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Sechsunddreißigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Küsse diesen Brief und springe vor Freude über die Nachricht, welche er dir dringt; aber denke, daß ich, wenn ich auch nicht springe und nichts zu küssen habe, doch nicht weniger davon durchdrungen bin. Mein Vater muß nach Bern seines Prozesses wegen, und von da nach Soleure, seiner Pension wegen, und hat meiner Mutter den Vorschlag gemacht, mitzureisen; sie hat ihn angenommen, indem sie von der Luftveränderung einen günstigen Einfluß auf ihre Gesundheit hofft. Man wollte mir die Gunst erzeigen, mich ebenfalls mitzunehmen, und ich fand nicht für gut, mich zu erklären, wie ich darüber dächte; aber da es sich mit dem Wagen nicht wollte einrichten lassen, ist dieser Plan wieder aufgegeben worden und man giebt sich alle Mühe, mich zu trösten, daß ich nicht mitfahren kann. Ich mußte mich betrübt anstellen und darüber, daß ich eine falsche Rolle spielen muß, bin ich es wirklich so sehr, daß die Gewissensunruhe mich fast aller Verstellung überhoben hat.

Ich werde während der Abwesenheit meiner Eltern nicht die Hausfrau machen, sondern man bringt mich bei dem Vater der Cousine unter, so daß ich diese Zeit über wirklich unzertrennlich von der Unzertrennlichen sein werde. Noch mehr, meine Mutter hat lieber keine Kammerfrau mitnehmen wollen, um mir die Babi als Gouvernante zu lassen; gewiß keine gefährliche Art Argus, die man weder zu bestechen noch zu Vertrauten zu machen braucht, sondern nach Bedürfniß durch den entferntesten Schein von Vergnügen oder Geldverdienst, den man ihnen vorhält, sich vom Halse schaffen kann.

Du begreifft, wie leicht es uns diese vierzehn Tage werden wird, uns zu sehen; da muß nun die eigene Mäßigung an die Stelle des Zwanges treten, und wir müssen uns aus freien Stücken dieselbe Zurückhaltung auferlegen, zu welcher wir zu anderer Zeit genöthigt sein würden. Nicht nur darfst du, wenn ich bei meiner Cousine sein werde, nicht öfter hinkommen als früher, um sie nicht zu compromittiren: ich hoffe auch, daß ich dich nicht erst an die Rücksichten zu erinnern brauche, welche ihr Geschlecht erfordert, noch an die heiligen Rechte der Gastfreundschaft, und daß ein gesitteter Mann nicht erst Belehrung braucht über die zarte Scheu, welche die Liebe der Freundschaft, die ihr Zuflucht giebt, schuldig ist. Ich kenne deine Lebhaftigkeit, aber ich kenne auch ihre unverletzlichen Grenzen. Wenn du niemals der Schicklichkeit Opfer gebracht hättest, so würdest du ihr heut keines zu bringen haben.

Woher diese mißvergnügte Miene und dieses betrübte Auge? Warum murren über Gesetze, welche die Pflicht auferlegt? Ueberlasse deiner Julie die Sorge, sie zu versüßen; hast du es jemals bereut, ihrer Stimme willig gefolgt zu sein? An blumigen Hügeln, wo die Vevaise entspringt, liegt ein einsamer Weiler, der manchmal von Jägern besucht wird und eigentlich nur Liebenden zur Zufluchtstätte dienen sollte. Rings um die Hauptwohnung, welche in Herrn von Orbe's Besitz ist, liegen zerstreut in ziemlicher Entfernung einige Chalets, [Sennhütten.] deren Strohdächer ganz dazu geschaffen sind, der Liebe und Lust, diesen Freunden ländlicher Einfalt, zum Obdach zu dienen. Die munteren, verschwiegenen Milchdirnen wissen Anderen das Geheimniß zu hüten, weil sie dessen für sich selbst benöthigt sind. Die Bäche, welche die Wiesen bewässern, sind mit Gebüsch und köstlichem Laubholz besetzt. Höher hinauf findet man im dichten Wald einen noch abgelegneren und düsterem Zufluchtsort.

Al bel seggio riposto, ombroso e fosco Ne mai pastori appressan, ne bifolchi. [Dem schönen stillen Sitz, dem schattenreichen Und düstern naht nie Pflüger oder Hirte.

Petrarca.]

Kunst und Menschenhand hat da Alles mit ihrer belästigenden Pflege verschont; überall nimmt man nur die liebreich waltende Hand der allgemeinen Mutter wahr. Dort, o mein Freund, ist man ganz nur in ihrer Hut und hat keinen Gesetzen zu gehorchen als den ihrigen. Auf Herrn von Orbe's Einladung hat Clara schon ihrem Vater eingeredet, daß er Lust hätte, mit einigen Freunden ein Paar Tage in dieser Gegend zu jagen, und die Unzertrennlichen mitzunehmen. Diese sind nicht ohne andere Unzertrennliche, wie du nur zu gut weißt. Der Eine, der den Hausherrn abgiebt, wird natürlich die Honneurs des Hauses machen, und der Andere wird inzwischen, mit weniger Aufsehen, seiner Julie die Honneurs eines niedern Chalet machen können, und dieses Chalet, von der Liebe geweiht, wird ihnen der Tempel von Knidos sein. Um diesen reizenden Plan glücklich und sicher auszuführen, bedarf es nur weniger Veranstaltungen, die wir nur noch unter uns verabreden wollen, und die schon selbst einen Theil des Vergnügens ausmachen werden, zu dem sie uns verhelfen sollen. Adieu, mein Freund! ich breche schnell ab, weil ich überrascht zu werden fürchte. Auch fühle ich wohl, daß das Herz deiner Julie dem Chalet ein wenig zu früh zufliegt.

N. S. Alles recht wohl bedacht, finde ich, daß wir uns, ohne zu viel zu thun, fast alle Tage sehen können, nämlich bei meiner Cousine einen Tag um den andern, und dazwischen auf der Promenade.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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