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Elfter Brief.
Saint-Preux an Milord Eduard.

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Inhaltsverzeichnis

Ja, Milord. es ist Wort für Wort wahr, man sieht nichts in diesem Hause, worin nicht das Angenehme mit dem Nützlichen gepaart wäre; die nützlichen Beschäftigungen beschränken sich aber nicht auf die einträglichen Arbeiten allein, sie umfassen auch alle die unschuldigen und einfachen Vergnügungen, welche die Liebe zur Zurückgezogenheit, zur Arbeit, zur Mäßigkeit nähren, die Seele gesund erhalten und das Herz frei von dem Wirrwarr der Leidenschaften. Während träge Unthätigkeit nur Mißmuth und Langeweile gebiert, ist der Reiz einer süßen Muße die Frucht eines arbeitsamen Lebens. Man arbeitet nur, um zu genießen; diese Abwechselung von Mühe und Genuß ist unser wahrer Beruf. Die Ruhe, welche zur Erholung von gethaner Arbeit und zur Stärkung für neue Arbeit dient, ist dem Menschen nicht weniger nothwendig, als die Arbeit selbst.

Nachdem ich von der Wachsamkeit und Thätigkeit der achtungswürdigsten Familienmutter die Wirkungen in der Ordnung ihres Hauses gesehen hatte, sah ich gleiche Wirkung von ihren Erholungen an einem einsamen Orte, den sie zu ihrem Lieblingsspaziergange gemacht hat und den sie ihr „Elysium" nennt.

Ich hatte schon mehrere Tage von diesem Elysium reden hören und zwar in einer gewissen geheimnißvollen Weise. Endlich gestern Nachmittag, da es der außerordentlichen Hitze wegen außerhalb des Hauses und innen gleich unerträglich war, machte Herr v. Wolmar seiner Frau den Vorschlag, sich diesen Nachmittag einmal Urlaub zu nehmen, und anstatt wie gewöhnlich bis zum Abende in der Kinderstube zu bleiben, mit uns in den Baumgarten zu gehen und der Kühle zu genießen; sie willigte ein, und wir gingen miteinander hin.

Dieser Ort, obgleich ganz dicht beim Hause, ist doch durch den bedeckten Gang, welcher zu ihm führt, so versteckt, daß man ihn von keiner Seite sieht. Das dichte Laub, welches ihn umgiebt, verstattet dem Auge keinen Durchgang, und er wird immer sorgfältig verschlossen gehalten. Kaum war ich darin, so sah ich nicht mehr, wo ich hereingekommen war, denn die Thür ist mit Elsen- und Haselstauden maskirt, welche nur zwei schmale Durchgänge auf beiden Seiten offen lassen, und ich war wie aus den Wolken gefallen, da ich keine Thür bemerkte.

Beim Eintritt in diesen sogenannten Baumgarten ergriff mich ein angenehmes Gefühl von Frische, welches tiefer Schatten, lebhaftes Grün, Blumen auf allen Seiten, Gemurmel von fließendem Wasser und das Gezwitscher von tausend Vögeln meiner Einbildungskraft ebenso sehr, als meinen Sinnen zuführten; aber zugleich glaubte ich den wildesten, einsamsten Ort der Natur zu sehen, und es däuchte mir, als ob ich der erste Sterbliche wäre, der je in diese Einöde gedrungen. Ueberrascht, ergriffen, entzückt von einem so unerwarteten Schauspiel, stand ich einen Augenblick unbeweglich, und rief dann in unwillkürlicher Begeisterung: O Tinian! o Juan-Fernandez [Wüste Inseln in der Südsee, berühmt durch die Reise des Admiral Anson. D. Ueb.]! Julie, das Ende der Welt haben Sie vor Ihrer Thür! Viele Leuten finden es hier, wie sie, sagte sie mit Lächeln, aber zwanzig Schritte mehr führen Sie geschwind wieder nach Clarens zurück; wir wollen sehen, ob der Zauber bei Ihnen länger vorhalten wird. Es ist hier dieselbe Baumpartie, in der Sie ehemals spazieren gingen und sich mit meiner Cousine mit Pfirsichen warfen. Sie wissen, daß der Rasen ziemlich dürr, die Bäume nicht besonders dicht, wenig Schatten und kein Wasser da war. Jetzt ist Alles frisch, grün, bekleidet, geschmückt, blumig, bewässert. Was meinen Sie, daß mich die Instandsetzung gekostet hat? Denn ich muß Ihnen sagen, daß ich hier ganz allein die Aufsicht habe, und daß mich mein Mann machen läßt, was ich will. Wahrhaftig, antwortete ich, es hat Sie nichts gekostet, als Nachlässigkeit. Dieser Ort ist reizend in der That, aber wild und sich selbst überlassen; ich sehe nichts, was von Menschenhand gethan wäre, Sie haben die Thüre zugeschlossen; woher das Wasser gekommen ist, weiß ich nicht, die Natur allein hat das Uebrige gethan, und selbst Sie hätten es nicht so gutmachen können. Es ist wahr, sagte sie, die Natur hat Alles gethan, aber unter meiner Leitung, und es ist nichts da, was ich nicht veranstaltet hätte. Noch einmal, rathen Sie. Für's Erste, sagte ich, begreife ich nicht, wie man mit Arbeit und Geld die Wirkungen der Zeit ersetzen kann. Die Bäume .... Was die Bäume betrifft, sagte Herr von Wolmar, so werden Sie bemerken, daß nicht viel große da sind, und diese waren schon vorher da. Ueberdies hat Julie diese Anlage schon lange vor ihrer Verheiratung und fast unmittelbar nach dem Tode ihrer Mutter begonnen, als sie mit ihrem Vater hierherkam und die Einsamkeit suchte. Nun gut, sagte ich, da alle diese Baumgruppen, diese gewaltigen Blättersmassen, diese üppigen Laubdächer, diese schattigen Gebüsche, in sieben bis acht Jahren entstanden sein sollen, und mit Hülfe der Kunst, so haben Sie meiner Schätzung nach in einem so weiten Bezirke Alles das für 2000 Thlr. ganz wohlfeil. Sie rathen nur 2000 Thlr. zu viel, sagte sie; es hat mich nichts gekostet. Wie, nichts? Nein, nichts; Sie müßten denn ein Dutzend Tage Arbeit von meinem Gärtner jährlich, desgleichen zwei oder drei von meinen Leuten rechnen, und einige von Herrn v. Wolmar selbst, der es nicht verschmäht hat, manchmal mein Gartenbursche zu sein. Dies war mir ein Räthsel; aber Julie, die mich bisjetzt beim Eingange festgehalten hatte, sagte, indem sie mich gehen ließ: Gehen Sie und Sie werden den Schlüssel des Räthsels haben. Gute Nacht, Tinian, gute Nacht, Juan-Fernandez und die ganze Feeerei! In einem Augenblick werden Sie vom Ende der Welt zurück sein.

