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Das Konzil wird eröffnet

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Das Auseinanderklaffen zwischen dem glanzvollen Einritt Johannes’ in Konstanz und seiner schimpflichen Flucht aus dem Ort im Jahr darauf, es hatte natürlich auch damit zu tun, dass Johannes und seine Getreuen hier nicht allein blieben; dass unterschwellige Prozesse in Gang kamen, die schwerlich jemand hat steuern können; dass das Aufeinandertreffen, Miteinanderreden, Zuhören, Diskutieren so vieler Beteiligter eine Dynamik aufkommen ließ, die ein Einzelner nicht mehr beeinflussen konnte. Es waren etwa um die 30 Kardinäle, drei Patriarchen, 33 Erzbischöfe, 300 Doktoren der Theologie, 5000 Mönche und ungefähr 16.000 Priester. Das aber waren nur die Geistlichen. In seinem Einladungsschreiben hatte sich wie gesagt Johannes ganz bewusst auch an die weltlichen Herrscher Europas gewandt. Auch diese sind in großer Zahl gekommen. Aus den Gebieten des Heiligen Römischen Reiches erschienen aus der Gruppe der Wähler des römisch-deutschen Königs die Kurfürsten Ludwig III. von der Pfalz, Rudolf von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg, ferner die Herzöge von Bayern, Österreich, Sachsen, Schleswig, Mecklenburg, Lothringen und Teck. Außerhalb der Lande des Heiligen Römischen Reiches fanden den Weg nach Konstanz die Könige von Frankreich, England, Schottland, Dänemark, Polen, Neapel und der spanischen Reiche. In den ersten Tagen des Monats November wurde das Geschehen durch eine Prozession und eine feierliche Messe eröffnet, der Bedeutung des Anlasses gemäß. Die erste reguläre Sitzung fand am Freitag, dem 16. November 1414 statt.

Konzilsort war das Münster, die große Bischofskirche der Stadt. In ihren Ursprüngen geht sie auf die Anfangszeit des Bischofssitzes zurück, auf die Zeit um etwa 600. Im 11. Jahrhundert stürzte der Bau krachend ein. Rasch wurde er wieder aufgebaut; es entstand eine gewaltige dreischiffige Säulenbasilika mit kreuzförmigem Grundriss, die 1089 geweiht wurde. Mit ihrem charakteristischen, wuchtig-breiten Westturmblock prägt sie als höchstes Gebäude der Altstadt noch heute das Konstanzer Stadtbild, zumindest im Innenstadtbereich. Insgesamt 45 allgemeine Konzilssitzungen sollten im Münster stattfinden, weniger Debatten freilich, sondern meist Erklärungen und feierliche Proklamationen: ein mittelalterlicher Plenarsaal, zur Verkündung der Entscheidungen.

Wo saß man in der Kirche? Jeder, der in das Münster kam, um an den Sitzungen teilzunehmen, sollte seinen Platz haben, wissen, wo er hingehört, seinem Stand und Rang gemäß. Vorne war – mittelalterlichen Vorstellungen von Sitzordnungen zufolge – besser als hinten. Der Thron des Papstes stand somit folgerichtig vor dem Lettner-Altar, der Sigismunds vor dem Tagmessaltar; in der Mitte des Raumes befand sich eine Kanzel für den Redner. Eine Darstellung aus der Chronik Richentals zeigt, dass zwischen den etwa neun Meter hohen Säulen, die das Gebäude tragen und das Innere des Schiffes fluchten, für die Sitzungen des Konzils gestaffelte Holzbänke aufgestellt worden waren, eine Art von Tribüne etwa, die drei Reihen umfasste. Oben war – ebenfalls den mittelalterlichen Vorstellungen gemäß – besser als unten: So saßen auf der obersten der drei Reihen die Kardinäle, Erzbischöfe und die weltlichen Fürsten; auf der mittleren die Bischöfe und Äbte; auf der untersten Theologen und andere Gelehrte. Die Fläche zwischen den Säulen war ausgefüllt mit den Bankreihen der Schreiber und Konzilsbeamten. Wo man in der Kirche saß, wen man neben sich, vor sich oder im Rücken hatte, sollte sich den Konzilsteilnehmern genau einprägen. Noch zwei Jahrzehnte später, im Rahmen eines Sitzstreits auf dem Basler Konzil zwischen den burgundischen Konzilsteilnehmern und den Kurfürsten, sollten sich einige an die Konstanzer Sitzordnung genau erinnern – andere freilich hätten sie am liebsten vergessen.

Im Schiff des Münsters hatten die Teilnehmer Platz genommen. Johannes XXIII. führte den Vorsitz; er zelebrierte die Messe und hielt eine Predigt. Die Worte waren einfach und doch klug gewählt. Oder klug gewählt, weil einfach. Eine dreifache Wahrheit, so Johannes, gebe es: eine ewige, eine innere und eine äußere. Die ewige, so der Papst, sei Gott, die innere das Gewissen, die äußere aber bestehe in Worten und Taten. Nachdem der Papst geendet hatte, wurden zwei Schriftstücke verlesen: eine Urkunde, die für den glücklichen Verlauf des Konzils bestimmt war, und die Einberufungsbulle vom Herbst des letzten Jahres. Den Fortgang des Tagungsgeschäfts empfanden einige Konzilsteilnehmer freilich als zu schleppend; vor allem die Hauptsache wurde nicht berührt: das Schisma. Der französische Kardinal Guillaume Fillastre (1348–1428), der auf dem Konzil noch eine wichtige Rolle spielen sollte, machte seinem Ärger darüber in seinem Tagebuch – eher freilich eine Art Tatenbericht – Luft:

„Auf diesem allgemeinen Konzil zu Konstanz, das über den Frieden und die wirkliche Einheit der Kirche, dann als zweiten Punkt über ihre Reform zu verhandeln hatte, geschah von Anfang November 1414, als der Papst und das Kardinalskollegium eingetroffen waren, bis Ende Januar sozusagen überhaupt nichts, und die Materie der Kircheneinheit wurde nicht berührt, weil einige Mitglieder unter der Krankheit des ‚noli me tangere‘ (‚rühr mich nicht an‘) litten.“

Konstanz 1414-1418

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