Читать книгу Im Malstrom - Jürgen Petry - Страница 7

Der Beginn

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Es war an einem Montag und wir fuhren nach Leipzig, um uns zum ersten Mal an einer Protestdemonstration zu beteiligen. Wir, das waren neun Kollegen aus unserem Wolfener Kombinat. Vier davon aus meiner Brigade „Stromschnelle“. Treffpunkt wäre die Nikolaikirche im Zentrum der Stadt, hatte man uns erzählt. Wir gingen dorthin. Die Kirche war etwa zur Hälfte gefüllt. Männer, meist jüngere, Frauen und Kinder in allen Altersstufen. Es war still. Der Pfarrer erhob sich und sprach ein kurzes Gebet. Wir saßen hinten. Trotzdem verstand ich jedes Wort. Wir waren noch erregt. Auf dem Weg zur Kirche waren wir an großen Gruppen Volkspolizei vorbei gekommen. Sie hielten sich in den Nebenstraßen auf. Zweimal hatten sie versucht, uns abzudrängen, aber recht lustlos. Dienst nach Vorschrift würde es heute heißen. Als wir ruhig aber fest auf unserer Absicht beharrten, durften wir passieren. Was wäre wenn …, dachte ich trotzdem! In der Kirche sah ich mich um. Ernst in den Gesichtern, Entschlossenheit auch. Ein Block junger Männer fiel mir auf. Man konnte erraten, welcher Passion sie angehörten, durch ihre unbehaglich wirkende Körpersprache. Dann marschierten wir los. Nicht alle folgten dem Zug. Demonstranten waren es etwa 500, vielleicht auch weniger. Einige mit Transparenten. „Keine Gewalt“ las ich auf mehreren. Unklar, ob das eine Mahnung zur Disziplin an die Demonstranten war oder ein Signal an die Gegenseite oder beides. Die Volkspolizisten bewegten sich langsam auf die Demonstranten zu, taten aber nichts. Doch sie waren präsent und deutlich in der Überzahl. Einige trugen Zivilkleidung. Schweigend setzte der Zug seinen Marsch fort. Ein paar verließen ihn, als sie das Polizeiaufgebot sahen. Die Mehrheit blieb. Am Hauptbahnhof wollte auch ich ausscheren. Ich zögerte aber und sah in die Gesichter meiner Kollegen. Plötzlich ein Lautsprecher: „Hier spricht die Deutsche Volkspolizei!“ Kurze Pause. Der Sprecher musste sich wohl erst konzentrieren. Doch bevor er mit seiner Ansage einsetzen konnte, schrie jemand: „Wir sind das Volk!“ Wieder eine kurze Pause. Überraschung! Dann griffen mehrere den Ruf auf: „Wir sind das Volk“, und dann plötzlich ein Ruf wie Donnerhall: „WIR SIND DAS VOLK.“ Mir laufen heute noch Schauer über den Rücken.

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