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Vierundvierzigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Murre nicht so sehr, mein Freund, über diese vorzeitige Rückkehr; sie stiftet uns mehr Vortheil, als es scheint; und wenn wir aus Klugbeit gethan hätten, was wir aus Wohlthätigkeit thaten, hätte es nicht besser ausschlagen können. Erwäge, wie es gekommen wäre, wenn wir unserem Gefallen gefolgt wären! Ich würde aufs Land gezogen sein gerade am Abend vor dem Tage, an welchem meine Mutter in der Stadt wieder ankam; ich würde einen Expressen erhalten haben, ehe ich unser Zusammentreffen hätte in Gang bringen können; ich hätte auf der Stelle abreisen und vielleicht, ohne dir Nachricht geben zu können, dich in tödtlicher Unruhe lassen müssen; unsere Trennung würde gerade in dem Augenblicke geschehen sein, wo sie am schmerzlichsten gewesen wäre. Noch mehr, man würde erfahren haben, daß wir beide auf dem Lande waren; ungeachtet unserer Vorsicht wäre es vielleicht herausgekommen, daß wir beisammen gewesen sind; man würde es wenigstens vermuthet haben, und mehr brauchte es nicht. Das unvorsichtige Geizen mit der Gegenwart würde uns jeden Ausweg für die Zukunft versperrt haben, und die Reue, ein gutes Werk versäumt zu haben, hätte uns Zeitlebens gequält.

Vergleiche nun diesen Zustand mit unserer gegenwärtigen Lage. Erstlich hat deine Abwesenheit eine vortreffliche Wirkung gemacht. Mein Argus wird nicht verfehlt haben, meiner Mutter zu sagen, daß du wenig bei meiner Cousine zu sehen warst: sie erfährt deine Reise und den Zweck; dies ist ein Grund mehr, dich zu achten. Und wer wird nun denken, daß Leute, die in Einverständniß mit einander sind, freiwillig, um sich zu trennen, den einzigen Augenblick wählen werden, in welchem sie gerade Freiheit haben, sich zu sehen? Welche List haben wir gebraucht, um einen nur zu gegründeten Argwohn abzuwenden? Die einzige, meiner Meinung nach, welche braven Leuten wohl ansteht, nämlich brav in solchem Maße zu sein, wie man es sowenig vermuthet, daß eine Anstrengung der Tugend für eine Handlung der Gleichgültigkeit genommen wird. Mein Freund, wie süß ist nicht eine durch solch ein Mittel geheim bewahrte Liebe den Herzen, die sie hegen! Rechne nun noch das Vergnügen hinzu, bekümmerte Liebende vereinigt zu haben, und zwei junge Leute glücklich zu machen, die es so sehr verdienen! Du hast meine Fanchon gesehen; sage, ist sie nicht allerliebst? Und verdient sie nicht Alles, was du für sie gethan hast? Ist sie nicht zu hübsch und zu unglücklich, um ungestraft Mädchen zu bleiben? Und Claude Anet seinerseits, dessen gute Natur durch ein Wunder drei Jahre Kriegsdienst glücklich bestanden hat, würde er noch einmal soviel ausgehalten haben, ohne ein Taugenichts zu werden wie alle Anderen? Statt dessen haben sie sich nun lieb und werden verbunden werden; sie sind arm und werden Unterstützung erhalten; sie sind rechtschaffene Leute und werden es bleiben können; denn mein Vater hat versprochen, für ihre Etablirung zu sorgen. Wie viel Gutes hast du ihnen und uns durch deine Gefälligkeit verschafft. ohne zu gedenken, wie hoch ich es dir anrechnen muß! Solcher Art, mein Freund, sind die sicheren Folgen der Opfer, die man der Tugend bringt: wenn sie uns oft schwer fallen, ist es immer süß, sie gebracht zu haben, und noch niemals hat man Jemanden eine gute Handlung bereuen sehen.

Ich vermuthe schon, daß du mich auch nach dem Beispiele der Unzertrennlichen die Predigerin nennen wirst; und es ist wahr, daß ich nicht besser nach meinen Worten thue als die Herren vom Handwerk. Wenn meine Predigten nicht so schön sind wie die ihrigen, sehe ich wenigstens mit Vergnügen, daß sie nicht wie jene in den Wind gehen. Ich sträube mich nicht dagegen, mein liebenswürdiger Freund; ich möchte gar gern deinen Tugenden so viel hinzufügen, als ich durch eine tolle Liebe verloren habe, und da ich mich selbst nicht mehr achten kann, möchte ich mich gern noch in dir achten. Von deiner Seite ist nichts nöthig, als rechte Liebe, und Alles wird sich wie von selbst geben. Aber mit welcher Freude mußt du unaufhörlich die Schuld anwachsen sehen, welche sich die Liebe abzutragen verpflichtet!

Meine Cousine hat erfahren, was du mit ihrem Vater in Betreff des Herrn von Orbe gesprochen hast; sie ist so dankbar dafür, als ob wir in Freundschaftsdiensten je anders könnten, als gegen sie im Rest sein. Mein Gott! mein Freund, was für ein glückliches Mädchen bin ich! wie werde ich geliebt! und wie entzückend finde ich es! Vater, Mutter, Freundin, Geliebter! Und ich sollte nicht Alles lieben, was mich umgiebt! immer sehe ich mir zuvorgekommen, ja in jedem Sinne zuvorgekommen. Es ist, als suchten die süßesten Gefühle der Welt unablässig meine Seele, und ich habe leider doch nur die eine, um alles des Glückes zu genießen.

Ich vergaß dir auf morgen Vormittag einen Besuch anzukündigen; nämlich Milord, der von Genf kommt, wo er sieben oder acht Monate zugebracht hat. Er hat dich, wie er sagt, als er aus Italien zurückkam, in Sion gesehen. Er fand dich sehr schwermüthig, und spricht übrigens von dir, wie ich über dich denke. Er sang gestern dein Lob vor meinem Vater so gut und so zur Zeit, daß er mir die größte Lust gemacht hat, das seinige zu singen. In der That, ich fand Verstand, Witz, Feuer in seiner Unterhaltung, Seine Stimme hebt sich, und sein Auge belebt sich, wenn er von edlen Handlungen spricht, wie es bei Solchen der Fall ist, die selbst ihrer fähig sind. So spricht er auch mit Theilnahme über Gegenstände des Geschmacks, unter Anderem über die italienische Musik, die er bis in die Wolken erhebt; ich glaubte meinen armen Bruder wieder zu hören. Uebrigens spricht er mehr mit Kraft als mit Anmuth, und ich fand sogar seine Art und Weise harsch. [Rèche im Original; wozu R, bemerkt: ,,Provinzialismus, hier im bildlichen Sinne. Im eigentlichen bedeutet es eine Fläche, die sich rauh anfühlt und einen unangenehmen Schauder verursacht, wenn man darüber hinstreicht, wie eine recht dichte Bürste oder Utrechter Sammet."] Adieu, mein Freund.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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