Freundschaft.

Laß uns ein Bißchen die schönen Sachen durchnehmen, die du mir gesagt hast. Erstlich, daß wir uns liebten, und dann, daß ich dir unentbehrlich wäre, und dann, daß du es mir auch wärest, und dann, da wir Freiheit haben, unser Leben mit einander zu verbringen, daß wir das thun sollten. Und das Alles hast du ganz allein erdacht? Ungelogen, du bist eine beredte Person! Nun aber! ich will dir doch sagen, womit ich meinerseits mich beschäftigt habe, während du diesen vortrefflichen Brief ausstudirtest. Alsdann sollst du selbst urtheilen, was mehr werth ist, das, was du sagst, oder das, was ich thue.

Kaum hatte ich meinen Mann verloren, so fülltest du die Lücke aus, welche er in meinem Herzen gelassen hatte. Bei seinen Lebzeiten theilte er mein Herz mit dir; seit er nicht mehr ist, habe ich nur dir allein angehört, und, wie du über die Verknüpfung der mütterlichen Zärtlichkeit und der Freundschaft richtig bemerkt hast, selbst meine Tochter war für uns ein Band mehr. Nicht nur beschloß ich von Stund' an, mein übriges Leben mit dir zuzubringen, sondern ich machte einen weiter reichenden Plan. Damit unsere beiden Familien zu einer einzigen würden, nahm ich mir vor, vorausgesetzt, daß sich Alles so schickte, eines Tages meine Tochter mit deinem ältesten Sohne zu verbinden; der im Spaß üblich gewordene Name „Mann" schien mir ein glückliches Vorzeichen, daß er ihm einst im Ernste zukommen würde.

In diesem Gedanken suchte ich zuvörderst die verwickelte Erbschaftsangelegenheit in Ordnung zu bringen, und da ich meine Mittel hinlänglich fand, um Einiges der Abmachung des Uebrigen zu opfern, ließ ich es mir nur angelegen sein, den Antheil meiner Tochter in sicheren Effekten und frei von den prozessualischen Schwierigkeiten anzulegen. Du weißt, daß ich in vielen Dingen so meine eigenen Einfälle habe; diesmal war es meine Narrheit, dich zu überraschen. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, eines schönen Morgens in dein Zimmer zu treten, an der einen Hand mein Kind, in der andern eine Brieftasche, und mit einem schönen Knix, Mutter, Tochter, und ihr Gut, nämlich der Letzteren Mitgift, in deine Hände zu legen. Verfüge darüber, wollte ich dabei sagen, den Interessen deines Sohnes gemäß; denn hinfort ist es seine und deine Sache; ich für mein Theil kümmere mich nicht mehr darum.

Voll von diesem reizenden Gedanken, sah ich mich nach Jemanden um, der ihn mir ausführen hülfe. Nun rathe, wen ich zum Vertrauten wählte. Einen gewissen Herrn von Wolmar; du kennst ihn wohl? — Meinen Mann, Cousine? — Ja, deinen Mann, Cousine! Der nämliche Mann, dem es dir so sauer wird ein Geheimniß zu verbergen, das zu wissen für ihn nicht gut wäre, ist der, welcher dir eines recht gut verschweigen konnte, das zu erfahren dir so angenehm gewesen wäre. Dies war der wahre Gegenstand aller jener geheimnißvollen Unterhaltungen, über die du gegen uns so komisch zu Felde zogst. Du siehst, wie versteckt sie sind, diese Männer! Ist es nicht spaßhaft, daß sie es sich herausnehmen, uns Verstellung Schuld zu geben? Ich habe dem deinen noch mehr zugemuthet, ich sah recht gut, daß du mit demselben Plane umgingst, wie ich, aber mehr inwendig, und nach deiner Art, dich immer nur nach dem Maße aufzuschließen, als man sich dir hingiebt. Nun suchte ich dir eine noch angenehmere Ueberraschung zu bereiten, und verlangte, er sollte, wenn du ihm unser Zusammenleben vorschlagen würdest, so thun, als ob ihm dein Eifer für die Sache nicht recht gelegen wäre, und sich bei der Einwilligung ein wenig kalt stellen. Er gab mir eine Antwort, die ich behalten habe, und die du dir wohl merken mußt; denn ich glaube nicht, seit es Ehemänner in der Welt giebt, daß ein einziger von ihnen so geantwortet habe. Er sagte: „Cousinchen, ich kenne Julie .... ich kenne sie genau .... besser, als sie vielleicht glaubt. Sie ist eine zu redliche Seele, daß man ihr irgend einen Wunsch abschlagen könnte, und fühlt zu fein, daß es sie nicht kränken würde, wenn man es thäte. Ich glaube, ihr in den fünf Jahren, seit wir verbunden sind, nicht den geringsten Kummer verursacht zu haben, und ich hoffe, daß es bis an meinen Tod nie geschehen wird." Cousine, nimm es dir zu Herzen: solch ein Mann ist er, und einem solchen Manne unbehutsam die Ruhe zu rauben, quälst du dich in Gedanken unablässig.

