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Vierunddreißigster Brief.
Antwort.

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Inhaltsverzeichnis

Nò, non vedrete mai Cambiar gli affetti miei, Bei lumi, onde imparai As ospirar d' amor.

[Nein, niemals sollt ihr sehen, Die Lieb' in mir sich wandeln, Ihr Augen, die mich lehrtet Seufzen vor Liebesweh.]

Wie gut muß ich ihr sein, der hübschen Madame Belon, für das Vergnügen, das sie mir verschafft hat! Verzeih es mir, göttliche Julie, ich unterstand mich, deiner zärtlichen Unruhe einen Augenblick lang zu genießen, und dieser Augenblick war einer der süßesten meines Lebens. Wie allerliebst waren sie, diese besorgten und forschenden Blicke, die sich verstohlen auf uns richteten und im Augenblicke wieder senkten, um die meinigen zu vermeiden! Was that da dein glücklicher Geliebter? Unterhielt er sich mit Madame Belon? Ach, meine Julie, kannst du es glauben? Nein, nein, unvergleichliches Mädchen, er war würdiger beschäftigt. In welchem Zauber folgte sein Herz den Regungen des deinen! mit welcher gierigen Ungeduld verschlangen seine Augen deine Reize! Deine Liebe, deine Schönheit erfüllten, entzückten seine Seele; sie konnte kaum so viele köstliche Gefühle fassen. Nur das Eine beklagte ich, daß ich auf Kosten meiner Heißgeliebten ein Vergnügen genoß, das sie nicht theilte. Weiß ich, was mir während dieser ganzen Zeit Madame Belon sagte? Weiß ich, was ich ihr antwortete? Wußte ich es während unserer Unterhaltung? Hat sie es selbst wissen können? Und konnte sie das Mindeste begreifen von den Reden eines Mannes, der sprach, ohne zu denken, und antwortete, ohne zu hören?

Com' uom che par ch' ascolti, e nulla intende. [„Gleich Dem, der thut, als hört' er, und nicht hinhört!“]

Auch hat sie eine gründliche Verachtung für mich gewonnen. Sie hat aller Welt gesagt, auch dir vielleicht, daß ich keinen gesunden Menschenverstand hätte, und was noch schlimmer ist, nicht einen Funken Geist und daß ich ganz ebenso abgeschmackt wäre wie die Bücher, die ich studire. Was kümmert's mich, was sie über mich sagt und denkt? Ist nicht meine julie die einzige Richterin über Alles, was in mir ist, und Alles, was ich gelten möchte? Möge die übrige Welt von mir denken, was ihr gut dünkt, mein ganzer Werth liegt in deiner Achtung.

Ach! Glaube mir, weder einer Madame Belon noch irgend einer Schönheit, die sie weit überragte, ist es gegeben, die Ableitung, von der du sagst, zu bewirken und einen Augenblick von dir mein Herz und meine Augen abzuziehen. Wenn du an meiner Aufrichtigkeit zweifeln könntest, wenn du solch eine tödtliche Beleidigung meiner liebe und deinen Reizen zufügen könntest, sage doch, wer denn Controlle geführt über Alles, was um dich geschah? Sah ich dich nicht glänzen unter den jungen Schönheiten dort, wie die Sonne unter den Sternen, welche sie verdunkelt? Sah ich nicht Cavaliere [Cavaliere – veraltetes Wort, das man nicht mehr anwendet; man sagt jetzt: Männer. Ich habe geglaubt, den Leuten in der Provinz diese wichtige Anmerkung schuldig zu sein, damit ich doch auch einmal dem Publicum nütze.] sich um deinen Stuhl versammeln? Bemerkte ich nicht, trotz deinen Gefährtinen, die Bewunderung, welche sie dir darbrachten? Nahm ich nicht ihre achtungsvolle Beflissenheit und ihre Huldigungen und ihre Galanterien wahr? Sah ich nicht, als du bei der Collation den Handschuh auszogst, welchen Eindruck dieser entblößte Arm auf die Zuschauer machte? Sah ich nicht, wie der junge Fremde, der deinen Handschuh aufhob, die reizende Hand küssen wollte, die ihn ihm abnahm? Sah ich nicht, wie ein Kühnerer, dessen glühendes Auge an meinem Blut und Leben sog, dich nöthigte, weil du es bemerktest, deinem Tuch eine Nadel hinzuzufügen? Ich war nicht so zerstreut, wie du denkst: ich habe das alles gesehen, Julie, und ich war nicht eiferfüchtig; denn ich kenne dein Herz. Es gehört nicht zu denen, ich weiß es gewiß, die zweimal lieben können. Willst du das meinige ihnen beizählen?

