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Neunter Brief.
Frau von Orbe an Frau von Wolmar.

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Inhaltsverzeichnis

Da, Cousine, da schicke ich dir deinen Sklaven wieder. Ich habe ihn während dieser acht Tage zu dem meinigen gemacht, und er hat seine Ketten so gutwillig getragen, daß man sieht, er ist dazu geboren, Knecht zu sein. Du magst mir nur danken, daß ich ihn nicht noch acht Tage länger behalten habe: denn, mit deiner gütigen Erlaubniß, wenn ich hätte warten wollen, bis er sich bei mir zu langweilen anfinge, so würde ich ihn nicht so bald haben zurückschicken können. Ich habe ihn also ohne Bedenken hier behalten. Bedenken habe ich nur getragen, ihn in meinem Hause wohnen zu lassen. Ich habe manchmal jenen Stolz der Seele in mir gefühlt, welcher die sklavischen Anstandsgesetze verachtet, und welcher der Tugend so wohl ansteht. Ich bin bei dieser Gelegenheit ängstlicher gewesen, ich weiß selbst nicht warum: ich kann nur soviel für gewiß sagen, daß ich mehr Lust hätte, mir aus dieser Zurückhaltung einen Vorwurf, als ein Lob zu machen.

Aber du, weißt du wohl, warum unser Freund hier so ruhig aushielt? Erstlich, er war bei mir, und ich denke doch, daß Das ein starker Grund ist, sich in Geduld zu schicken. Er ersparte mir viel Schererei, und diente mir in meinen Angelegenheiten; dabei kann sich ein Freund nicht langweilen. Ein dritter Punkt, den du schon errathen hast, wenn du dir's auch nicht merken lässest, ist der, daß er mit mir von dir sprach; und wenn wir die Zeit, welche dieses Geplauder wegnahm, von der, die, er hier zugebracht hat, abziehen wollten, so würdest du sehen, daß mir auf mein Theil sehr wenig übrig geblieben ist. Aber was für ein närrischer Einfall, von dir wegzugehen, um sich das Vergnügen zu verschaffen, von dir zu reden? Nun, nicht so närrisch als man denken sollte. Deine Gegenwart legt ihm Zwang auf; er muß beständig auf sich Acht haben; die geringste Indiscretion würde zu einem Verbrechen werden, und in solchen gefährlichen Momenten hört ein redliches Herz nichts als die Stimme der Pflicht; aber entfernt von dem Gegenstande, der einem theuer war, verstattet man sich zurückzudenken. Wenn man ein Gefühl erstickt, das strafbar geworden, warum sollte man sich einen Vorwurf daraus machen, daß man es gehabt hat, als es noch nicht strafbar war? Kann die süße Erinnerung an ein Glück, dessen Genuß erlaubt war, je verbrecherisch sein? Siehe, das ist, denke ich, eine Betrachtung, die für dich nicht passen würde, die er sich aber im Grunde erlauben kann. Er hat gleichsam die Laufbahn seiner alten Liebschaft noch einmal durchmessen; seine frühere Jugend hat sich in unseren Gesprächen abermals vor ihm aufgerollt; er machte mich zum zweiten Male zur Vertrauten aller seiner Herzensangelegenheiten; er rief sich jene glückliche Zeit zurück, wo es ihm vergönnt war, dich zu lieben: er führte mir vor die Seele das reizende Bild einer unschuldigen Flamme .... Ohne Zweifel hat er es verschönert.

Er hat von seinem gegenwärtigen Zustande, in Bezug zu dir, wenig mit mir gesprochen, und was er mir in dieser Hinsicht sagte, hatte mehr von Achtung und Bewunderung, als von Liebe an sich: so sehe ich ihn denn weit beruhigter über sein eigenes Herz zurückkehren, als er hergekommen ist. Wohl nimmt man wahr, daß sich, sobald von dir die Rede ist, in diesem zu empfindsamen Herzen eine gewisse Wehmuth regt, der jedoch, nicht minder rührend, die Freundschaft, die jetzt allein darin herrschen darf, eine andere Farbe giebt: aber ich habe seit langer Zeit bemerkt, daß Niemand dich sehen oder an dich denken kann und kaltblütig bleiben, und wenn man zu dem allgemeinen Gefühle, welches dein Anblick erweckt, das süßere Gefühl hinzurechnet, welches ein unauslöschliches Andenken in ihm rege erhalten muß, so wird man finden, daß es auch bei der strengsten und reinsten Tugend schwer, vielleicht unmöglich für ihn sein muß, anders zu sein, als er ist. Ich habe ihn ausgeforscht, bin ihm aufmerksam gefolgt, habe ihn so genau beobachtet, als es mir möglich war: ich vermag nicht deutlich in seiner Seele zu lesen, vermag er es selbst doch nicht besser; aber dafür kann ich wenigstens einstehen, daß er das Gewicht deiner und seiner Pflichten vollkommen fühlt, und daß der Gedanke an Julie, als ein verächtliches und verderbtes Geschöpf, ihm nicht minder grauenvoll sein würde, als der Gedanke an seine eigene Vernichtung. Cousine, ich habe dir nur einen Rath zu geben, den bitte ich dich zu beachten: vermeide es, dich aus die Vergangenheit im Einzelnen einzulassen, und ich stehe dir für die Zukunft.

