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Fülle, Vielfalt und Buntheit – Die Zeit, in der das Konzil stattfand

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Europa zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Nein, keine Zeit der großen, allumfassenden Krisen oder gar „der“ Krise des Spätmittelalters. Keine Zeit des allgemeinen Verfalls oder des Niedergangs, vielleicht – obwohl das verfängliche Bild einen immer noch in seinen Bann schlägt – nicht einmal ein „Herbst des Mittelalters“, denn vieles war noch lange nicht zu Ende, und wo war der Winter, der dieser Jahreszeit hätte folgen müssen? Nur eine am Machtgedanken ausgerichtete Sicht des 19. und 20. Jahrhunderts auf eine – in Deutschland, aber auch anderswo – seit etwa 1370 ganze Reihe vermeintlich schwacher, abgesetzter oder permanent absetzungsgefährdeter Könige, die sich offensichtlich nur allzu sehr von den Heroen vergangener Jahrhunderte unterschieden, konnte dieser Sicht verfallen. Nur verallgemeinernde Überblicke, die einzelne lokale Befunde, die Geißlerzüge und Judenverfolgungen, Pestkatastrophen und Hungerwellen, Endzeiterwartungen und apokalyptische Prophetien immer gleich ins räumlich Übergreifende, ins zeitlich über Jahrzehnte oder Jahrhunderte Gestreckte ausdehnen wollten, ließen eine solche Meinung sich formen. Stattdessen dominiert beim heutigen Blick auf die Epoche das Bild einer Fülle, ja Überfülle der Gedanken und Bewegungen, des Handelns und des Planens, der Widersprüche und schroffen Gegensätze, ein Zeitalter jedenfalls, in dem neben den unausgesetzten Bedrohungen des menschlichen Lebens für den gewohnten Gang des Alltags und Unaufgeregtheit, für Gelingendes und Zukunftsweisendes genügend Raum blieb.

Europa zu Beginn des 15. Jahrhunderts – wir müssen noch einmal ansetzen. Ist der Krisenbegriff als übergeordnetes Zeichen der Zeit weitgehend untauglich geworden, so scheint er dennoch bei einer Institution angemessen zu bleiben, ja, vielleicht ist sie die einzige überhaupt, für die der Begriff überhaupt noch zulässig ist: bei der Kirche. Deren Situation schien damals − zumindest an ihrer Spitze − auf eine ziemlich hoffnungslose Weise verfahren.

Drei Päpste führten die westliche Christenheit an und rangen um Anerkennung. Bis 1409 waren es „nur“ zwei Päpste gewesen, in Rom seit 1406 der gebürtige Venezianer Angelo Correr als Gregor XII. († 1417), in Avignon seit 1394 der Aragonese Pedro de Luna als Benedikt XIII. († 1423).

Pedro de Luna, der von sich bis zum Schluss überzeugte, stolze, sture Spanier und Angelo Correr, der damals bereits Hochbetagte, ein Mann von ebenso großer Schlichtheit wie von schwankendem Charakter – beide standen nicht am Anfang der Kirchenspaltung, zumindest nicht als Päpste. Hervorgegangen war das Schisma vielmehr aus einer Konstellation des 14. Jahrhunderts, in der die Päpste, die ja eigentlich in der Tiberstadt, bei den Apostelgräbern, ihre angestammte, durch eine jahrhundertelange Tradition vorgegebene Residenz hatten, in eine Art Abhängigkeit vom französischen König geraten und 1309 nach Avignon umgesiedelt waren.

Konstanz 1414-1418

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