Ich fing an, den so umgewandelten Baumgarten mit berauschter Seele zu durchstreifen; wenn ich keine exotischen Gewächse, keine Pflanzen aus den beiden Indien fand, so fand ich die einheimischen so vertheilt und geordnet, daß sie eine angenehmere und freundlichere Wirkung machten. Der grüne, dichte, aber geschorene kurze Rasen war mit Quendel, Münze, Thymian, Majoran und anderen duftigen Kräutern untermischt. Man sah darauf tausend Feldblümchen blinken, unter denen das Auge mit Erstaunen einige Gartenblumen herausfand, die mit den übrigen wild zu wachsen schienen. Ich kam von Zeit zu Zeit an dunkele, den Sonnenstrahlen undurchdringliche Dickichte, wie in dem dichtesten Walde; diese Massen waren aus den biegsamsten Baumarten dadurch gebildet, daß man die Zweige niedergezogen hatte, um in der Erde zu wurzeln, so daß hier künstlich nachgeahmt war, was die Manglen in Amerika von Natur thun. An den offneren Stellen sah ich hier und dort ohne Ordnung und Symmetrie Rosen, Himbeeren, Stachelbeeren, Gebüsche von spanischem Flieder, Haseln, Hollunder, wildem Jasmin, Pfriemenkraut, Trifolium, welches die Erde schmückte, indem es ihr das Ansehen eines Brachfeldes gab. Ich kam durch gewundene unregelmäßige Gänge, mit blühenden Büschen eingefaßt und mit tausend Gehängen von Epheu, Hopfen, wildem Wein, Zaunrübe, Winde, Waldrebe und anderen Pflanzen dieser Art gedeckt, unter welche sich herablassend Geisblatt und Jasmin mischten. Diese Guirlanden schienen nachlässig von Baum zu Baum geworfen, wie ich es manchmal in Wäldern bemerkt hatte, und bildeten über uns eine Art Draperie, die uns vor der Sonne schützte, während wir unter unsern Füßen ein weiches, bequemes und trockenes Gehen hatten auf einem feinen Moose, ohne Sand, ohne Gras und ohne knotiges Wurzelwerk. Jetzt erst bemerkte ich, daß die dichten, grünen Laubgewölbe, die mir von fern so imponirt hatten, nur aus solchen Schling- und Kletterpflanzen bestanden, die an den Bäumen hinaufgezogen, ihre Wipfel mit dem dichtesten Laube umhüllten und dem Fuße derselben Schatten und Frische gaben. Ich bemerkte auch, daß man vermittelst eines ziemlich einfachen Kunstgriffes mehreren dieser Pflanzen Gelegenheit verschafft hatte, sich auf kürzerem Wege weiter auszubreiten, indem man sie auf den Stämmen der Bäume hatte wurzeln lassen. Sie begreifen wohl, daß die Früchte sich bei allen diesen Mitzehrern nicht zum besten befinden; aber an diesem Orte allein hat man das Nützliche dem Angenehmen aufgeopfert, und auf dem ganzen übrigen Grundstück ist für die Bäume und Gewächse so gesorgt, daß die Obsternte, auch ohne diesen Baumgarten, doch noch immer reicher ist als früher. Wenn Sie daran denken, wie erfreut man zu sein pflegt, wenn man in einem Walde manchmal eine wilde Frucht findet, an der man sich auch wohl erfrischen kann, so werden Sie begreifen, was für Vergnügen es macht, in dieser künstlichen Wüstenei eßbare, reife Früchte zu finden, wenn auch etwas vereinzelt und verkümmert; wobei man doch auch wieder das Vergnügen hat, zu wählen und sich das Beste herauszusuchen.

An allen den kleinen Wegen entlang, und zum Theil quer über sie hin, rann ein klares Wässerchen, welches bald zwischen dem Grase und den Blumen in fast unmerklichen Strahlen, bald in größeren Bächen über einen reinen, buntgesprenkelten Kiessand floß, der den Glanz des Wassers noch erhöhte. Man sah Quellen, die aus der Erde hervorsprudelten, manchmal auch liefen Kanäle, in denen das Wasser still und glatt die Gegenstände wiederspiegelte. Alles Uebrige begreife ich jetzt, sagte ich zu Julie, aber dieses Wasser, das ich überall sehe .... Kommt dort her, versetzte sie, indem sie nach der Seite wies, wo die Terrasse ihres Gartens lag. Es ist die nämliche Leitung, welche in dem Parterre mit großen Kosten einen Springbrunnen speist, dem Niemand Aufmerksamkeit schenkt. Herr von Wolmar will ihn nicht zerstören aus Achtung für meinen Vater, dessen Werk er ist; aber mit welchem Vergnügen sehen wir alle Tage hier im Baumgarten dieses Wasser rinnen, das wir im Garten keines Blickes würdigen. Der Springbrunnen spielt für die Fremden, der Bach fließt hier für uns. Ich habe freilich auch noch das Wasser hinzugenommen, das aus dem öffentlichen Brunnen über die Landstraße in den See abfloß, die Straße zum Nachtheil der Fußgänger verschlammend, und ohne Nutzen für irgend Jemanden. Es machte eine Biegung am Fuße des Baumgartens, zwischen zwei Reihen Weiden; diese habe ich mit in die Einhegung gezogen, und leite das Wasser auch noch auf anderen Wegen herein.

Ich sah nunmehr, daß es nur darauf angekommen war, diese kleinen Bäche durch geschickte Theilung und Wiedervereinigung sparsam zu führen, und mit dem Gefälle so haushälterisch als möglich umzugehen, um einen möglichst ausgedehnten Lauf, und das Gemurmel einiger kleinen Wasserfälle zu gewinnen. Eine Lage von Thon, mit einem Zoll Kies aus dem See belegt und mit kleinen Muscheln untermischt, bildete das Bett der Bäche. Dieselben Bäche, stellenweise unter langen Bohlen mit Erde und Rasen bedeckt hinfließend, bildeten bei ihrem Austritt künstliche Quellen. Einige Strahlen wurden durch Röhren über holprige Stellen gehoben und sprudelten im Niederfallen. Endlich erzeugt der auf diese Weise befeuchtete und erfrischte Boden unaufhörlich neue Blumen, und erhält das Gras immer grün und schön.

Je weiter ich diesen angenehmen Ort durchstreifte, desto mehr nahm das köstliche Behagen zu, welches ich bei meinem Eintritte empfunden hatte; indessen hielt mich die Neugier in Athem. Ich war begieriger, die Gegenstände anzuschauen, als zu untersuchen, welchen Eindruck sie machten, und ich gab mich gern dem Reize des Betrachtens hin, ohne mir mit Nachdenken Mühe zu machen. Aber Frau von Wolmar riß mich aus meinen Träumen, indem sie mich unter den Arm nahm, und zu mir sagte: Alles, was Sie sehen, ist nur seelenloses Pflanzenleben, und wie man es auch anstelle, läßt dieses immer ein Gefühl von Einsamkeit zurück, das etwas Beklemmendes hat. Sehen Sie dagegen die beseelte, fühlende Natur; in ihr werden Sie jeden Augenblick einen neuen Reiz empfinden. Sie wollen mich vorbereiten, sagte ich zu ihr. Ich höre ein lustiges verworrenes Gezwitscher, und sehe doch ziemlich wenig Vögel; ich merke, daß Sie eine Voliere haben. In der That! sagte sie; gehen wir näher! Ich wollte meine Meinung über Volieren noch nicht sagen, aber der Gedanke daran hatte etwas Unbehagliches für mich, und schien mir auch zu allem Uebrigen nicht zustimmen.