Was die Auslieferung betrifft, die du gewünscht hast, so ist daran nicht zu denken. Nachdem ich alle ersinnlichen Gründe erschöpft hatte, habe ich ihn gebeten, ihm zugesetzt, ihn beschworen, ihn gescholten, ihn geküßt, ihn bei beiden Händen genommen, ja, hätte mich ihm zu Füßen geworfen, wenn er es zugelassen hätte; aber er hat mich nicht einmal anhören wollen, er ist in seinem Eigensinn und Zorn so weit gegangen, daß er schwor, er würde lieber darein willigen, dich nie mehr wiederzusehen, als sich dein Porträt nehmen zu lassen. Endlich, von Unwillen hingerissen, ließ er es mich auf seinem Herzen fühlen; da ist es, sagte er mit so bewegtem Tone, daß er kaum Athem hatte. Da ist dieses Bildniß, das einzige Gut, das mir noch geblieben ist, und das man mir nun auch mißgönnt. Seien Sie überzeugt, daß man es mir nur mit meinem Leben entreißen wird. Laß uns klug sein, Cousine, folge mir, und ihm das Porträt lassen. Was liegt im Grunde daran, wenn er es behält? Desto schlimmer für ihn, wenn er so eigensinnig darauf beharrt, es zu behalten.

Nachdem er sein Herz recht ausgeschüttet und erleichtert hatte, schien er wieder ruhig genug, daß man über seine Angelegenheiten mit ihm reden konnte. Ich fand, daß Zeit und Ueberlegung ihn in seinen früheren Absichten nicht wankend gemacht hatten, und daß er seinen Ehrgeiz noch darauf beschränkt, sich Milord Eduard für immer anzuschließen. Ich konnte ein so ehrenwerthes, seinem Charakter angemessenes und der Erkenntlichkeit, die er jenem für beispiellose Wohlthaten schuldig ist, so entsprechendes Vorhaben nur billigen. Er hat mir gesagt, daß du derselben Ansicht wärest, daß aber Herr von Wolmar zu der Sache still geschwiegen hätte. Da ist mir nun ein Gedanke gekommen: das etwas seltsame Benehmen deines Mannes, im Vereine mit andern Anzeichen, bringt mich auf die Vermuthung, daß er im Stillen irgend eine Absicht mit unserm Freunde hat, die er noch nicht sagen will. Lassen wir ihn machen, und vertrauen wir seiner Einsicht und Klugheit. Sein ganzes Verhalten beweist hinlänglich, daß er, wenn anders meine Vermuthung richtig ist, nur etwas vor hat, das zum Vortheil Dessen, dem er so große Theilnahme schenkt, gereichen soll.

