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Faszination des plebejischen Milieus

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Freilich übten solche quasi-verbotenen Orte auf manch einen doch eine bestimmte Faszination aus. Gerade in jungen Jahren fühlten sich auch Sprösslinge aus vornehmem Hause zu dieser Welt der Billig-Tavernen hingezogen. Sie hatte, wie wir noch sehen werden, durchaus Reize, auf die manch einer ansprach. Selbst Juvenal bringt dafür ein gewisses Verständnis auf: „Wir haben das in unserer Jugend doch auch gemacht“, legt er einem „Verteidiger der Schuld“ in den Mund – um freilich sofort darauf hinzuweisen, dass es mit solchen Ausflügen in die plebejische Halbwelt ein Ende haben müsse, sobald man erwachsen geworden sei: breve sit, quod turpiter audes! „Auf kurze Zeit sei beschränkt, was du schimpflich wagst!“8

Nicht alle folgten dem Ruf des Moralisten – unter ihnen sogar Kaiser wie Nero, Verus, Commodus, Elagabal und Gallienus, die sich meist im Schutze der Nacht und inkognito in den Vergnügungslokalen der Arbeiter, Handwerker und Kleinhändler tummelten und bei ihren Kneipentouren für manchen Krawall sorgten.9 Eine besonders perfide Begründung für seine Ausflüge ins Nachtleben der syrischen Metropole Antiochia ließ sich der Mitkaiser („Caesar“) Gallus (351–354) einfallen: Er zog inkognito durch die Kneipen und Straßen und erkundigte sich bei Passanten, was sie vom Caesar hielten.10

Ob all die genannten Kaiser wirklich zum Kreis der Kneipenbesucher im plebejischen Milieu gehört haben, lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen. Es ist auffällig, wie sich diese Fama ausgerechnet mit den von der historischen Tradition als ‚böse‘ gezeichneten Despoten auf dem römischen Kaiserthron verbindet. Ihnen traute man alles zu, und das Detail von unschicklichen Wirtshausbesuchen rundete das bewusst undifferenziert gemalte Bild vom Tyrannen in der gewünschten Einseitigkeit ab.

Schon in der Republik gehörte der Vorwurf ‚Kneipengänger‘ zum Arsenal der Verunglimpfung politischer Gegner. luxuria popinalis – „der Luxus, sich in Spelunken herumzutreiben“11 – war eine scharfe rhetorische Waffe, um Konkurrenten und Feinde auf der politischen Bühne moralisch zu desavouieren und sie als für die Gemeinschaft gefährliche Hazardeure abzustempeln. Cicero verstand sich bestens darauf. Zwei der führenden Catilinarier hätten zu der Verschwörung Zuflucht genommen, weil ihnen ihre Kneipenschulden (aes alienum contractum in popina) über den Kopf gewachsen seien, weiß er dem römischen Volk zu berichten.12 Seinem ‚Lieblingsgegner‘ Marc Anton schleudert er in der 13. Philippica entgegen, er habe „sein ganzes Leben in Kneipen und Bordellen, bei Wein und Würfelspiel verplempert“.13 Über Lucius Piso schließlich schüttet er einen wahren Kübel von Beschimpfungsdreck aus, zu dem auch das genüsslich gezeichnete Bild vom verkaterten Säufer gehört, der noch am hellen Vormittag nach seinen nächtlichen Kaschemmenbesuchen stinkt.

Auch die literarische Invektive griff gern zur Verunglimpfungswaffe ‚Wirtshausbesuch‘. In einer bitterbösen Satire stempelte der Grammatiker Lenaeus den Historiker Sallust zum popino, „Kneipengänger“, ab. Wie wenig harmlos das gemeint war, lässt die von Lenaeus konstruierte ‚Tateinheit‘ mit lastaurus, lurco und nebulo erkennen: „Wüstling, Schlemmer, Nichtsnutz“.14 Manches deutet freilich darauf hin, dass sich der erst später zum moralisierenden Chronisten des römischen Sittenverfalls gereifte Sallust diese wenig schmeichelhaften Charakteristiken durch einen nicht besonders standesgemäßen Lebenswandel redlich verdient hatte.

Opfer der Kneipe oder der Rhetorik?

Weißt du noch, du Schmutzfink, wie du mich empfangen hast, als ich mit Gaius Piso etwa um die fünfte Stunde zu dir kam? Wie du aus irgendeinem Kabuff tratest, einen Wickel um den Kopf, in Pantoffeln, uns aus stinkendem Munde mit ekelhaftem Kneipendunst anhauchtest, um dich dann mit deinem Gesundheitszustand zu entschuldigen, indem du erklärtest, du pflegtest gewisse mit Wein versetzte Heilmittel zu nehmen? Wir ließen das gelten – was blieb uns auch anderes übrig? – und standen dann eine Weile in deinem Kaschemmenduft und -dunst, aus dem du uns schließlich durch unverschämte Antworten und ungeniertes Rülpsen vertriebst.

Cicero, in Pisonem 13 (Ü: H. Kasten)

Erheblich kultivierter ging es in dem mit spitzer Feder ausgetragenen Streit zwischen Kaiser Hadrian und dem Dichter Florus zu. Florus war offenbar ein Bonvivant, der ein ruhiges Leben in Muße und Genuss dem ruhelosen Lebensstil des Reisekaisers Hadrian vorzog. Er brachte das in einem Vierzeiler zum Ausdruck, den er an Hadrian schickte (der dritte Vers ist verloren):

„Möcht’ durchaus nicht Caesar heißen,

nicht Britannien durchwandern …

Skythenwinter nicht erdulden.“

Der Kaiser revanchierte sich postwendend, indem er das ‚Lotterleben‘ des Dichters aufs Korn nahm:

„Wollte nicht der Florus heißen,

wandeln durch die Kutscherkneipen,

hocken in den Winkelküchen,

leiden von den runden Mücken.“15

latitare per popinas – „sich im Dunkel der Kneipen aufhalten“ – das war als Kritik deutlich genug, auch wenn es durch den Hinweis auf das in solchen Etablissements anzutreffende Ungeziefer humorvoll abgemildert war. Goethe hat sich übrigens anderthalb Jahrtausende später mutig auf die Seite seines Dichterkollegen geschlagen:

„Cäsarn wär’ ich wohl nie zu fernen Britannern gefolget,

Florus hätte mich leicht in die Popine geschleppt!

Denn mir bleiben weit mehr die Nebel des traurigen Nordens

als ein geschäftiges Volk südlicher Flöhe verhasst.“16

In den Augen der römischen Oberschicht war die gesamte Gastronomie-‚Szene‘ als zivilisatorischer Sub-Standard suspekt. Möglicherweise erklären sich daraus die begrifflichen Unschärfen bei der Bezeichnung der verschiedenen Ess- und Trinklokale – in diesem Proletarier-Umfeld schien es auf sprachliche Differenzierung nicht so sehr anzukommen. Die Übersetzer tragen das Ihre zu der terminologischen Verwirrung bei: Die tabernae in Hadrians Spottepigramm auf Florus interpretiert der Übersetzer Wilhelm Weber als „Kutscherkneipen“, die popinae als „Winkelküchen“. Das sind Begriffe, die sich vom Kontext rechtfertigen lassen, zwingend sind sie freilich nicht.

Nachtleben im alten Rom

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