Ich, in der That, hatte weniger Delicatesse, oder auch mehr Vertrauen auf deine Sanftmuth: ich wich den Gesprächen aus, zu welchen dich dein Herz oft drängte und machte es so natürlich, daß du, weil du dem meinigen doch nicht zutrauen konntest, daß es kälter gegen dich geworden sei, dir in den Kopf setztest, ich ginge mit Wiederverheiratung um, und liebte dich, mehr allerdings als Alles, ausgenommen einen Mann. Denn siehst du, gutes Kind, es geht nichts so geheim in dir vor, daß ich es nicht merkte; ich errathe dich, ich durchschaue dich, ich dringe bis in die tiefste Tiefe deiner Seele; das ist es ja, warum ich dich immer angebetet habe. Ich ließ mir den Vortheil nicht entgehen, den Argwohn, durch den ich dich so glücklich hinter's Licht geführt sah, zu unterhalten. Ich spielte die kokette Witwe gut genug, daß du dich täuschen ließest; es ist dies eine Rolle, für welche es mir weniger an Talent, als an Hang fehlt. Ich nahm geschickt die schmachtende Miene an, auf die ich mich recht gut verstehe, und mit der ich manchmal zu meiner Belustigung junge Gecken zum Besten gehabt habe. Du hast dich ganz und gar dadurch anführen lassen, und glaubtest mich wirklich Willens, dem Manne einen Nachfolger zu suchen, dem unter allen Menschen am schwersten einer zu finden sein würde. Aber ich bin zu offen, um mich lange zu verstellen, und du hast dich bald beruhigen können. Indessen will ich noch mehr zu deiner Beruhigung thun, ich will dir auseinandersetzen, wie ich in Wahrheit über diesen Punkt denke.

Ich habe es dir schon als Mädchen hundert Mal gesagt, ich war nicht dazu geschaffen, Frau zu sein. Wenn es von mir abgehangen hätte, würde ich mich nicht verheiratet haben; aber in unserem Geschleckte erkauft man die Freiheit nur durch die Knechtschaft, und wenn man eines Tages seine eigene Herrin werden will, so muß man damit anfangen, sich zur Magd zu machen. Obschon mein Vater mir keinen Zwang auflegte, hatte ich doch Verdruß in meiner Familie. Um mich davon zu befreien, heiratete ich Herrn von Orbe. Er war ein so braver Mann, und liebte mich so zärtlich, daß auch ich ihn aufrichtig wieder liebte. Die Erfahrung zeigte mir die Ehe in einem vortheilhafteren Lichte, als ich sie vorher erblickt hatte, und zerstörte die Eindrücke, welche mir von den Reden der Chaillot geblieben waren. Herr von Orbe machte mich glücklich, und es brauchte ihn nicht zu gereuen. Bei einem Andern würde ich meine Pflichten auch stets erfüllt, aber ich würde ihm das Leben sauer gemacht haben, und ich fühle wohl, daß ein so guter Mann nöthig war, um aus mir eine gute Frau zu machen. Solltest du denken, daß mir gerade dies eine Ursache zur Klage ward? Mein Kind, wir liebten uns zu sehr, wir waren nicht froh und heiter. Eine losere Freundschaft würde lustiger gewesen sein; eine solche wäre mir lieber gewesen, und ich glaube, ich würde es vorgezogen haben, weniger zufrieden zu leben, und öfter lachen zu können.

