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Einundzwanzigster Brief.
An Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Was habe ich ausgestanden, als ich ihn in Empfang nahm, diesen heiß ersehnten Brief! Ich erwartete den Courier auf der Post. Kaum ist das Packet geöffnet, nenne ich meinen Namen, werde dringend; man sagt mir: es ist ein Brief da, ich zittere vor Freuden, ich fordere ihn, von tödtlicher Ungeduld getrieben; endlich erhalte ich ihn. Julie, ich sehe die Züge deiner angebeteten Hand! Die meinige zittert, indem ich sie ausstrecke, um dies kostbare Pfand zu empfangen. Ich hätte sie tausendmal küssen mögen, diese gebenedeiten Schriftzüge: o Furchtsamkeit einer schüchternen Liebe! ich habe nicht den Muth, den Brief an meinen Mund zu führen, noch ihn vor Zeugen zu öffnen. Ich eile hinweg. Meine Knie zittern unter mir: meine wachsende Aufregung läßt mich kaum auf meinen Weg achten. Hinter der ersten Ecke öffne ich den Brief; ich durchfliege ihn, ich verschlinge ihn; und kaum bin ich bei den Zeilen, wo du so schön die Freude deines Herzens bei der Umarmung deines verehrungswürdigen Vaters schilderst, so zer gieße ich in Thränen; man sieht mich an; ich schlüpfe in einen Baumgang, um den Beobachtern zu entrinnen: dort theile ich deine Rührung; ich umarme mit Entzücken diesen glücklichen Vater, den ich kaum kenne; und indem die Stimme der Natur mich an den meinigen erinnert, vergieße ich auch dessen verehrtem Andenken Thränen.

Und was für Belehrung, unvergleichliches Mädchen, wolltest du denn in meinem trübseligen, eiteln Wissen schöpfen? Ach! Von Ihnen, Julie, muß man lernen, was nur Gutes, Edles in ein menschliches Herz kommen kann, und vor Allem dieses himmlische Beisammensein von Tugend, Liebe und Natürlichkeit, das sich so noch nirgend wie in Ihnen fand. Nein, es giebt keine gesunde Liebesregung, die nicht in Ihrem Herzen eine Statt hätte, die sich in ihm nicht durch die Zartheit auszeichnete, welche Ihnen eigen ist, und wenn ich mein eigenes Herz aus den rechten Weg leiten will, so sehe ich wohl, ich muß, wie ich alle meine Handlungen Ihrem Willen unterworfen habe, so auch alle meine Gefühle den Ihrigen unterthänig machen.

Welcher Unterschied aber zwischen Ihrer Lage und der meinigen! o, übersehen Sie es nicht. Ich spreche nicht von Ihrem Rang und Vermögen; das gleichen Ehre und Liebe alles aus: aber Sie sind umgeben von Menschen, die Ihnen theuer sind und von denen Sie angebetet werden: die Sorgen einer zärtlichen Mutter, eines Vaters, dessen einzige Hoffnung Sie sind; die Freundschaft einer Cousine, die nur für Sie zu athmen scheint; eine ganze Familie, deren Zierde Sie sind; eine ganze Stadt, die stolz darauf ist, daß sie Sie werden sah, alles das heischt und theilt Ihre zärtlichen Gefühle; und was der Liebe übrig bleibt, ist nur der geringste Theil unter dem allen, was ihr die Rechte des Blutes und der Freundschaft entziehen. Aber ich, Julie, ach! umherirrend, ohne Familie, und fast ohne Vaterland, ich habe nur Sie auf Erden und die Liebe allein ist mein Alles. Wundern Sie sich also nicht, mag auch Ihre Seele die gefühlvollere sein, daß dennoch die meinige besser lieben kann, und daß ich, der ich Ihnen in so vielen Dingen nachstehe, wenigstens in der Liebe den Preis davontrage.

Fürchten Sie indessen nicht, daß ich Sie wieder mit meinen zudringlichen Klagen belästige. Nein, ich werde Ihre Freuden ehren, sowohl ihrer selbst wegen, da sie so lauter sind, als Ihretwegen, die Sie sie schmecken. Ich werde mir im Geiste das rührende Schauspiel derselben vorhalten, ich werde aus der Ferne Theil daran nehmen; und da ich nicht mit eigenem Glück glücklich sein kann, werde ich es mit dem Ihrigen sein. Welche Gründe es auch sein mögen, die mich von Ihnen entfernt halten, ich achte sie: und was würde es mir helfen, sie zu kennen, da ich, selbst wenn ich sie nicht billigen könnte, nichts desto weniger dem Willen, der von ihnen bestimmt ist, gehorchen müßte? Wird es mir schwerer fallen, zu schweigen, als es mir fiel, Sie zu verlassen? Julie, erinnern Sie sich stets, daß Ihre Seele zwei Körper zu beherrschen hat, und daß derjenige, welchen sie aus Wahl beseelt, ihr allezeit der treueste sein wird;

Nodo più forte, Fabbricato da noi, non dalla sorte. [Ein stärkeres Band, Nicht vom Geschick, geknüpft von unserer Hand.]

Ich schweige also, und bis es Ihnen gefallen wird, meine Verbannung zu enden, will ich die Pein des Wartens zu bekämpfen suchen, indem ich die Gebirge des Wallis durchstreife, solange sie noch gangbar sind. Ich bemerke, daß dieses wenig bekannte Land die Beachtung der Menschen wohl verdient, und daß ihm, um bewundert zu werden, nichts fehlt, als Beschauer, die es zu sehen verstünden. Ich will suchen, einige Beobachtungen zu gewinnen, die Ihres Beifalls werth sein könnten. Um ein schönes Weib zu unterhalten, müßte man ein, liebenswürdiges, galantes Volk schildern; aber für dich, meine Julie, ach! ich weiß es wohl, ist das Gemälde eines schlichten, glücklichen Volks das, was dein Herz verlangt.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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