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Fünfunddreißigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Ich finde nicht, mein Freund, daß die Paar Worte, die ich scherzend über Madame Belon gesagt hatte, eine so ernsthafte Explication werth waren. Wer sich so viel Mühe giebt, sich zu rechtfertigen, macht das Vorurtheil oft nur gegen sich rege. Unter uns ist das sicherlich nicht der Fall; denn recht volle Herzen mäkeln nicht um jede Kleinigkeit, und die verliebten Zwiste um Nichts und wieder Nichts haben fast immer einen viel wirklicheren Grund, als es scheint.

Es ist mir indeß nicht unlieb, daß uns diese Läpperei Gelegenheit giebt, über die Eifersucht mit einander zu sprechen, einen für mich unglücklicherweise nur allzu wichtigen Gegenstand.

Wie unsere Seelen geschaffen sind, mein Freund, und nach dem Hange, der uns beiden gemein ist, sehe ich wohl, daß die Liebe die Hauptangelegenheit unseres Lebens sein wird. Wenn sie erst einmal so tief gewirkt hat, wie in uns, muß sie alle sonstigen Leidenschaften vertilgen oder in sich schlingen; die geringste Erkaltung würde für uns bald die Erschöpfung sein, die dem Tode vorangeht; unüberwindlicher Ekel und Ueberdruß würden eintreten, wenn die Liebe erloschen wäre, und wir würden nicht mehr lange leben können, nachdem wir aufgehört hätten zu lieben. Bei mir besonders fühlst du wohl, daß nur der Rausch der Leidenschaft mir das Grauenvolle meiner jetzigen Lage verschleiern kann und daß ich entweder schwärmerisch lieben oder vor Schmerz sterben muß. Sage dir also, ob ich Grund habe, einen Punkt ernsthaft zu besprechen, von welchem das Glück oder Unglück meines Lebens abhängt.

Soweit ich über mich selbst urtheilen kann, scheint mir, daß ich, wenn auch oft zu lebhaft ergriffen, doch wenig zur Heftigkeit geneigt bin. Die Schmerzen müßten lange in meinem Innern gewühlt haben, ehe ich es wagen sollte, die Quelle derselben ihrem Urheber zu entdecken; und da ich überzeugt bin, daß man nur mit Willen Unrecht thun kann, so würde ich lieber hundert Ursachen zur Klage als eine Explication ertragen. Ein solcher Charakter muß weit führen, wenn man dabei Hang zur Eifersucht hat, und ich bin nicht ohne Furcht, diesen gefährlichen Hang in mir zu spüren. Nicht, daß ich nicht wüßte, daß dein Herz für das meinige geschaffen ist und nicht für ein anderes. Aber man kann sich selbst täuschen, ein vorübergehendes Wohlgefallen für eine Leidenschaft nehmen und aus Einbildung ebenso viel thun, als man nur immer aus Liebe thun konnte. Wenn du dich nun für unbeständig halten kannst, ohne es in der That zu sein, mit wie viel größerem Rechte werde ich dir Untreue vorzuwerfen haben. Solche schreckliche Ungewißheit aber würde mein Leben vergiften; ich würde im Stillen seufzen, ohne zu klagen und würde untröstbar sterben, ohne daß ich doch aufgehört hätte, geliebt zu sein.

Laß uns, ich beschwöre dich, einem Unglück vorbeugen, dessen bloßer Gedanke mich schaudern macht. Schwöre mir, mein trauter Freund, nicht bei der Liebe, Schwur, den man nur hält, wenn er überflüssig ist, nein, bei dem heiligen Namen der Ehre, den du so theuer hältst, daß ich immer und unablässig die Vertraute deines Herzens bleiben soll und daß es keinen Wechsel je erlebe, den ich nicht zuerst erführe. Führe mir nicht an, daß du mir nie etwas wirst zu entdecken haben; ich glaube es, ich hoffe es; aber komm meiner thörichten Angst zuvor und gieb mir in dem Versprechen für Künftiges, das nicht kommen soll, die ewige Gewißheit der Gegenwart. Ich würde weniger zu beklagen sein, wenn ich mein wirkliches Unglück von dir erführe, als wenn ich unaufhörlich mich mit eingebildetem quälte; ich würde wenigstens deiner Reue genießen; wenn du nicht mehr meine Glut theiltest, würdest du doch noch meine Schmerzen theilen, und ich würde die Thränen weniger bitter finden, die ich in deinen Busen vergösse.