Wir stiegen auf vielfach geschlungenen Wegen in den tiefsten Theil des Baumgartens hinab, wo ich das ganze Wasser, in einen hübschen Bach vereinigt, sanft zwischen zwei Reihen alter verkröpfter Weiden fließen sah. Ihre gehöhlten und halb kahlen Häupter bildeten eine Art Vasen, aus denen, durch Anwendung des zuvor angeführten Kunstgriffes, Massen von Geisblatt hervorquollen, wovon ein Theil sich um die Aeste der Bäume schlang, und der andere anmuthig an dem Bache niederfiel. Fast am Ende des Einschlusses befand sich ein kleines, mit Gräsern, Rohr und Binsen eingefaßtes Bassin, welches die Tränke der Voliere abgab, und die letzte Station dieses so kostbaren und so wohlgehegten Wassers war.

Jenseits des Bassins befand sich ein Erdwall, der sich in der äußersten Ecke des Einschlusses zu einem Hügel erhob, worauf eine Menge Bäumchen aller Art standen, die kleinsten zu oberst und die größeren immer tiefer, so daß die Wipfel eine fast wagerechte Fläche bildeten, oder wenigstens für die Folge andeuteten. Ganz vorn standen ein Dutzend noch junge Bäume, aber von solchen Arten, die sehr groß werden, wie Buche, Ulme, Esche, Acazie. Das Buschwerk dieses Hügels diente der Menge von Vögeln zur Zuflucht, deren Gesang ich von fern gehört hatte, und im Schatten dieses Laubwerks, wie unter einem großen Sonnenschirme, sah man sie flattern, hüpfen, singen, sich schnäbeln, sich beißen, als ob sie uns nicht bemerkt hätten. Sie flohen bei unserer Annäherung so wenig, daß ich, meinem vorgefaßten Gedanken nach, zuerst glaubte, sie wären durch ein Gitterwerk zusammengehalten; als wir aber den Rand des Bassins erreicht hatten, sah ich mehrere von ihnen herabkommen, und sich uns in einer Art kleiner Allee nähern, welche den Erdwall in der Mitte theilte, und die Voliere mit dem Bassin verband. Herr von Wolmar ging um das Bassin herum, streute in die Allee ein paar Händevoll gemischter Sämereien, die er bei sich in der Tasche trug, und als er sich zurückgezogen hatte, eilten die Vögel herbei, und fingen an zu picken, wie Hühner, mit einer solchen Dreistigkeit, daß ich wohl sah, wie gewöhnt sie an diese Fütterung waren. Das ist allerliebst, rief ich aus. Das Wort Voliere hatte mich von Ihnen Wunder genommen, aber jetzt verstehe ich es; ich sehe, daß Sie Gäste haben wollen, nicht Gefangene. Was nennen Sie Gäste? antwortete Julie; wir sind die ihrigen; sie sind hier die Herren, und wir zahlen ihnen Tribut dafür, daß sie uns manchmal dulden. Sehr gut, antwortete ich; aber wie sind diese Herren in Besitz dieses Ortes gelangt? Wie hat man es angefangen, so viele freiwillige Bewohner zusammenzubringen? Ich habe noch nie von einem Versuche dieser Art gehört, und würde nicht geglaubt haben, daß er gelingen könnte, wenn ich nicht den Beweis vor Augen hätte. Geduld und Zeit, sagte Herr von Wolmar, haben dieses Wunder zu stande gebracht. Diese sind Mittel, auf welche die Reichen bei ihren Vergnügungen nicht fallen. In ihrem Jagen nach Genüssen kennen sie keine anderen Mittel als Gewalt und Geld; sie haben Vögel in Käfigen, und Freunde für so und so viel monatlich. Wenn die Bedienten je an diesen Ort kämen, so würden Sie bald die Vögel verschwinden sehen, und wenn sie jetzt in großer Anzahl vorhanden sind, so kommt das daher, weil immer welche dagewesen. Man zieht sie an keinen Ort, wo es keine gegeben hat; aber wo welche sind, ist es leicht mehrere herbeizulocken, wenn man allen ihren Bedürfnissen zuvorkommt, sie niemals scheu macht, sie ihre Nester in Sicherheit bauen läßt, und die Jungen nicht ausnimmt, denn alsdann bleiben diejenigen, welche da sind, und diejenigen, welche hinzukommen, bleiben ebenfalls. Dieses Gebüsch war schon vorhanden, wiewohl von dem Baumgarten getrennt; Julie hat nichts gethan, als daß sie es mit einer lebendigen Hecke umschloß, diejenige wegnahm, welche es von dem Garten trennte, es vergrößerte und mit neuen Pflanzen zierte. Sie bemerken auf beiden Seiten der Allee, die herführt, zwei mit einem bunten Gemisch von Halmen und allerlei Pflanzen bedeckte Flächen; sie läßt dort jedes Jahr Korn, Hirse, Sonnenblumen, Hanf, Wicken und allerlei Gesäme aussäen, welches dieVögel gern fressen, und es wird nichts davon weggenommen. Außerdem bringen wir ihnen, sie oder ich, fast jeden Tag, Sommers und Winters Futter, und wenn wir nicht da sind, so sorgt Fanchon gewöhnlich für sie. Sie haben, wie Sie sehen, das Wasser dicht dabei. Frau von Wolmar geht in ihrer Aufmerksamkeit so weit, daß sie ihnen jedes Frühjahr Häuschen von Pferdehaaren, Stroh, Wolle, Moos und anderen zum Nestbau geeigneten Stoffen hinlegen läßt. Da sie die Materialien so nah, und reichlich zu leben haben, und bei der Mühe, die man sich giebt, alle Feinde [Schlafratten, Mäuse, Käuze und besonders die Kinder.] zu vertreiben, bestimmt sie die beständige Ruhe, deren sie genießen, an einem so bequemen Ort, wo ihnen nichts fehlt, und wo Niemand sie stört, ihre Eier zu legen. So wird das Vaterland der Eltern auch das der Kinder, und die Bevölkerung erhält sich und vermehrt sich.

Ach, sagte Julie, jetzt sehen Sie gar nichts! Jetzt denkt jedes nur an sich; aber unzertrennliche Gatten, das eifrige, häusliche Sorgen, die elterliche Zärtlichkeit, das Alles entgeht Ihnen. Vor zwei Monaten mußte man hier sein, um seine Augen an dem reizendsten Schauspiel zu weiden, und sein Herz an dem süßesten Gefühle der Natur. Madame, antwortete ich traurig, Sie sind Gattin und Mutter; dies sind Freuden, die Sie wohl kennen müssen. Sogleich ergriff Herr von Wolmar meine Hand, drückte sie mir, und sagte: Sie haben Freunde, und diese Freunde haben Kinder: wie sollte Ihnen die elterliche Liebe fremd sein? Ich sah ihn an, ich sah Julie an; beide sahen einander an, und dann mich mit einem so herzbewegenden Blick, daß ich sie nach einander umarmte, und mit Rührung sagte: Sie sind mir so theuer, als ihr mir seid. Ich weiß nicht, wie wunderlich es zugehen mag, daß ein Wort eine Seele so umwandeln kann; aber von diesem Augenblicke an scheint mir Herr von Wolmar ein anderer Mann, und ich sehe in ihm weniger den Gatten Deren, die ich so sehr geliebt habe, als den Vater zweier Kinder, für die ich mein Leben lassen würde.