Du hast sein Aussehen und seine Manieren nicht übel beschrieben, und es ist ein ganz günstiges Zeichen, daß du ihn genauer beobachtet hast, als ich es mir eingebildet hätte; aber findest du nicht, daß seine langen Leiden und das stete Gefühl derselben seinem Gesichte einen noch interessanteren Ausdruck gegeben haben, als es ehemals hatte? Trotzdem, was du mir über ihn schriebst, fürchtete ich jene manierirte Höflichkeit, jenes äffische Wesen an ihm zu finden, das man sich in Paris sonst unfehlbar zuzieht, wobei man unter all den Nichtigkeiten, mit denen man dort seinen müßigen Tag ausfüllt, dahin kommt, daß man auf diese oder jene äußerliche Form den größten Werth lege. Sei es, daß dieser Firniß auf gewissen Seelen nicht haftet, sei es, daß die Seeluft ihn gänzlich hinweggenommen hat, ich habe nicht die mindeste Spur davon bemerkt, und in aller Zuvorkommenheit, welche er gegen mich zeigte, habe ich nichts entdecken können, als den Wunsch sein Herz zu befriedigen. Er sprach mit mir von meinem armen Manne, aber er wollte lieber mit mir um ihn weinen, als mich trösten, und hat mir nichts von galanten Maximen bei dieser Gelegenheit aufgetischt. Er tändelte mit meiner Tochter, aber, anstatt in meine Bewunderung des Kindes einzustimmen, hielt er mir, wie du, dessen Fehler vor, und machte mir den Vorwurf, daß ich es verzöge. Er nahm sich meiner Geschäfte eifrig an, und fast in nichts war er meiner Meinung. Zudem hätte mich die Zugluft blind und taub machen können, es wäre ihm nicht eingefallen, hinzugehen und ein Fenster zu schließen; ich hätte mich von Zimmer in Zimmer müde laufen können, nicht sein Rockschoß, unter den er galanter Weise seine Hand gesteckt hatte, hätte sich gerührt, mir behülflich zu sein. Mein Fächer blieb gestern wohl eine gute Sekunde auf der Erde liegen, ohne daß er vom andern Ende des Zimmers herbeistürzte, als ob er ihn aus den Flammen retten müßte. Morgens, ehe er mich besuchte, hat er nicht ein einziges Mal geschickt, um sich nach meinem Befinden erkundigen zu lassen. Auf der Promenade quält er sich nicht, seinen Hut festgenagelt auf dem Kopf zu behalten, um zu zeigen, daß er sich auf Lebensart versteht [In Paris bildet man sich besonders viel darauf ein, daß man den Umgang bequem und angenehm zu machen wisse, und diese Bequemlichkeit besteht in nichts Anderem, als in einer Menge Regeln von gleicher Wichtigkeit. wie die obige. Brauch und Gesetz ist Alles in der guten Gesellschaft. Die Bräuche entstellen und vergehen wie der Blitz, Die Lebensart beruht darauf, daß man immer auf der Lauer liegt, um diese Bräuche in ihrem Fluge zu erhaschen, sie zur Schau zu tragen, und auf diese Art zu beweisen, daß man weiß, was an der Tagesordnung ist: Alles der Simplicität wegen.]. Bei Tische habe ich ihn oft um seine Dose gebeten, die er nicht seine Tabatiere nennt; jedesmal hat er sie mir mit der Hand gereicht, nie auf einem Teller; er verfehlte nicht, wenigstens zwei Mal während der Mahlzeit, auf meine Gesundheit zu trinken, und ich wette darauf, wenn er bei uns bliebe, so würden wir ihn mit uns am Feuer sitzen und sich wärmen sehen, wie einen alten Spießbürger. Du lachst, Cousine, aber zeige mir doch einen von unsern jungen Leuten, der frisch aus Paris kommt, und so ein gemüthliches Wesen behalten hat. Uebrigens mußt du, wie es scheint, unseren Philosophen in einem einzigen Punkte verschlimmert finden, nämlich darin, daß er sich etwas mehr mit den Leuten beschäftigt, die mit ihm reden, was nicht geschehen kann, ohne daß du dabei zu kurz kämst; aber es geht, dünkt mich, doch nicht so weit, daß es ihn mit der Madame Belon wieder gut Freund machen würde. Ich für mein Theil finde ihn darin besser, daß er gesetzter und ernsthafter ist, als je. Mein Püppchen, hebe ihn mir gut auf, bis ich komme; er ist gerade wie ich ihn brauche, um ihn zu meinem Vergnügen den lieben Tag lang verrückt zu machen.