Laß uns denn zurückkehren zu dem einsamen Leben, das ich nur ungern aufgab. Nein, das Herz findet keine Nahrung in dem Tumult der Welt. Die unächten Freuden machen ihm die Entbehrung der wahren noch bitterer und es zieht seine Leiden eitlen Zerstreuungen vor. Aber, meine Julie, auch bei dem Zwange, in welchem wir leben, giebt es noch ächte, könnte sie geben, und du scheinst nicht daran zu denken! Wie? Vierzehn ganze Tage hinbringen einander so nah, ohne sich zu sehen und ohne sich ein Wort zu sagen! Ach, was denkst du, was soll ein von Liebe verzehrtes Herz so viele Jahrhunderte über beginnen? Weit hinweg sein wäre wahrlich weniger hart. Was nützt eine übertriebene Vorsicht, die uns größeres Weh zufügt, als sie verhütet? Was frommt es, das Leben zu verlängern in seiner Marter? Wäre es nicht hundertmal besser, sich einen Augenblick lang zu sehen und dann zu sterben?

Ich leugne es nicht, meine süße Freundin, ich möchte wohl gern das liebenswürdige Geheimniß entschleiern, das du mir verbirgst: es ist nie eines wichtiger für uns gewesen; aber meine Anstrengungen sind vergeblich. Ich werde jedoch das Stillschweigen beobachten, das du mir auflegst, und eine unbescheidene Neugier zurückhalten; aber wenn ich ein so süßes Geheimniß achte, wüßte ich dann doch wenigstens gewiß, daß es sich aufklären wird! Wer weiß, wer weiß, ob nicht wieder deine Pläne auf Träume hinauslaufen? Geliebte Seele meines Lebens, ach, machen wir wenigstens einen Anfang, sie einmal zu verwirklichen!

N. S. Ich vergaß dir zu sagen, daß Herr Roguin mir eine Compagnie in dem Regiment angeboten hat, welches er für den König von Sardinien aushebt. Ich bin sehr gerührt gewesen von der Aufmerksamkeit dieses braven Officiers; ich habe ihm gesagt, indem ich ihm dankte, daß ich zu kurzsichtig für den Dienst wäre und daß meine Neigung zu den Studien mit einem so thätigen Leben nicht recht wohl übereinstimmte. Hierin habe ich der Liebe kein Opfer gebracht. Ich denke, daß Jeder sein Leben und sein Blut dem Vaterlande schuldig ist; daß es aber nicht erlaubt ist, sich Fürsten in Dienst zu geben, denen man nichts schuldig ist, noch weniger sich zu verkaufen und aus dem edelsten Handwerk der Welt ein schnödes Gewerbe zu machen. Dies waren die Grundsätze meines Vaters, und ich möchte mich glücklich schätzen, wenn ich ihm nach ahmen könnte in seiner Liebe zu seinen Pflichten und zum Vaterlande. Er wollte nie in die Dienste eines fremden Fürsten treten; aber in dem Kriege von 1712 hat er für das Vaterland die Waffen mit Ehren getragen; er wohnte mehren Gefechten bei, in deren einem er verwundet wurde, und in der Schlacht bei Wilmerghen hatte er das Glück, eine feindliche Fahne unter den Augen des Generals von Sacconer zu erbeuten.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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