Ich wollte um das Bassin herumgehen, um den reizenden Ort und seine kleinen Bewohner näher zu besehen, aber Frau von Wolmar hielt mich zurück. Niemand, sagte sie zu mir, stört sie in ihrer Wohnung, und Sie sind sogar der erste von unseren Gästen, den ich bis hierher geführt habe. Es sind vier Schlüssel zu dem Baumgarten vorhanden, von denen mein Vater und wir beide jeder einen haben. Fanchon hat den vierten, als Aufseherin, und um manchmal meine Kinder herzuführen, eine Gunst, deren Werth dadurch erhöht wird, daß ihnen die größte Behutsamkeit für die Zeit ihres Hierseins eingeschärft ist. Auch Gustin selbst kommt nicht ohne einen von uns Vieren herein; wenn die beiden Frühlingsmonate vorüber sind, in denen hier seine Arbeit von Nutzen ist, fast gar nicht mehr; wir thun dann alles Uebrige selbst. So haben Sie, sagte ich, um Ihre Vögel nicht zu Ihren Sklaven zu machen, sich selbst zu Sklaven jener gemacht. Das ist recht die Rede eines Tyrannen, entgegnete sie, der seiner Freiheit nur so weit zu genießen glaubt, als er die Freiheit Anderer hindert.

Als wir weggehen wollten, warf Herr von Wolmar eine Handvoll Gerste in das Bassin, und da ich hineinsah, bemerkte ich einige Fischchen. Aha, sagte ich sogleich, also doch Gefangene! Ja, sagte er, es sind Kriegsgefangene, denen man das Leben geschenkt hat. So ist es, setzte seine Frau hinzu. Vor einiger Zeit entwandte Fanchon in der Küche einige Bärschchen, welche sie ohne mein Wissen hierher trug. Ich lasse sie hier, um Fanchon nicht zu betrüben, wenn ich die Fische wieder in den See versetzte; denn es ist doch besser, ein paar Fische etwas eng zu behausen, als eine brave Person zu kränken. Sie haben Recht, antwortete ich und diese hier sind nicht zu sehr zu beklagen, daß sie dem Fischkessel um diesen Preis entgangen sind.

Nun, was dünkt Ihnen? sagte sie zu mir auf dem Rückwege. Sind Sie noch am Ende der Welt? Nein, sagte ich, ich bin ganz außerhald ihrer, und Sie haben mich in Wahrheit in's Elysium versetzt. Der pomphafte Name, den sie diesem Baumgarten gegeben hat, sagte Herr von Wolmar, verdient wohl diesen Spott. Schenken Sie indessen einem Kinderspiel immerhin einiges Lob, und bedenken Sie, daß es ihren Mutterpflichten nie etwas entzogen hat. Ich weiß es, entgegnete ich, ich bin vollkommen davon überzeugt, und das kindische Spiel gefällt mir in dieser Gattung besser, als die Arbeiten der Männer.

Es ist indessen hier noch Etwas, das ich nicht begreifen kann, fuhr ich fort; nämlich ein Ort, der so ganz anders ist als er früher war, kann doch nur durch Sorgfalt und Pflege so geworden sein, wie er jetzt ist; nun aber sehe ich nirgends die geringste Spur von Cultur; Alles ist grün, frisch, üppig und man spürt die Hand des Gärtners nicht: nichts steht dem Gedanken an eine wüste Insel entgegen, der mir kam, als ich hier eintrat, und ich bemerke keine Tritte von Menschen. Ei, sagte Herr von Wolmar, das kommt daher, daß man Sorge getragen hat, sie zu verwischen. Ich bin oftmals Zeuge, und manchmal Mitschuldiger dieser Schelmerei gewesen. Man säet Gras auf alle bearbeiteten Stellen und bald sind die Fußstapfen der Arbeiter von den Halmen bedeckt; auf mageren und unfruchtbaren Stellen läßt man Winters eine Schicht Dünger liegen, der Dünger verzehrt das Moos und giebt wieder Gräsern und Pflanzen Leben; die Bäume befinden sich auch nicht übel dabei, und im Sommer ist keine Spur mehr davon zu sehen. Was das Moos betrifft, welches in einigen Alleen den Boden überzieht, so ist uns das Geheimniß seiner Erzeugung aus England durch Milord Eduard zugekommen. Diese beiden Seiten, fuhr er fort, waren durch Mauern geschlossen; nun sind die Mauern maskirt worden, nicht mit Spalieren, sondern mit dichtem Gebüsch, so daß die Grenze des Ortes wie der Anfang eines Waldes erscheint. Auf den beiden andern Seiten sind starke lebendige Hecken aus Ahorn, Weißdorn, Rainweide und anderem vermischten Baumwerk angebracht worden, welche in ihrer Mannichfaltigkeit nicht das Ansehen von Hecken, sondern von wildem Waldgebüsch haben. Sie sehen nichts glatt Geebnetes, nichts in geraden Linien Geordnetes; die Schnur ist hier nie angewendet worden, die Natur pflanzt nicht nach der Schnur. Die gewundenen Wege, in ihrer scheinbaren Unregelmäßigkeit, sind mit Kunst so angelegt, daß möglichst viel Raum zum Umherwandeln gewonnen ist, daß sie die Grenzen der Insel verstecken, und den scheinbaren Umfang derselben vergrößern, ohne unbequeme und zu häufige Biegungen zu machen [Also nicht die kleinen Boskets nach der Mode, die so lächerlich hin und her geschwungen sind, daß man nur im Zickzack geht und bei jedem Schritte eine Pirouette machen muß.].