Hierzu kam dann die mannigfache Unruhe, welche mir deine Lage verursachte. Ich habe nicht nöthig dir die Gefahren in's Gedächtniß zurückzurufen, in welche du dich durch eine nicht wohlgeregelte Leidenschaft stürztest: ich sah sie mit Zittern. Wenn du nur dein Leben auf's Spiel gesetzt hättest, so würde mich vielleicht ein Rest von frohem Muthe nicht ganz verlassen haben; so aber nahmen Trübsinn und Angst meine ganze Seele ein, und bis ich dich verheiratet sah, habe ich keinen Augenblick unverkümmerter Freude gehabt. Du kanntest meinen Schmerz, du fühltest ihn. er wirkte in hohem Maße auf dein gutes Herz, und ich werde nie aufhören, jene glücklichen Thränen zu segnen, welche vielleicht die Ursache gewesen sind, daß du zum Guten umkehrtest.

So, siehst du, ist die ganze Zeit hingegangen, welche ich mit meinem Manne verlebt habe. Sage also selbst, ob ich, seit ihn mir Gott genommen hat, Hoffnung haben kann, einen andern zu finden, der so nach meinem Herzen wäre, und ob ich versucht sein kann, mich nach einem umzusehen. Nein, Cousine, der Ehestand ist eine zu ernste Sache; seine Würde verträgt sich nicht mit meiner muntern Laune, er macht mich traurig, und kleidet mich nicht; ohne zu rechnen, daß mir jeder Zwang unerträglich ist. Sage dir, du, die du mich kennst, was ein Band mir sein kann, in welchem ich sieben ganze Jahre nicht sieben Mal ein Bißchen recht von Herzen gelacht habe. Ich will nicht wie du zu achtundzwanzig Jahren die Matrone spielen. Ich finde, daß ich eine ziemlich pikante Witwe bin, noch ziemlich nehmbar, und ich glaube, daß ich, wenn ich Mann wäre, mir recht gut gefallen würde. Aber mich wieder verheiraten, Cousine! Höre, ich beweine meinen armen Mann recht von Herzen, ich würde mein halbes Leben hingegeben haben, um die andere Hälfte mit ihm zuzubringen, und doch, wenn er wiederkommen könnte, würde ich ihn, glaube ich, auch ihn selbst nicht wieder nehmen, wenn ich ihn nicht schon genommen gehabt hätte.

Ich habe dir eben meine wahren Absichten auseinandergesetzt. Wenn ich sie ungeachtet der Bemühungen Herrn von Wolmar's noch nicht habe ausführen können, so rührt das daher, daß die Schwierigkeiten mit meinem Eifer, ihrer Herr zu werden, nur zu wachsen scheinen. Aber mein Eifer wird den Sieg behalten, und ehe der Sommer verstreicht, hoffe ich zu dir ziehen zu können, um dann auf Lebenszeit bei dir zu bleiben.

Ich habe mich noch über den Vorwurf zu erklären, daß ich mein Leid vor dir verberge, und daß ich es liebe, entfernt von dir zu weinen; ich läugne es nicht, damit geht die beste Zeit bin, die ich hier zubringe. Ich betrete nie mein Haus, ohne dort Erinnerungen an Den zu finden, der es mir lieb gemacht hat. Ich kann darin keinen Schritt thun, keinen Gegenstand in's Auge fassen, ohne irgend ein Zeichen seiner Zärtlichkeit und Herzensgüte zu bemerken; möchtest du, daß mein Herz nicht davon gerührt wäre? Wenn ich hier bin, fühle ich nur den Verlust, den ich erlitten habe; wenn ich bei dir bin, sehe ich nur, was mir geblieben ist. Kannst du es mir zum Verbrechen machen, daß du so viel Macht über meine Stimmung hast? Wenn ich weine, wo du nicht bist, und bei dir lache, woher denn dieser Unterschied? Undankbare Seele! Daher, daß ich bei dir Trost für Alles finde, und daß ich über nichts mehr traurig sein kann, wenn ich dich habe.