Bewundere meine Mäßigung; ich habe dir noch kein Wort von dem Geschenke gesagt, das ich dir schicke, und das dir bald ein zweites verheißt: aber du hast es erhalten, ehe du meinen Brief geöffnet hattest, und du, die du weißt, wie vernarrt ich in das Ding bin, und wie viel Ursache ich habe, so vernarrt zu sein, du, deren Habgier sich so viel Noth um dieses Geschenk machte, wirst gestehen müssen, daß ich mehr halte, als ich versprochen habe. Ach, die arme Kleine! In dem Augenblicke, in welchem du dieses liesest, ist sie schon in deinen Armen; sie ist glücklicher als ihre Mutter; aber in zwei Monaten werde ich glücklicher sein als sie, denn ich werde mein Glück mehr empfinden. Ach Himmel! liebe Cousine, hast du mich nicht schon ganz? Wo du bist, wo meine Tochter ist, was fehlte da noch von mir? Da hast du es, das liebenswürdige Kind, nimm es hin als dein eigenes; ich trete es dir ab, ich schenke es dir, ich lege in deine Hände mein mütterliches Ansehen; mache wieder gut, was ich versehen, nimm das Amt über dich, das ich deiner Meinung nach so schlecht verwalte; sei von heute an die Mutter Der, die künftig deine Schwiegertochter werden soll, und mache, um sie mir noch lieber zu machen, wenn es angeht, eine zweite Julie aus ihr. Sie gleicht dir schon von Gesicht; nach ihrem Wesen läßt sich voraussagen, daß sie ernsthaft und auch so eine Predigerin werden wird. Wenn du den Eigensinn erst ausgetilgt hast, den ich, wie man mich beschuldigt, genährt haben soll, so wirst du sehen, daß meine Tochter sich ganz das Ansehen geben wird, als wäre sie Cousinchen; aber, glücklicher, wird sie weniger Thränen zu vergießen und weniger Schlachten zu liefern haben. Wenn der Himmel den besten der Väter erhalten hätte, wie weit würde er davon entfernt gewesen sein, ihren Neigungen Zwang anzuthun! Und wie weit werden wir selbst davon entfernt sein! Wie entzückt es mich im Voraus, mir zu denken, wie die Kinder auf unsere Pläne eingehen! Weißt du wohl, daß sie schon gar nicht mehr ohne ihr kleines Männel leben kann, und daß dies zum Theil die Ursache ist, warum ich sie dir schicke? Ich hatte gestern ein Gespräch mit ihr, worüber unser Freund vor Lachen ersticken wollte. Erstlich, es ist ihr gar nicht Leid, mich zu verlassen, mich, die ich den ganzen Tag ihre ganz ergebene Magd bin und keinem ihrer Wünsche widerstehen kann; und du, vor der sie sich fürchtet, die du ihr zwanzig Mal des Tages Nein sagst, du bist das liebe Mamachen, zu dem man mit Freuden läuft, und von dem man die Neins lieber hat, als alle meine Bonbons. Als ich ihr ankündigte, daß ich sie zu dir schicken würde, war sie so außer sich, wie du dir denken kannst; aber um ihr einen Schreck zu machen, setzte ich hinzu, du würdest mir an ihrer Stelle das kleine Männel schicken, und das paßte nun gar nicht in ihren Kram. Sie fragte mich ganz bestürzt, was ich denn damit machen wollte; ich sagte, ich wollte es für mich behalten; sie machte eine Schippe. Jettchen, willst du es mir nicht lassen, dein kleines Männel? Nein, sagte sie trocken. Nein? Aber wenn ich es nun dir nicht lassen will, wer soll unseren Handel schlichten? Mama, das soll Mamachen thun. Ei, so werde ich also Recht erhalten, den du weißt, Mamachen will immer, was ich will. Oh, Mamachen will immer, was sich gehört. Was, Mamsell, ist das nicht ein und dasselbe? Der Schlaukopf fing an zu lächeln. Nun, fuhr ich fort, und warum sollte sie mir das kleine Männel nicht geben? Weil es für Sie nicht paßt. Und warum paßt es nicht für mich? Wieder Lächeln, so schelmisch wie zuvor. Sage es nur; findest du mich zu alt für Männel? Nein, Mama, aber Männel ist zu jung für Sie .... Cousine, ein Kind von sieben Jahren! ....

Wahrhaftig, wenn es mir nicht den Kopf verdreht, so könnte das nur der Fall sein, weil er mir schon verdreht ist.

Ich machte mir den Spaß, sie noch weiter zu necken. Jettchen, sagte ich, indem ich einen ernsthaften Ton annahm, ich versichere dich, daß er für dich auch nicht paßt. Warum denn nicht? rief sie ganz bestürzt. Weil er zu flatterig für dich ist. O Mama, blos das? Ich will ihn schon gesetzt machen. Und wenn er nun unglücklicher Weise dich zur Närrin machte? Ach, gute Mama, ich würde so gerne wie Sie werden! Wie ich? Unart! Ja, Mama, Sie sagen den ganzen Tag, Sie lieben mich wie eine Närrin; sehen Sie! ich will Männel wie eine Närrin lieben; das ist die Sache.

Ich weiß, daß du von solchem reizenden Geplapper keine Freundin bist, und du wirst ihm bald Grenzen zu setzen wissen; ich will's eben auch nicht vertheidigen, wiewohl es mich bezaubert, sondern dir nur zeigen, daß deine Tochter schon ihr kleines Männel lieb hat, und daß sie, wenn er zwei Jahr jünger ist als sie, sich des Ansehens nicht unwürdig zeigt, das ihr der Vorzug des Alters giebt. Auch sehe ich, wenn ich dein und mein Beispiel gegen das deiner armen Mutter halte, daß es mit dem Hause, wenn die Frau herrscht, nicht übler steht. Adieu, mein Herz, adieu, liebe Unzertrennliche! denke, daß die Zeit schon kommt, und daß die Weinlese nicht ohne mich gehalten werden wird.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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