Indem ich das Alles betrachtete, kam es mir wunderlich vor, daß man sich so viel Mühe gegeben, die Mühe, die man sich gegeben hatte, zu verstecken: wäre es da nicht besser gewesen, sagte ich, sich gar keine zu geben? Trotz Allem, was Ihnen gesagt worden, entgegnete mir Julie, schätzen Sie die Größe der Arbeit nach der Wirkung, und Sie täuschen sich. Alles, was Sie sehen, ist wildes oder stark wachsendes Pflanzenwerk, das man nur in die Erde zu stecken braucht, und das dann von selbst gedeiht. Uebrigens scheint die Natur den Augen der Menschen ihre wahren Schönheiten entziehen zu wollen, weil sie für diese zu wenig Sinn haben, und sie verunstalten, wenn sie ihnen erreichbar sind; sie flieht die bewohnten Orte; hoch auf Bergeshöhen, tief in Wäldern, auf wüsten Inseln entfaltet sie ihre entzückendsten Reize. Die, welche sie lieben und ihr nicht so weit nachreisen können, sind genöthigt, ihr Gewalt anzuthun, und sie gewissermaßen zu zwingen, daß sie sich bei ihnen niederlasse; ohne ein Bißchen Illusion geht das nicht ab. Bei diesen Worten kam mir ein Einfall, der belacht wurde. Ich stelle mir vor, sagte ich, daß ein reicher Herr aus Paris oder London dieses Haus erwirbt und einen Architekten mitbringt, der theuer dafür bezahlt wird, die Natur zu verderben. Mit welcher wegwerfenden Miene würde er diesen einfachen, unscheinbaren Ort betreten, mit welcher Verachtung würde er all dies Gestrüpp ausreißen lassen! Was für schöne gerade Linien würde er ziehen! Was für schöne Alleen hindurchbrechen! Was für schöne Gänsepfoten, im Parasol und Fächer geschnittene Bäume! Was für schöne wohlgeschnörkelte Gitter! Was für schöne wohlgezeichnete, wohlumrissene, wohlgedrechselte Lauben! Was für schöne Boulingrins von feinem englischen Rasen, rund, viereckig, bogig, oval! Was für schöne Buchsfiguren, Drachen, Pagoden, Fratzen und alle Arten Ungeheuer! Was für schöne Vasen von Bronze und für schöne Früchte von Stein [Ich bin überzeugt, daß bald die Zeit kommen wird, da man in unsern Gärten nichts mehr von allen Dem, was es im Freien giebt, wird dulden wollen, weder Pflanzen noch Bäume; man wird nur Blumen von Porzellan, Steinpuppen, Gitterwerk, Sand von allen Farben und schöne Vasen mit nichts darin haben.]! …. Wenn das Alles ausgeführt sein wird, sagte Herr

von Wolmar, so wird er einen sehr schönen Ort hergestellt haben, den man nicht betreten wird, und aus dem man sich stets beeilen wird hinauszukommen, um in's Freie zu gelangen; einen traurigen Ort, wo man nicht spazieren gehen, sondern den man nur als Durchgang benutzen wird, wenn man spazieren gehen will; während ich auf meinen Gängen im Freien mich oft beeile heim zu kommen, um hier spazieren zu gehen.

In jenen weitläufigen und mit Zierat beladenen Anlagen sehe ich nichts, als die Eigenheit des Besitzers und des Künstlers, welche beide stets voll Begierde, der eine seinen Reichthum, der andere sein Talent zu zeigen, mit großen Kosten Jedem, der sich ihres Werkes gern erfreuen möchte, Langeweile bereiten. Eine falsche Liebe zum Großartigen, welches nicht zu des Menschen Wesen stimmt, vergiftet seine Freuden. Ein großartiger Anstrich ist immer etwas Trauriges; man denkt unwillkürlich an die Misere dessen, welcher damit prahlt. Mitten unter seinen Parterres und in seinen großen Alleen wird sein kleines Persönchen nicht größer; ein Baum von zwanzig Fuß Höhe überragt ihn, wie einer von sechszig Fuß [Es wäre hier der Ort, sich etwas über den schlechten Geschmack zu verbreiten, dem zufolge die Bäume lächerlich verschnitten werden, um hoch in die Wolken zu steigen, während man ihnen ihre schönen Kronen und ihren Schatten raubt, ihren Saft erschöpft und es ihnen unmöglich macht, ihn zu benutzen. Diese Methode freilich liefert den Gärtnern Holz, aber sie raubt es dem Lande, das ohnehin schon nicht allzuviel hat. Man sollte meinen, daß die Natur in Frankreich anders beschaffen ist, als in der übrigen Welt, so viel Mühe giebt man sich dort, sie zu verunstalten. Man bepflanzt die Parks nur noch mit langen Ruthen; es sind Wälder von Masten oder Maien, und man spaziert unter lauter Holz, ohne Schatten zu finden.]; er nimmt nie mehr als seine drei Fuß Raum ein, und verliert sich wie eine Milbe in seinen endlosen Besitzungen.

Es giebt noch einen anderen Geschmack, der diesem gerade entgegengesetzt und noch lächerlicher ist, indem er Einem nicht einmal den Genuß der Promenade. vergönnt, welche doch der Zweck ist, wegen dessen man Gärten unterhält. Ich verstehe, sagte ich: den Geschmack jener Liebhaberchen, jener Blumisten, die beim Anblicke einer Ranunkel in Ohnmacht und vor Tulpen auf die Kniee fallen. Hierbei erzählte ich ihnen, Milord, was mir dazumal in London in jenem Blumengarten begegnet ist, in welchen wir mit so vieler Wichtigkeit eingeführt wurden, und wo wir alle Schätze Hollands prahlen sahen auf vier Mistbeeten. Ich vergaß dabei nicht die Ceremonie mit dem Parasol und dem kleinen Stäbchen, womit man mich Unwürdigen, gleich den andern Beschauern, beehrte. Ich bekannte ihnen demüthig, wie es mir ging, als ich mich auch hervorthun und kühnlich beim Anblick einer Tulpe in Ekstase gerathen wollte, die mir von lebhafter Farbe und von zierlicher Form schien, wie ich davon allen den gelehrten Kennern verspottet, ausgelacht und ausgezischt wurde, und wie der Professor des Gartens von der Verachtung der Blumen zur Verachtung ihres Lobredners überging, und mich keines Blickes mehr würdigte. Ich denke, setzte ich hinzu, daß er es recht bedauert hat, sein Stäbchen und sein Parasol so profanirt zu haben.