Du hast viel zum Lobe unserer alten Freundschaft gesagt; aber ich kann dir nicht verzeihen, daß du das vergessen hast, was mir die meiste Ehre macht, nämlich, daß ich dich liebe, obgleich du mich in Schatten stellst. Meine Julie, du bist geboren zu herrschen. Deine Herrschaft ist die absoluteste, die ich kenne: sie erstreckt sich selbst auf den Willen, und ich fühle sie mehr als irgend Jemand. Wie geht nur das zu, Cousine? Wir lieben beide die Tugend, die Redlichkeit ist uns gleich theuer, unsere Bildung ist die nämliche, ich stehe dir an gewecktem Geist kaum nach, und bin nicht weniger hübsch als du. Ich weiß das Alles recht gut, und trotz dem Allen imponirst du mir, unterjochst mich, drückst mich zu Boden, und ich bin rein Nichts vor dir. Selbst da, als du in einem Verhältnisse lebtest, das du dir zum Vorwurf machtest, und ich, die ich deinen Fehltritt nicht nachgethan, nun wohl das Uebergewicht hätte gewinnen sollen, blieb es nichtsdestoweniger dir. Deine Schwachheit, die ich tadelte, dünkte mir fast eine Tugend; ich konnte nicht umhin an dir zu bewundern, was ich an einer andern gescholten hätte. Genug, selbst in jener Zeit nahte ich dir nicht ohne ein gewisses Gefühl von unwillkürlicher Achtung, und es ist gewiß, daß ganz so viel Sanftmuth, als du besitzest, ganz diese Zutraulichkeit, die du in deinen Umgang legst, nöthig war, um mich zu deiner Freundin zu machen: von Natur hätte ich deine Magd sein müssen. Erkläre, wenn du kannst, dieses Räthsel; ich für mein Theil verstehe es nicht.

Aber halt! ein Bißchen verstehe ich's doch und ich glaube es schon früher einmal erklärt zu haben; es kommt daher, daß dein Herz Alles, was dich umgiebt, beseelt, und ihm, so zu sagen, ein neues Dasein schafft, wofür dir notwendig Jeder in Dankbarkeit huldigen muß, da er es ohne dich nicht gehabt haben würde. Ich habe dir wichtige Dienste geleistet, ich räume das ein; du erinnerst mich so oft daran, daß ich nicht Gelegenheit habe, es zu vergessen. Ich läugne nicht, daß du ohne mich verloren warst. Aber was habe ich gethan, als daß ich dir wiedererstattete, was ich von dir empfangen hatte? Ist es möglich, lange mit dir umzugehen, ohne die Seele durchdrungen zu fühlen von Allem, was die Tugend Reizendes und die Freundschaft Süßes hat? Weißt du nicht, daß Alles, was dir naht, von dir selbst die Waffen empfängt zu deiner Vertheitigung, und daß ich vor den Anderen nichts voraus habe, als den Vortheil, welchen die Wachen des Sesostris hatten, daß ich mit dir von einerlei Alter und Geschlecht, und mit dir aufgezogen bin? Wie dem nun sei, darüber, daß sie weniger werth ist als Julie, tröstet sich Clara damit, daß sie ohne Julie noch viel weniger werth sein würde; und dann, dir die Wahrheit zu sagen, glaube ich, daß wir Beide einander sehr nöthig haben, und daß jede von uns Beiden viel dabei verlieren würde, wenn uns das Schicksal getrennt hätte.

