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Zweiundfünfzigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Wie, mein Freund, dem Wein entsagen der Geliebten wegen! Das heißt ein Opfer, O, ich biete die Wette, man zeige mir in den vier Cantonen den Mann, der mehr liebt als du! Nicht, als ob es nicht unter unsern jungen Leuten französirte Herrchen gäbe, die zu prahlen Wasser trinken; aber du wirst der Erste sein, dem es die Liebe aufgenötigt hat; das ist ein Fall, der in den galanten Annalen der Schweiz aufgezeichnet werden muß. Ich habe sogar über dein Verhalten Erkundigungen eingezogen und bin zu meiner außerordentlichen Erbauung berichtet worden, daß du gestern bei Herrn von Veuillerans nach dem Abendtisch sechs Flaschen ruhig umhergehen ließest, ohne sie anzurühren, und um die Gläser Wasser nicht mehr feilschtest, als die übrigen Gäste um die Gläser Côte-Wein, Inzwischen währt diese Buße schon die drei Tage, seitdem mein Brief geschrieben ist; das macht wenigstens sechs Mahlzeiten: nun wohl, zu sechs Mahlzeiten, die man aus Treue gewissenhaft war, können noch sechs kommen, bei denen man es aus Furcht ist, bei sechs andern aus Scham, bei sechsen aus Gewohnheit, bei sechsen aus Eigensinn. Wie vielerlei Beweggründe können peinliche Entbehrungen verlängern, von denen die Liebe allein den Ruhm haben sollte! Soll sie es nicht verschmähen, sich etwas zuzurechnen, was ihr vielleicht nicht zukommt?

Da hast du mehr schlechte Späße, als du schlechte Redensarten vorgebracht hattest; es ist Zeit, Einhalt zu thun. Du bist von Natur ernst; ich habe bemerkt, daß langes Spaßen dich erhitzt, wie langes Gehen einen fetten Menschen; aber ich nehme ungefähr die Rache an dir, die Heinrich IV. an dem Herzoge von Mayenne nahm, und deine Souverainin will die Milde des besten der Könige nachahmen. Auch müßte ich fürchten, daß du dir nicht über alle Reue und über alles Entschuldigen noch gar ein Verdienst aus einem sowohl gebüßten Fehler machtest, und ich will mich sputen, ihn zu vergessen, aus Furcht, daß, wenn ich zu lange damit zögerte, es keine Großmuth mehr, sondern Undankbarkeit wäre.

Was deinen Entschluß betrifft, dem Weine für immer zu entsagen, so hat er nicht so viel Glanz in meinen Augen, als du vielleicht glaubst; eine starke Leidenschaft denkt nicht solche kleine Opfer und die Liebe füttert sich nicht mit Galanterie. Uebrigens liegt zuweilen mehr Geschicklichkeit als Heldenmuth darin, für den gegenwärtigen Augenblick Vortheil zu ziehen von der Zukunft, die doch immer ungewiß ist, und sich im Voraus bezahlt zu machen für eine ewige Enthaltsamkeit, die man bricht, sobald man will. Ei, mein Freund, ist denn in Allem, was den Sinnen schmeichelt, der Mißbrauch unzertrennlich vom Genusse? ist es nicht möglich, den Wein gern zu trinken, ohne sich darin zu berauschen? und wäre die Philosophie so ohnmächtig oder so grausam, kein anderes Mittel zu wissen, um sich im Gebrauche des Angenehmen zu mäßigen, als daß man ganz und gar verzichte?

