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Fünfzehnter Brief.
Saint-Preux an Milord Eduard.

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Inhaltsverzeichnis

Herr von Wolmar ist gestern nach Étange abgegangen, und ich kann kaum begreifen, warum mich seine Abreise so traurig gemacht hat. Ich glaube, die Entfernung seiner Frau würde mich weniger betrübt haben, als es die seinige thut. Ich fühle mich befangener, als selbst bei seiner Anwesenheit; in meinem Herzen ist es düster und still; eine geheime Unruhe läßt es nicht einmal zum Murren kommen; und weniger von Begierden gepeinigt, als von unbestimmter Furcht, empfinde ich die Schrecken des Verbrechens, ohne seine Reizungen zu spüren.

Wissen Sie, Milord, wo meine Seele Ruhe findet und sich dieser unwürdigen Angst entledigt? Bei Frau von Wolmar. Sobald ich ihr nahe, stillt ihr Anblick mein inneres Weh, reinigen ihre Blicke mein Herz. So groß ist die Macht des ihrigen, daß es stets das Gefühl ihrer Unschuld und die Ruhe, die deren Wirkung ist, allen Anderen mitzutheilen scheint. Zum Unglück für mich erlaubt ihr die Regelmäßigkeit ihres Lebens nicht, den ganzen Tag ihren Freunden zu widmen, und in den Augenblicken, welche ich gezwungen bin ohne sie hinzubringen, würde ich weniger leiden, wenn ich entfernter von ihr wäre.

Was die Schwermuth noch vermehrt, von der ich wich niedergedrückt fühle, ist ein Wort, das sie gestern nach der Abreise ihres Mannes fallen ließ. Obgleich sie bis zu diesem Augenblicke ziemlich viel Haltung bewiesen hatte, folgte sie ihm lange mit den Augen und ließ auf ihrem Gesichte eine Wehmuth blicken, die ich zuerst nur der Trennung von diesem glücklichen Gatten beimaß: aber aus ihren Worten erkannte ich, daß diese Wehmuth noch eine andere, mir fremde Ursache hatte, Sie sehen, wie wir leben, sagte sie zu mir, und Sie wissen, ob er mir theuer ist; glauben Sie jedoch nicht, daß das Gefühl, welches mich ihm verbindet, obgleich so zärtlich wie die Liebe und mächtiger als sie, auch die Schwächen von ihr an sich habe. Wenn es uns schwer fällt, die süße Gewohnheit des Beisammenseins unterbrechen zu müssen, so tröstet uns doch bald die sichere Hoffnung seiner Wiederkehr. Ein so dauerhafter Zustand läßt der Furcht vor Wechsel nicht viel Raum, und bei einer Trennung von wenigen Tagen fühlen wir weniger das Unbehagen dieses kurzen Zwischenraumes, als das Vergnügen, sein Ende abzusehen. Die Betrübniß, welche Sie in meinen Mienen lesen, rührt von einem wichtigeren Gegenstande her, und obgleich sie Herrn von Wolmar angeht, ist doch seine Entfernung nicht das, was sie verursacht.

Mein theurer Freund, setzte sie mit tiefbewegtem Tone hinzu, es giebt kein wahres Glück auf Erden. Ich habe den redlichsten und sanftesten der Menschen zum Manne. Eine gegenseitige Neigung gesellt sich zu der Pflicht, welche uns verbunden hält; er hat keinen anderen Wunsch, als meine Wünsche; ich habe Kinder, die ihrer Mutter nur Freude machen und verheißen; es hat nie eine zärtlichere, tugendhaftere, liebenswürdigere Freundin gegeben, als die, welche der Abgott meines Herzens ist, und ich werde meine Tage mit ihr verleben; auch Sie tragen dazu bei, mir mein Leben lieb zu machen, indem Sie meine Achtung und die Gefühle, die ich für Sie hege, so sehr rechtfertigen; ein langer und verdrießlicher Prozeß ist seinem Ende nahe, und dieses Ende wird den besten der Väter in meine Arme zurückführen. Alles geräth uns wohl; Ordnung und Friede herrschen in unserm Hause; unsere Bedienten sind eifrig und treu; unsere Nachbarn geben uns auf alle Art ihre Anhänglichkeit zu erkennen, wir genießen des allgemeinen Wohlwollens. In allen Stücken von dem Himmel, von dem Schicksale und von den Menschen begünstigt, sehe ich Alles sich zu meinem Glücke vereinigen. Ein geheimer Kummer, ein einziger Kummer vergiftet es mir, und ich bin nicht glücklich. Sie sagte diese letzten Worte mit einem Seufzer, der mir die Seele durchbohrte und an welchem ich nur zu gut erkannte, daß nicht ich dabei betheiligt war. Sie ist nicht glücklich, sagte ich zu mir, nun auch seufzend, und nicht bin ich es mehr, der sie verhindert, es zu sein.

Dieser traurige Gedanke brachte die meinigen augenblicklich in Aufruhr und zerstörte die Ruhe, deren ich kaum zu genießen angefangen. Gepeinigt von der unleidlichen Ungewißheit, in welche mich ihre Rede versetzt hat, drang ich so in sie, mir ihr Herz vollends zu öffnen, daß sie endlich ihr leidiges Gcheimniß in dem meinigen ansschüttete, und mir erlaubte, es auch Ihnen zu entdecken. Es ist aber eben Zeit zum Spaziergange. Frau von Wolmar kommt schon aus dem Gynäceum, um ihre Kinder in's Freie zu führen; sie läßt es mir eben sagen. Ich eile hin, Milord; ich verlasse Sie für dies Mal, und verspare es mir, den abgebrochenen Gegenstand in einem anderen Brief wieder aufzunehmen.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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