Dieser Geschmack, sagte Herr von Woimar, wenn er in Sucht ausartet, hat etwas Kleinliches und Eitles, das ihn kindisch und auf lächerliche Weise kostspielig macht. Der andere hat wenigstens etwas Edles, Großes und eine Art Wahrheit; aber was ist es mit dem Werthe einer Ranunkelklaue oder einer Zwiebel, die ein Insekt vielleicht im Augenblicke, da man sie kauft, benagt oder zerstört, oder einer Blume, die um Mittag kostbar, und die verwelkt ist, ehe die Sonne untergeht? Was ist es mit einer Schönheit, die von Uebereinkunft abhängt, die nur dem Auge des Liebhabers erkennbar und nur deshalb Schönheit ist, weil es ihm zufällig so beliebt? Es kann eine Zeit kommen, da man in diesen Blumen gerade das Gegentheil von dem findet, was man jetzt darin sucht, und mit ebenso gutem Grunde; dann werden Sie Ihrerseits der Gelehrte und Ihr Kenner wird der Unwissende sein. All dies Herumschnüffeln und Achten auf Kleinigkeiten, das zu einer Art Studium ausartet, paßt nicht für den vernünftigen Mann, der seinem Körper eine mäßige Bewegung machen, oder seinem Geist auf Spaziergängen eine Erholung im Gespräche mit seinen Freunden verschaffen will. Die Blumen sind dazu da, um unsern Blick im Vorübergehen zu ergötzen und nicht um so neugierig anatomirt zu werden [Der kluge Wolmar hat sich das Ding nicht recht besehen. War er, der die Menschen so gut zu beobachten wußte, so ungeschickt in der Beobachtung der Natur? Wußte er nicht, daß ihr Schöpfer, wenn er groß ist im Großen, sehr groß im Kleinsten ist?]. Sehen Sie hier im Baumgarten ihre Königin überall strahlen; sie erfüllt die Luft mit Wohlgeruch, bezaubert die Augen, und kostet fast keine Pflege und Mühe. Deshalb verachten sie die Blumisten; die Natur hat sie so schön gemacht, daß sie ihr keine übereinkömmlichen Schönheiten hinzufügen können, und da sie sich nicht mit ihrer Pflege zu quälen haben, finden sie nichts daran, was ihnen schmeichele. Der Irrthum Derer, die Leute von Geschmack sein wollen, ist, daß sie überall Kunst verlangen, und nie zufrieden sind, wo sich die Kunst nicht sichtbar macht, während der wahre Geschmack darin besteht, sie zu verbergen, sonderlich wenn es sich um Werke der Natur handelt. Was für einen Sinn haben diese schnurgeraden sandigen Alleen, die man überall und überall antrifft, und diese Sterne, durch welche man, weit entfernt dem Auge die Größe eines Parks zu offenbaren, wie man es sich einbildet, weiter nichts erreicht, als daß man ungeschickt seine Grenzen zeigt? Sieht man denn im Walde Flußsand? Oder wandelt der Fuß sanfter auf solchem Sande, als auf Moos und Rasen? Wendet die Natur unaufhörlich Winkelmaß und Richtschnur an? Ist es nicht, als fürchten diese Leute, daß man sie doch noch irgend wo spüre, trotz aller ihrer Mühe, sie zu verunstalten? Ist es endlich nicht komisch, daß sie, als ob sie des Spaziergangs schon müde wären, wenn sie ihn beginnen, ihn recht geflissentlich in gerader Linie führen, um am schnellsten das Ziel zu erreichen? Ist es nicht, wenn sie den kürzesten Weg nehmen, als ob sie eher eine Reise als einen Spaziergang machten, und sich beeilten, hinauszukommen, kaum daß sie eingetreten sind?

Was wird also der Mann von Geschmack thun, welcher lebt, um zu leben, welcher sich selbst zu genießen versteht, welcher die wahren und einfachen Freuden sucht, und welcher sich einen Spaziergang nah bei seinem Hause einrichten will? Er wird ihn so bequem und so angenehm machen, daß er sich dort alle Stunden des Tages gefallen kann, und doch so einfach und natürlich, daß nichts gethan scheint. Er wird Wasser, Grünes, Schatten und Kühlung um sich versammeln, denn auch die Natur versammelt alle diese Dinge. Er wird nirgends Symmetrie anbringen, denn diese ist die Feindin der Natur und der Abwechselung, und alle Alleen eines gewöhnlichen Gartens gleichen einander so sehr, daß man immer in dem nämlichen zu sein glaubt; er wird das Terrain zerschneiden, um bequem umherwandeln zu können, aber die beiden Seiten seiner Alleen werden nicht immer genau gleichlaufend geführt sein; die Richtung derselben wird nicht beständig in gerader Linie fortgehen, sondern etwas Schweifendes haben, wie der Gang eines müßigwandelnden und ohne Ziel spazierenden Menschen. Er wird sich nicht abquälen, schöne Durchsichten auszuschneiden. Der Geschmack an Fernblicken entspringt aus dem Hange der meisten Menschen, sich nur da zu gefallen, wo sie nicht sind; sie sind stets begierig nach dem, was entfernt von ihnen ist, und der Künstler, welcher es nicht versteht, sie durch das, was sie umgiebt, hinlänglich zu befriedigen, greift zu jenem Hülfsmittel, um doch etwas zu schaffen, was sie unterhalte. Der Mann aber, den ich meine, hat keine solche Unruhe, und wenn er sich da, wo er ist, wohlbefindet, fällt es ihm nicht ein, wo anders sein zu wollen. Hier z. B. hat man keinen Blick nach außen und man ist sehr zufrieden, daß man keinen hat. Man denkt sich gern, daß alle Reize der Natur hier eingeschlossen sind, und ich möchte sehr fürchten, daß der kleinste Streifblick in's Freie diesem Spaziergang viel von seiner Annehmlichkeit rauben würde [Ich weiß nicht, ob man es je versucht hat, den langen Alleen eines Sterns eine leichte Krümmung zu geben, sodaß das Auge nicht jede Allee ganz bis an das Ende verfolgen könnte, und dieses dem Beschauer entzogen wäre. Man würde dabei allerdings die Annehmlichkeit der Gesichtspunkte verlieren, aber man würde den Vortheil gewinnen, auf den die Besitzer so großen Werth legen, daß sich der Einbildungskraft der Ort, an welchem man sich befindet, vergrößert darstellt, und in der Mitte eines ziemlich beschränkten Sterns würde man sich in einen unermeßlichen Park verloren glauben. Ich bin überzeugt, daß der Spaziergang so weniger langweilig, obwohl einsamer sein würde, denn Alles, was der Einbildungskraft Beschäftigung giebt, weckt Ideen und unterhält den Geist. Aber die Gartenmacher sind nicht die Leute dazu, dergleichen zu fühlen. Wie oft würde ihnen an einem ländlichen Orte der Bleistift aus der Hand fallen, wie jenem Le Nostre im Park von Saint-James, wenn sie, wie er, wüßten, was der Natur Leben und ihrem Schauspiel Interesse giebt!]. Jemand, der nicht gern die schönen Tage an einfachen und angenehmen Orten zubringen mag, hat ganz gewiß keinen reinen Geschmack und keine gesunde Seele. Ich gestehe, daß dies hier kein Ort ist, um Fremde mit Pomp hinzuführen; aber dafür kann man sich selbst darin gefallen, ohne ihn Jemandem zu zeigen.

