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III

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Bevor ich weitererzähle, stelle ich mich vielleicht lieber erst vor. Nicht dir, mein Freund, denn du und ich, wir kennen uns. Vielleicht aber denen, die das doch einmal zufällig lesen! Vieles kann passieren. Meine letzte Chefin zum Beispiel, die hat mich sogar um ein Buch gebeten, sollte ich doch noch einmal eins schreiben. Nun, das schaffe ich jetzt nicht mehr. Solltest du aber vielleicht, oder sonst wer … dann vergesst sie bitte nicht.

Vorgestellt versteht man sich besser. Also, Heinrich Paschke ist mein im Pass eingetragener Name. Meine Freunde und Kollegen nennen mich Heinz. Meine mir angetraute Frau Gemahlin ebenfalls, nur manchmal, wenn sie wütend auf mich ist, nennt sie mich Heini. Das kam vor der Wende aber selten vor, denn wir waren ein glückliches Paar. Auch im ’89er Herbst noch, als diese Geschichte begann. Damals war ich 48 Jahre alt, meine geliebte Frau Jana fast 39 und unser gemeinsamer Sohn Waldemar 21. Der war unstrittig unser gemeinsam erschaffener, ein wenig renitenter, Sprössling. Bis auf seinen Namen. Den hatte er von seinem Großvater und ihn legte er am Tag seiner Volljährigkeit eigenmächtig ab. 150 Mark der DDR hatte die Namensänderung gekostet und geborgt hatte er sie sich unter scheinheiligen Vorwänden von eben diesem seinem Großvater, der ebenfalls Waldemar hieß und der nebenbei auch mein Vater war. Das vergaß er zwar manchmal und ich oft, denn lieben gelernt hatten wir uns nicht.

Durchgesetzt auf dem „Amt für Personenstandswesen“, wie in der DDR die Standesämter genannt wurden, hatte er die Namensänderung selbst, unser Waldemar. Das heißt fast. Seinen ihm von uns angedienten altdeutschen Namen wollte er nicht mehr tragen. Nein, wahrscheinlich nicht aus politischen Gründen, sondern aus Eitelkeit. „Wer heißt denn noch so, außer mir und meinem Opa?“ Was er da fragte, war auch nicht ganz falsch.

Heinrich wollte er künftig heißen. Das ist zwar auch ein altdeutscher Name, aber der Dramatiker Kleist hieß so, argumentierte Waldemar. Der Dichter Heine auch und der Schriftsteller Mann, einer von den vielen Manns, welcher genau, wusste er nicht, ebenfalls. Dass ich, sein treusorgender Vater, auch so hieß, spielte in seinen Überlegungen keine Rolle. Die altdeutsche Form von Heinrich wollte er natürlich nicht annehmen. Alles was deutsch war, war ihm suspekt. Das hatte er so in der Schule gelernt. Und dann war ihm noch untergekommen, dass auch Himmler so hieß, sagte er, und einige reaktionäre deutsche Kaiser ebenfalls. Nein, so heißen wollte er auch wiederum nicht. Waldemar wollte die englische Form des Namens, denn englisch sei so gut wie amerikanisch und was amerikanisch ist, ist okay, alles! „Henry“ wollte er sich deshalb künftig nennen. Dass das nicht nur der Name der, aus seiner Sicht, „fortschrittlichen“ Herren Kissinger und Ford war, sondern auch einiger genauso reaktionärer französischer Könige, störte ihn nicht weiter. Reaktionär waren für ihn sowieso nur Deutsche, die sich Heinrich nannten, nicht ausländische. Und französische, englische und besonders amerikanische Henrys überhaupt nicht, egal was und wer sie waren.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle bei seinem Namenswechsel spielte die 22-jährige „Sachbearbeiterin für Vornamensfragen“ beim „Amt für Personenstandswesen“ Bitterfeld, die auf den Namen Ilona Schön hörte. Die hatte er bei einem Subbotnik der FDJ kennengelernt. Ihn selbst fand die schöne Schön ganz okay, seinen Namen Waldemar aber „ätzend“. Der ist „wirklich echt blöd“! Den von ihm nach ihrem Vorschlag gewählten neuen Namen Henry fand sie „okay“, ihre gemeinsame Argumentation für die Änderung „geil“ und schließlich ihn selbst mit seinem neuen Namen richtig „sexy“. Ob der Namenswechsel genau dem damals geltenden Volkswillen entsprach oder mehr dem sich in der Vorwendezeit auch in der DDR schnell verwestlichenden Zeitgeist, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich hatte man in den Ämtern für Personenstandswesen der DDR keinen Nerv mehr, sich ungeliebten amerikanischen Namenswünschen mit aller Kraft zu verweigern! Jedenfalls bekam Waldemar mehr Hilfe bei der gewünschten Namensänderung, als es die „amtliche Pflicht“ von Ilona Schön gewesen wäre. Zusammen mit dem vom Großvater Waldemar geborgten und ihm bis heute schuldig gebliebenen Betrag von 150 Mark schufen beide Tatsachen. Das kommt vor, wenn ein Wille da ist, sind es gar zwei … na, wir wissen es inzwischen.

Der nun im Register gestrichene Name Waldemar unseres Erstgeborenen hatte allerdings einen etwas heiklen Hintergrund. Er war Bestandteil eines Deals zwischen meinem Vater, seiner von ihm wenig geliebten Schwiegertochter Jana und mir. Als der Namenswechsel und die ihn begleitenden Umstände schließlich ans Licht kamen, geriet Großvater Waldemar so in Zorn, dass er Jana und mir mit der Aufkündigung des besagten Deals und seinem undankbaren Enkel Waldemar, wegen arglistiger Täuschung, mit dem testamentarischen Ausschluss von der Erbfolge drohte.