Hier, mein Freund, wünsche ich mir zwiefach Glück zu meiner Wahl, des süßen Bandes wegen, das uns verknüpft, und der Rechtschaffenheit wegen, die es sichert. Dies ist die Anwendung jener Klugheitsregel auf Sachen des reinen Gefühls; so kann der zärtlichen Liebe die strenge Tugend das Leid verscheuchen. Hätte ich einen Geliebten ohne feste Grundsätze, und wenn er mich auch ewig liebte, worin sollte ich die Bürgschaft seiner Beständigkeit finden? Welche Mittel hätte ich, mich von meinem steten Mißtrauen zu befreien? Und woher die Gewißheit nehmen, daß ich nicht getäuscht bin. entweder durch seine Schlauheit oder durch meine Leichtgläubigkeit? Aber du, mein würdiger, ehrenwerther Freund, keines Kunstgriffs, keiner Verstellung fähig, du, ich weiß es, wirst mir deine Aufrichtigkeit erhalten, wenn du sie mir versprochen hast. Die Scham, eine Untreue zu gestehen, wird in deiner geraden Seele nicht den Sieg davontragen über die Pflicht, dein Wort zu erfüllen, und wenn du deine Julie nicht mehr lieben könntest, würdest du ihr sagen, ja, du könntest ihr sagen: Julie, ich kann dich nicht .... nein, mein Freund, nie schreibe ich dieses Wort hin.

Was sagst du zu meinem Mittel? Es ist das einzige, das weiß ich gewiß, das in mir jedes Gefühl von Eifersucht ausrotten könnte. Ich finde, ich weiß nicht was für eine Zartheit darin, die mich bezaubert, daß ich mich wegen deiner Liebe auf deine Gewissenhaftigkeit verlasse, und mir die Macht nehme, an eine Untreue zu glauben, die du mir nicht selbst sagen würdest. Dies ist, du Lieber, die sichere Wirkung des Versprechens, das du mir geben sollst; denn ich könnte dich wohl für einen flatterhaften Geliebten, aber nie für einen falschen Freund halten, und wenn ich an deinem Herzen zweifelte, nie werde ich an deinem Worte zweifeln. Was für ein Vergnügen es mir macht, hierin eine unnöthige Vorkehrung zu treffen, dem Scheine einer Umwandlung vorzubeugen, deren Unmöglichkeit ich so wohl fühle! Welcher Reiz, von Eifersucht mit einem so treuen Geliebten zu sprechen! Ach! wenn du aufhören konntest, es zu sein, dann, glaube mir, würde ich nicht so mit dir darüber reden. Mein armes Herz würde im Nothfalle nicht so weise sein, und das kleinste Mißtrauen würde mir bald den Willen rauben, mich davor sicher zu stellen.

Da haben wir, sehr verehrter Lehrer, Stoff zum Gespräche für heut Abend, denn ich weiß, daß Ihre beiden unterthänigen Schülerinen die Ehre haben werden, mit Ihnen zusammen bei dem Vater der Unzertrennlichen zu soupiren. Durch Ihre gelehrten Vorlesungen über die Zeitung haben Sie dergestalt Gnade gefunden in seinen Augen, daß es nicht viel Mühe gemacht hat, Ihnen diese Einladung zu verschaffen. Die Tochter hat ihr Klavier stimmen lassen; der Vater hat den Lamberti durchgeblättert; ich werde vielleicht die Lection aus jenem Gebüsche von Clarens repetiren. O Doctor aller Facultäten, nach jeder Seite hin sind Sie mit irgend einer Wissenschaft gerüstet. Herr von Orbe, der nicht vergessen ist, wie Sie denken können, hat die Mission, einen gelehrten Disput anzuspinnen über die bevorstehende Huldigung des Königs von Neapel, während dessen wir Dreie uns in das Zimmer der Cousine verfügen werden. Dort, Vielgetreuer, werdet Ihr auf den Knien vor Eurer Dame und Gebieterin, die beiden Hände in den ihrigen und in Gegenwart ihres Kanzlers, ihr unverbrüchliche Treue und Redlichkeit geloben; nicht sei gesagt ewige Liebe, denn es wäre ein Gelöbniß, das zu halten oder zu brechen man nicht in seiner Macht hat; aber Wahrheit, Aufrichtigkeit, unwandelbare Offenherzigkeit. Ihr sollet nicht schwören, ewig unterthänig zu sein, aber euch keiner Felonie schuldig zu machen und wenigstens den Krieg zu erklären, bevor Ihr das Joch abschüttelt. So geschehen, werdet ihr den Ritterkuß empfangen und als einziger Vasall und getreuer Ritter anerkannt sein.

Adieu, mein Freund; der Gedanke an das heutige Souper macht mich vergnügt. Ach! wie werde ich es erst sein, wenn du es auch bist!

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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