Daß mich die Geschäfte hier noch festhalten, ist mir am meisten der Gefahr wegen leid, daß dein Geheimniß dir immer aus dem Munde entschlüpfen will. Ich beschwöre dich, bedenke, daß das, was dich treibt, es zu bewahren, ein triftiger und gewichtiger Grund ist, und das, was dich treibt, es zu offenbaren, nur ein blindes Gefühl. Selbst unser Verdacht, daß unser Geheimniß für Den, den es angeht, keines mehr sei, ist ein Grund mehr, ihn nur mit der größten Vorsicht darüber aufzuklären. Die Zurückhaltung deines Mannes ist vielleicht ein Beispiel und eine Lehre für uns; denn in solchen Sachen macht es oft einen großen Unterschied, ob man thut, als wüßte man Etwas nicht, oder ob man es nothwendig weiß. Warte also, das fordere ich von dir, bis wir noch einmal mit einander überlegt haben. Wenn deine Ahnungen gegründet wären, und dein bedauernswerther Freund wäre nicht mehr am Leben, so bliebe nichts Besseres zu thun, als daß wir seine Geschichte und dein Unglück mit ihm begraben sein ließen. Wenn er lebt, wie ich denn hoffe, so ist es vielleicht ein anderer Fall; aber dieser müßte dann erst wirklich eintreten. Wie nun immer die Sache stehe, glaubst du nicht einige Rücksicht den Rathschlagen eines Unglücklichen schuldig zu sein, dessen Leiden allesammt dein Werk sind?

Was die Gefahren der Einsamkeit betrifft, so begreife ich und billige deine Besorgniß, obgleich ich weiß, daß sie nicht den mindesten Grund hat. Deine früheren Fehltritte machen dich furchtsam; um so mehr verspreche ich mir Gutes von der Gegenwart. Du würdest gewiß um so weniger furchtsam sein, je mehr Ursache du. dazu hättest. Aber deine Angst um das Schicksal unseres armen Freundes kann ich nicht ungerügt lassen. Jetzt, da deine Zuneigung zu ihm ihren Charakter geändert hat, kannst du glauben, daß er mir nicht weniger theuer ist als dir. Meine Ahnung jedoch ist ganz die entgegengesetzte, und sie entspricht mehr der Vernunft. Milord Eduard hat zweimal Nachricht von ihm erhalten, und mir das letzte Mal geschrieben, daß er sich auf der Südsee befände, also die Gefahren, von denen du sprichst, schon hinter sich hatte. Du weißt dies eben so gut als ich, und bist traurig, als ob du nichts wüßtest. Aber etwas, das du noch nicht weißt, muß ich dir doch mittheilen, nämlich, daß das Schiff, auf welchem er sich befindet, vor zwei Monaten auf der Höhe der canarischen Inseln unter Segel nach Europa gesehen worden ist. So schreibt man meinem Vater aus Holland, und er hat nicht verfehlt, es mir mitzutheilen ganz nach seiner Gewohnheit, mich von den öffentlichen Angelegenheiten genauer zu unterrichten, als von seinen eigenen. Mir sagt mein Herz, daß es nicht lange dauern wird, so werden wir von unserem Philosophen Nachricht haben; und du wirst um deine Thränen sein, vorausgesetzt, daß du nicht, nachdem du seinen Tod beweint hast, darüber zu weinen findest, daß er am Leben ist. Gott sei aber Dank! darüber sind wir hinweg.

Deb. Fosse or quì miser pur un poco. Ch'è già piangere e di vivere lasso.

[Ach, wär' er doch ein wenig hier, der Arme. Der so des Weinens müd' ist und des Lebens. Petrarca.]

Da hast du, was ich dir zu antworten hatte. Die, welche dich liebt, bringt dir entgegen und theilt die süße Hoffnung eines ewigen Beisammenseins. Du siehst, daß du den Plan dazu weder allein, noch zuerst gemacht hast, und daß die Ausführung desselben mehr vorgerückt ist, als du dachtest. Fasse dich also noch diesen Sommer in Geduld, meine süße Freundin; besser, sich später vereinigen, als sich nachher wieder trennen müssen. He, schöne Madame, habe ich Wort gehalten, und ist mein Triumph complet? Allons, nieder auf die Knie, man küsse achtungsvoll diesen Brief und erkenne demüthiglich, daß wenigstens einmal im Leben Julie von Wolmar in Freundschaft überboten worden ist [Was diese gute Schweizerin glücklich ist, daß sie lustig sein kann, wenn sie lustig ist, ohne dazu Esprit, Naivetät, Finesse nöthig zu haben! Sie hat gar keine Ahnung davon, was man bei uns für Anstalten machen muß, um ein wenig Humor durchbringen zu können. Sie weiß nicht, daß man solchen guten Humor nicht für sich hat, sondern für die Anderen, und daß man nicht lacht, um zu lachen, sondern um Beifall zu ernten.].

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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