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Nach der Umgestaltung 1989/​90 gab es in unserem teuren Vaterland schnell richtige Gewinner und richtige Verlierer. Klar, das ist schließlich das Ziel einer jeden Revolution. Wollte man etwas anderes, müsste man ja nicht revolutionieren. Aber die unten wollen hoch, die oben müssen deshalb runter. Anders geht es nicht. Das ist das Ziel wohlgemerkt. Diesmal allerdings verlief alles entgegen den logischen Revolutionsspielregeln. Gewinner wurden die Unbeteiligten, Verlierer die, die die Revolution in Gang gesetzt hatten. Nein, ganz gegen die Regeln ist das auch nicht! Richtig! Nur, wir hatten es wieder einmal vergessen.

Ich gehöre, wie könnte es anders sein, zu den Verlierern. Nicht weil ich auf der falschen, sondern weil ich auf der richtigen Seite stand. Wie habe ich sie mit aller Kraft herbeigesehnt. Nein, nein, nicht diese „Friedliche Revolution“, die wir dann bekamen, sondern durchgreifende politische Veränderungen. Mehr nicht, weniger aber auch nicht. Eine Utopie, gewiss, deshalb bin ich über das, was kam, auch so traurig. Doch logisch war es schon, das, was kam. Jedes Kind ab der fünften Klasse in der DDR hätte es aufsagen können. Keine Theorie, keine Führung, kein Sieg! Punkt.

Wir sahen nur, dass es so, wie es war, nicht weitergehen konnte. Mehr nicht.

Und so gewinnt man keine Revolution, als Beteiligter nicht, auch keine friedliche. In der Revolutionstheorie Lenins soll das sogar so drinstehen, habe ich einmal gehört, falls ich mich recht erinnere. Weil es von dem war, musste es ja falsch sein, dachten wir damals. Gelernt haben wir es alle, geglaubt haben wir es nicht. Ihm nicht, dem schlauen kleinen Revolutionspraktiker, und unseren Lehrern auch nicht. Doch ab und zu beliebt es der Geschichte eben, sich im Kuriositätenkabinett zu bedienen. Wie haben wir über die These „von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ gestritten und auch gelacht. Nun wissen wir es, manchmal stimmt eben auch eine These über die gelacht wird.

Entschuldige bitte, mein alter Freund, dass ich dich mit Allgemeinplätzen langweile. Die muss ich aber ausgraben, vor allem um mich vor mir selbst zu rechtfertigen. Es muss doch Gründe dafür geben, dass ich, und nicht du, von einer Katastrophe in die nächste stolperte. Im Grunde meines Herzens habe ich dich ja manchmal um die Gunst des Schicksals, das man auch Glück nennt, beneidet. Dieses Glück hatte ich nie. Nur einmal, als ich Jana kennenlernte. Aber sonst? Du wurdest als Sonntagskind geboren, ich nicht! Und Sonntagskinder, davon bin ich überzeugt, sind von der Natur mit Genen ausgestattet, denen das Glück ein Leben lang die Treue hält. Zumindest wenn sie es nicht überstrapazieren. Alles, was du angefangen hast, gelang, was ich anpackte, ging schief. Aber klammert Glück allein schon die persönliche Verantwortung für einen selbst aus? Ich weiß es nicht!

Hinter dieser Feststellung verbirgt sich kein Neid, nicht einmal ein winziger Vorwurf. Chancen sind im Leben nie gleich verteilt. Bei uns waren nur die Startbedingungen in etwa gleich. Bei mir vielleicht sogar noch etwas besser. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten wollte, dass ich keine Chancen gehabt hätte nach dieser Umgestaltung. Davor unbenommen. Nur, mir fehlte einfach das Talent, mich mit dem Schicksal zu verbünden. Ja, vielleicht fehlten mir außerdem der Ehrgeiz und die Fähigkeiten, meine Chancen zu erkennen und zu nutzen. Schwamm darüber, denn jetzt ist es zum Lamentieren zu spät. Lass uns also, bevor ich zum Eigentlichen komme, noch einen Blick zurückwerfen auf die Ausgangssituation.

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