Mein Herr, sagte ich zu ihm, jene Reichen, die so schöne Gärten anlegen, haben ihre sehr guten Gründe, nicht gern allein spazieren zu gehen und sich nur auf sich angewiesen zu finden; sie thun also sehr wohl daran, daß sie gleich von vornherein an Andere denken. Uebrigens habe ich in China Gärten solcher Art gesehen, wie Sie sie fordern, und so kunstreich angelegt, daß man die Kunst nicht merkte, aber auf so kostspielige Weise, und so theuer zu unterhalten, daß mir dieser Gedanke alles Vergnügen raubte, welches ich darin hätte genießen können. Es gab dort auf ebenen sandigen Gründen, wo man nur Brunnenwasser hatte, Felsen, Grotten und künstliche Wasserfälle; es fanden sich Blumen und seltene Pflanzen aus allen Himmelsstrichen Chinas und der Tartarei auf demselben Boden beisammen. Man sah daselbst in der That weder schöne Alleen, noch regelmäßig abgetheilte Beete; man sah aber Wunder verschwenderisch zusammengehäuft, die man sonst nur zerstreut und vereinzelt antrifft. Die Natur stellte sich in tausend verschiedenen Formen dar, und das Ganze war doch nicht natürlich. Hier hat man weder Erdarten noch Gestein hergeschafft, hat weder Pumpen, noch Wasserbehälter angebracht, hat keine Treibhäuser, keine Oefen, keine Glasglocken, keine Strohmatten nöthig. Ein fast ganz ebenes Terrain ist höchst einfach ausgeziert worden; gemeine Pflanzen, gemeine Bäume, ein Paar Wasserstreifen, die zwanglos und ohne Maschinerie hinfließen, waren zu seiner Verschönerung genug. Es ist ein Spiel ohne Anstrengung, bei welchem die Leichtigkeit dem Beschauer wieder ein besonderes Vergnügen gewährt. Ich fühle, daß dieser Aufenthalt weit angenehmer sein, und mir dabei unendlich weniger gefallen könnte. So ist z. B. der berühmte Park des Lord Cobham zu Staw. Er besteht aus einem Gemisch von sehr schönen und malerischen Ansichten, die verschiedenen Ländern entlehnt sind, und bei denen Alles natürlich erscheint, außer ihre Zusammenstellung, ganz wie in den chinesischen Gärten, von denen ich gesprochen habe. Der Herr und Schöpfer dieser prachtvollen Einsamkeit hat darin sogar Ruinen, Tempel, antike Gebäude anbringen lassen, so daß sich alle Zeiten ebenso wie die verschiedensten Orte mit einem mehr als menschlichen Prachtaufwand vereinigt finden. Das ist aber gerade, was ich schelten muß. Dem, was den Menschen ergötzen soll, wünsche ich ein leichtes Ansehen, welches uns nicht zwingt, an des Menschen Schwäche zu denken, und mitten in der Bewunderung dieser Herrlichkeiten die Einbildungskraft mit den Summen und Anstrengungen ermüdet, welche sie gekostet haben. Legt uns das Schicksal nicht Mühseligkeiten genug auf: müssen wir sie uns auch noch in unseren Spielen schaffen?

Ich habe Ihrem Elysium nur einen einzigen Vorwurf zu machen, setzte ich, zu Julien gewendet, hinzu, er wird Ihnen aber nicht schwer scheinen, nämlich, daß es auch als Erholungsort etwas Uebersfüssiges ist. Was brauchten Sie sich einen neuen Spaziergang zu schaffen, da sie auf der andern Seite des Hauses so reizende, wilde Boskets haben? — Es ist wahr, sagte sie ein wenig verlegen, aber dieses hier ist mir lieber. — Wenn Sie Ihre Frage bedacht hätten, ehe Sie sie thaten, fiel Herr von Wolmar ein, so würde sie mehr als indiscret sein. Nie, seit ihrer Verheiratung, hat meine Frau den Fuß in die Boskets gesetzt, von denen Sie reden. Ich weiß den Grund, obgleich sie ihn mir immer verschwiegen hat. Ihnen ist er nicht fremd, lernen Sie diese Stätte mit Ehrfurcht betrachten, sie ist von der Hand der Tugend angepflanzt.

Kaum hatte ich diesen gerechten Verweis erhalten, als die kleine Familie, von Fanchon geführt, hereintrat, während wir hinausgingen. Die drei liebenswürdigen Kinder sprangen Herrn und Frau von Wolmar an den Hals. Auch ich erhielt von ihren Liebkosungen meinen Theil; wir gingen, Julie und ich, mit ihnen einige Schritte wieder in das Elysium hinein, kehrten dann um und gesellten uns zu Herrn von Wolmar, der mit Arbeitsleuten sprach. Unterwegs sagte sie mir, daß ihr, seit sie Mutter geworden, über diesen Spaziergang ein Gedanke gekommen sei, der ihren Eifer, ihn zu verschönern, vergrößert habe.

Ich dachte, sagte sie, an das Vergnügen und die Gesundheit meiner Kinder, wenn sie älter sein werden. Die Unterhaltung dieses Ortes erfordert mehr Sorgsamkeit als Arbeit; es kommt mehr darauf an, dem Wuchse der Pflanzen einen gewissen Umriß zu geben, als zu graben und zu hacken; nun will ich sie späterhin zu meinen kleinen Gärtnern machen; sie werden dabei so viel Uebung haben, als zur Kräftigung ihrer Glieder heilsam ist, und doch nicht so viel, daß es sie übermüden könnte; was ihre Kräfte übersteigt, sollen sie Andern überlassen und sich auf Arbeiten beschränken, die ihnen Vergnügen machen. Ich kann Ihnen nicht sagen, setzte sie hinzu, wie süß es mir ist, wenn ich in Gedanken schon meine Kinder damit beschäftigt sehe, mir die kleine Mühe, die ich mir für sie so gern gebe, wieder zu vergelten, und wenn ich mir die Freude ihrer liebevollen Herzen vorstelle, ihre Mutter in Laubgängen, die von ihren kleinen Händen gepflegt sind, entzückt umherwandeln zu sehen. Wahrlich, mein Freund, sagte sie mit bewegter Stimme, Tage, die man so verlebt, haben etwas von der Seligkeit des anderen Lebens, und nicht ohne Grund habe ich, indem ich mir dies so dachte, diesem Orte im Voraus den Namen Elysium gegeben. Milord, diese unvergleichliche Frau und Mutter; wie sie Gattin, wie sie Freundin, wie sie Tochter ist; ach, zu ewigen Martern meines Herzens, nicht anders als sie Geliebte war!

Entzückt von dem reizenden Aufenthalte, hat ich sie am Abend, sie möchten doch erlauben, daß mir, solange ich bei ihnen wäre, Fanchon ihren Schlüssel und die Sorge für die Fütterung der Vögel anvertraue. Sogleich schickte Julie den Futtersack in mein Zimmer, und gab mir ihren eigenen Schlüssel. Ich weiß nicht, warum ich ihn mit einer Art Leid empfing, ich glaube, ich hätte den des Herrn von Wolmar lieber gehabt.

Heute Morgen bin ich früh aufgestanden, und mit der Ungeduld eines Kindes hingelaufen, um mich in meine wüste Insel einzuschließen. Was für angenehme Gedanken hoffte ich mit an diesen einsamen Ort zu nehmen, wo der süße Anblick der Natur aus meiner Seele jede Erinnerung an die falsche sociale Ordnung verbannen sollte, die mich so unglücklich gemacht! Alles, was mich da umgeben wird, ist das Werk Deren, die mir so theuer war. Ueberall um mich her werde ich sie erblicken, ich werde nichts sehen, was nicht ihre Hand berührt hätte; ich werde Blumen küssen, über die ihr Fuß gewandelt; ich werde mit dem Morgenthau eine Luft athmen, die sie geathmet hat. Der Geschmack, mit dem sie ihre Kurzweil getrieben, wird mir alle ihre Reize vergegenwärtigen, und ich werde sie überall finden, wie ich sie im Grunde meines Herzens trage.