Wenn du dein Gelübde hältst, so raubst du dir ein unschuldiges Vergnügen und kannst sogar deiner Gesundheit schaden, indem du deine Lebensart änderst; wenn du es brichst, ist die Liebe zwiefach beleidigt und selbst deine Ehre leidet darunter. Ich mache deshalb bei dieser Gelegenheit von meinen Rechten Gebrauch; und nicht nur entbinde ich dich von einem nichtigen, weil ohne meine Genehmigung abgelegten Gelübde, sondern ich verbiete dir sogar, es über den Termin hinaus zu beobachten, den ich dir vorschreiben will. Dienstag werden wir hier Milord Eduard's Musik haben. Bei der Collation werde ich dir einen halbgefüllten Becher mit reinem wohlthätigen Nectar senden. Dieser soll in meiner Gegenwart und auf mein Wohl geleert werden, nachdem einige Tropfen als sühnende Libation den Grazien dargebracht sind. Hiernach wird mein Büßer bei seinen Mahlzeiten zu einem mäßigen Genusse des Weines gemildert mit dem Cristall der Quellen zurückkehren, das Feuer des Bacchus, wie dein guter Plutarch sagt, sänftigend durch den Umgang mit den Nymphen.

Bei Gelegenheit unseres Dienstags-Concerts: hat sich nicht dieser Leichtfuß von Regianino in den Kopf gesetzt, daß ich schon eine italienische Arie, selbst ein Duett mit ihm singen könnte? Er wollte zuerst, daß ich es mit dir singen sollte, um seine beiden Schüler zusammenzubringen; aber es sind da in dem Duo gewisse Ben mio, gefährlich unter den Augen einer Mutter zu singen, wenn das Herz dabei ist; besser, wir verschieben diesen Versuch auf das erste Concert, das bei der Unzertrennlichen stattfinden wird. Ich erkläre mir die Leichtigkeit, mit welcher ich an dieser Musik Geschmack gewonnen habe, daraus, daß mir mein Bruder schon welchen für die italienische Poesie beigebracht hatte, den ich dann im Umgange mit dir sosehr genährt habe, daß es mir nicht schwer fällt, den Tonfall der Verse zu fühlen, und daß ich, wie Regianino es ausdrückt, recht gut Accent halte. Wir fangen jede Stunde damit an, daß ich einige Octaven von Tasso lese, oder eine Scene von Metastasio; dann läßt er mich Recitativ singen und begleiten; und es ist mir dabei, als ob ich nur weiter läse und spräche, was mir bei dem französischen Recitativ wahrhaftig nie begegnet ist. Hierauf muß ich Töne im Takte gleichmäßig und rein tragen, eine Uebung, welche mir das Schreien, woran ich gewöhnt bin, ziemlich schwer macht. Endlich gehen wir zu Arien über; dabei findet sich, daß die Reinheit und Biegsamkeit der Stimme, der pathetische Ausdruck, die Rinforzandos und alle Passagen sich bei sanftem Vortrag und richtigem Takthalten von selbst ergeben, so daß gerade was mir immer das Schwerste zu lernen schien, gar nicht einmal gelehrt zu werden braucht. Der Charakter der Melodie steht in solchem Bezuge zu dem Tone der Sprache und ist so rein modulirt, daß man nur auf den Baß zu hören und sich auf die Declamation zu verstehen braucht, um mit Leichtigkeit zu treffen. Alle Leidenschaften haben hier ihren scharfen und bestimmten Ausdruck; ganz das Gegentheil von dem schleppenden und gequälten Accent des französischen Gesanges, sagt der italienische, immer sanft und leicht, aber belebt und ergreifend, viel mit wenig Anstrengung: kurz, ich fühle, daß diese Musik die Seele bewegt und die Brust schont; sie ist gerade so, wie sie mein Herz und meine Lunge brauchen. Auf Dienstag denn, mein liebenswürdiger Freund, mein Lehrer, mein Büßer, mein Apostel; ach, was bist du mir nicht? warum muß denn so vielen Rechten ein bloßer Titel fehlen?

N. S. Weißt du, es ist die Rede von einer allerliebsten Wasserfahrt, wie jene, die wir vor zwei Jahren mit der armen Chaillot machten? Wie schüchtern mein verschlagener Lehrer damals war! wie er zitterte, als er mir aus dem Kahne half! O, der Heuchler! ... er ist sehr anders geworden.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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