Schließlich erklärte er noch, er werde beim Bürgermeister von Bitterfeld eine Eingabe gegen die „Ische Schön“ einreichen. Wegen Vorteilsnahme im Amt und so weiter. Außerdem bekam sie bei ihm Hausverbot. Das war aber eher eine hilflose Geste, denn Ilona hatte ihn zuvor wissen lassen, dass sie keineswegs die Absicht habe, mit einem Typen von Großvater, der auf den „echt blöden“ Namen Waldemar hörte, Umgang zu pflegen.

Das alles löste bei uns eine kurzfristige mittelschwere Familienkrise aus. Die konnte ich aber entschärfen, indem ich meinem Vater versprach, den neuen Namen Henry seines Enkels künftig nur gemeinsam mit seinem Geburtsnamen zu benutzen. Daran hielt ich eisern fest. Wort ist schließlich Wort. Doch wirklich wichtig waren bald weder der Deal zwischen mir und meinem Vater noch die Namensänderungsaffäre, denn die noch zu schildernden weltpolitischen Ereignisse überlagerten alles andere. Der einzig Leidtragende des Namensspektakels blieb zuletzt ich, denn mein altehrwürdiger Name Heinrich wurde neben Heinz und Heini nun auch noch durch Henry verstümmelt. Doch richtig gelitten habe auch ich nicht darunter.

Inzwischen nahmen die Montagsdemos und die Versammlungen mit endlosen Diskussionen über die Missstände im Staat DDR im Allgemeinen und speziell denen in unserer Firma meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Es nützte aber nichts. Langsam aber stetig änderte sich die Stoßrichtung unserer Bewegung. Wir alle spürten das, doch fanden wir dagegen kein Mittel. Niemand hatte so etwas wie Richtungskompetenz. Von außen drängten halbseidene Elemente mit populistischen Parolen nach vorn und gaben schließlich die Richtung vor. Die übergroße Mehrheit der DDR-Bürger folgte ihnen willig. Damit entglitt uns die Entscheidung über unsere Zukunft. Von Treibenden wurden wir zu Getriebenen. Die Veränderungen im Land nahmen ein so rasantes Tempo auf, dass keine Zeit zum Denken blieb. Was war dagegen schon ein winziges Problem wie die Namensänderungsfrage unseres Sohnes?

Anfangs lief alles vorwärts. Wir wollten sie, die lange überfälligen Reformen. Die allgemeine kopflose Euphorie löste bei mir nur leise unterschwellige Ängste vor der Zukunft aus. Aber ich wusste natürlich auch, dass Menschen zwar Veränderungen herbeisehnen, zugleich aber immer Angst vor einer ungewissen Zukunft haben. Gesprochen habe ich darüber mit Kollegen nicht, denn allzu leicht konnte man bereits damals in Verdacht geraten, ein „Konterrevolutionär“ zu sein. Verzeihung, der Begriff war natürlich bereits veraltet. Jetzt hieß es „Ewig-Gestriger“. Gemeint war aber das Gleiche. Wir kannten ihn ja, den Begriff, den die jeweiligen Gutmenschen verwenden, um unerwünschte Mahner zum Schweigen zu bringen. Deshalb vor allem schien es zunächst so zu sein, dass ich der Einzige in unserer Firma war, den manchmal unterschwellige Ängste vor dem plötzlich erwachten Volkswillen überkamen. Jana lächelte nur sanft, wenn wir darüber sprachen. „Lass das Volk sich doch etwas von der Seele schreien. Die beruhigen sich wieder“, sagte sie, „oder hast du schon mal etwas von einer richtigen Revolution ohne Studenten gehört? Unsere jedenfalls sind ruhig und gehen nicht auf die Straße, sondern in die Disko.“

In der Tat, einige Studenten der Leipziger Universität, die damals noch den Namen Marx trug, beteiligten sich zwar an den Montagsdemos, aber wohl eher aus Neugier. Einige diskutierten auch untereinander in den Vorlesungspausen, doch am Studienablauf änderte sich nichts. Der akademische Nachwuchs, gewöhnlich das Hauptunruhepotential bei Revolutionen, spielte vor dem 9.

November 1989 in Leipzig nur eine beinahe passive Rolle. Der Forschungs- und Lehrkörper engagierte sich eigentlich überhaupt nicht. Vielleicht war es nur die Angst vor möglichen Folgen, vielleicht aber glaubte man auch nicht an den Sinn der Bewegung. Ich weiß, das darf man heute nicht mehr sagen, wie vieles andere auch nicht. Aber ich weiß es eben durch Jana, die dort arbeitete, als Slawistin. Es galt schon als mutig, wenn sich Studenten die Demonstration gelegentlich aus den Fenstern oder von der Plattform des „Uni-Riesen“ ansahen. Die stolze Universität stand in den aufkommenden Stürmen der Zeit wie ein Fels in der Brandung. Das beruhigte Jana zunächst, dann auch mich, meistens wenigstens. Wenn ohne Studenten keine richtige Revolution zustande kommt, sagte ich mir, dann wird das auch keine. Das ist auch besser so. Ein paar grundsätzliche Veränderungen im Staat herbeizurevoltieren, war ja notwendig und überfällig. Deshalb ging ich weiter zu den Versammlungen im Werk und fuhr mit zu den Montagsdemonstrationen nach Leipzig. Aber immer wieder pochte es warnend in meinem Hinterkopf und ich wusste nichts dagegen, als es mir selbst kleinzureden.

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