Als ich in dieser Stimmung das Elysium betrat, fiel mir plötzlich das letzte Wort ein, das mir Herr von Wolmar gestern fast an der nämlichen Stelle gesagt hatte. Der Gedanke an dieses eine Wort wandelte augenblicklich den ganzen Zustand meiner Seele um. Ich glaubte das Bild der Tugend da zu sehen, wo ich das des Vergnügens suchte; dieses Bild verschmolz sich in meinem Geiste mit Frau von Wolmar's Zügen, und zum ersten Male seit meiner Rückkunft habe ich Julie auch in ihrer Abwesenheit nicht so im Geiste erblickt, wie sie mein war, und wie ich sie mir noch immer vorzustellen liebe, sondern sowie sie sich täglich meinen Augen darstellt. Milord, ich glaubte diese so reizende, so keusche und so tugendhafte Frau in der Mitte des Kreises zu sehen, der sie gestern hier umgab. Ich sah ihre drei liebenswürdigen Kinder, die ehrenvollen, kostbaren Pfänder der ehelichen Vereinigung und der zärtlichen Freundschaft, ihr tausend rührende Liebkosungen darbringen und von ihr empfangen. Ich sah an ihrer Seite den ernsten Wolmar, diesen so geliebten, so glücklichen Gatten, und der sein Glück so sehr verdient. Ich glaubte sein scharfes kluges Auge bis auf den Grund meines Herzens dringen, und mich abermals schamroth machen zu sehen; ich glaubte, aus seinem Munde nur zu verdiente Vorwürfse und zu wenig beachtete Lehren hervorgehen zu hören. Ich sah in seinem Gefolge jene Fanchon Regard, das lebendige Gedächtniß eines Sieges der Tugend und der Menschlichkeit über die glühendste Liebe. Ach, welches strafbare Gefühl hätte sich durch dieses undurchdringliche Geleite hindurch bis zu ihr Bahn brechen können? Mit welchem Unwillen würde ich die schändlichen Regungen einer verbrecherischen und nicht genug vertilgten Leidenschaft erstickt haben! Wie würde ich mich verachtet haben, hätte ich mit einem einzigen Seufzer ein so entzückendes Bild der Unschuld und der Sitte besudelt! Ich ging in Gedanken die Worte wieder durch, die sie mir beim Hinausgehen gesagt hatte; dann, mit ihr in eine Zukunft blickend, welche sie sich so reizend ausmalte, sah ich diese zärtliche Mutter den Schweiß von der Stirne ihrer Kinder trocknen, ihre glühenden Backen küssen, sah dieses zum Lieben geschaffene Herz dem süßesten Gefühle der Natur hingegeben. Alles trug dazu bei, selbst der Name Elysium, meine sich verirrende Einbildungskraft auf den rechten Weg zurückzulenken, und in meine Seele eine Ruhe zu ergießen, welche wohl dem Sturm der verführerischsten Leidenschaften vorzuziehen ist. Dieser Name spiegelte mir gleichsam das Innere Deren ab, die ihn erfunden hatte; mit einem unruhigen Gewissen, sagte ich mir, würde man diesen Namen nimmer gewählt haben. Ich sagte mir, der Friede herrscht in ihrem Herzen wie in der Freistatt, die sie so benannt hat.

Ich hatte mir eine angenehme Träumerei versprochen; ich habe angenehmer geträumt, als ich gehofft hatte; ich habe in dem Elysium zwei Stunden verbracht, denen ich keine Zeit meines Lebens vorziehe. Indem ich sah, wie reizend und wie schnell sie mir entflohen, fand ich, daß die Seele in der Anschauung sittlicher Gedanken eine Art Wohlsein genießt, welches der Böse niemals kennen lernt, nämlich das Gefühl mit sich zufrieden zu sein. Wenn man es ohne Vorurtheil betrachtet, so weiß ich nicht, welches andere Vergnügen man diesem an die Seite stellen könnte. Ich fühle wenigstens, daß sonst Jeder, der wie ich die Einsamkeit liebt, fürchten muß, sich in ihr Qualen zu bereiten. Vielleicht können dieselben Grundsätze dazu dienen, über die falschen Meinungen, welche sich die Menschen von den Vortheilen einerseits des Lasters, andrerseits der Tugend machen, Aufschluß zu geben; denn der Genuß der Tugend ist ganz innerlich und nur Dem wahrnehmbar, der ihn in sich erfährt; aber alle Vortheile des Lasters fallen äußerlich in die Augen, und nur Der, welcher sie hat, weiß, was sie ihn kosten.

Se a ciascun l' interno affanno Si leggesse in fronte scritto, Quanti mai, che invidia fanno, Ci farebbero pietà.

[O wenn Jedem das inn're Leiden Auf die Stirne wär' geschrieben, Manchem würde, den wir beneiden, Mitleid nur von uns geschenkt.

Er hätte auch die folgenden Verse hinzufügen können, die sehr schön sind, und nicht weniger hierher Passen, nämlich:

Si vedria che i lor nemici Hanno in seno, e si riduce Nel parere a noi felici Ogni lor felicità!

Zeigen würde sich, daß er seinen Feind verbirgt im eigenen Busen, Und daß sich auf Glücklichscheinen Sein gepriesenes Glück beschränkt.]

Da es spät wurde, ohne daß ich darauf achtete, kam Herr von Wolmar zu mir, und benachrichtigte mich, daß Julie und der Thee meiner warteten. Sie, sagte ich zu meiner Entschuldigung, haben mich selbst verhindert, schon bei Ihnen zu sein; ich war so entzückt von meinem gestrigen Abend, daß ich diesen Morgen wieder hinging, um ihn noch einmal zu genießen; zum Glück habe ich keinen Schaden dadurch, und da Sie auf mich gewartet haben, so ist mein Morgen nicht verloren.

So denke ich auch, antwortete Frau von Wolmar; besser, man wartet auf einander bis zu Mittag, als daß man das Vergnügen verliert, mit einander zu frühstücken. Fremde werden Morgens nie in meinem Zimmer zugelassen, sondern frühstücken in dem ihrigen. Das Frühstück ist recht das Mahl für Freunde; die Bedienten sind davon ausgeschlossen, kein Ueberlästiger erscheint dabei; man sagt Alles, was man denkt, man enthüllt alle seine Geheimnisse, man thut keiner seiner Empfindungen Zwang an; man kann sich, ohne unvorsichtig zu sein, der Süßigkeit des Vertrauens und des unbefangenen Umganges hingeben. Es ist fast der einzige Augenblick, wo es erlaubt ist, das zu sein, was man ist; warum dauert er nicht den ganzen Tag! Ach Julie, war ich im Begriff zu sagen, das ist ein sehr eigennütziger Wunsch! aber ich schwieg. Das Erste, was ich mit der Liebe abgelegt habe, ist das Loben. Jemanden in's Gesicht loben, wenn es nicht die Geliebte ist, was heißt das anders, als ihn der Eitelkeit zeihen? Sie wissen, Milord, ob dies ein Vorwurf ist, den man Frau von Wolmar machen kann. Nein, nein, ich verehre sie zu sehr, um sie nicht schweigend zu verehren. Sie sehen, sie hören, auf all ihr Thun achten, ist das nicht Lobeserhebung genug?

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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