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Wo selbst des Gesetzgebers langer Arm zu kurz ist

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Andererseits entging das „aufreizende Wirtshaus“ auch nicht der Aufmerksamkeit eines römischen Gesetzgebers, der sich von dieser übel beleumundeten ‚Szene‘ in seinem moralischen Impetus gefordert sah. Den Kneipen-‚Sumpf‘ gänzlich trocken zu legen – das erschien unrealistisch, zumal viele Menschen auf die Angebote der Garküchen angewiesen waren, wenn sie eine warme Mahlzeit zu sich neh men wollten. Daher setzten die Restriktionen anderswo an: bei einer gesetzlich verordneten Verknappung und Reduktion der Imbiss-Palette.

Kaiser Tiberius verbot den Verkauf von Brot und Gebäck64, Claudius ging noch radikaler ans Werk. „Er ließ die Schankwirtschaften schließen“, berichtet ein Chronist, „wo die Leute zusammenzukommen und zu trinken pflegten, und befahl außerdem, dass weder gekochtes Fleisch noch heißes Wasser verkauft werden dürfe.“65 Auch wenn er einige Leute, die sich nicht daran hielten, bestrafen ließ, hatte die rigide Maßnahme keinen Bestand. Schon sein Nachfolger Nero sah sich genötigt, erneut legislativ einzugreifen und den Verkauf aller gekochten Speisen außer Hülsenfrüchten und Gemüse „in jenen popinae zu verbieten, wo man vorher jede Mahlzeit hatte erhalten können“.66 Mit anderen Worten: Das Totalverbot des Claudius war ein kompletter Fehlschlag gewesen. Aber auch Neros Initiative scheiterte offensichtlich. Schon wenige Jahre später wärmte Vespasian Neros Verbot wieder auf, indem er alles Gekochte außer Erbsensuppe und Gemüse aus den Gasthäusern verbannte – und das, „obwohl er sein Leben lang selbst ein Kneipendasein führte“.67

Mit Vespasian endet die Geschichte einer restriktiven Gaststättengesetzgebung. Sie war, wie die zahlreichen legislatorischen Neuauflagen zeigen, eine Geschichte des Scheiterns – ähnlich wie die der Anti-Luxusgesetzgebung, die ebenso vergeblich eine Kostendämpfung im Hochpreis-Segment der Ernährung erreichen wollte. Ob freilich beiden Kampagnen vergleichbare moralische Intentionen zugrunde lagen, wie manche Historiker andeuten68, ist zweifelhaft.

Wenn ausgerechnet die ersten römischen Kaiser den Speiselokalund Garküchen-Inhabern und ihren Kunden das Leben so schwer machen wollten, dann darf man dahinter auch politische Gründe vermuten. Galten Kneipen als Orte, an denen sich Widerstand gegen das Kaisertum formieren, Unzufriedene sich ‚zusammenrotten‘ konnten? Von dem, was wir sonst über oppositionelle Strömungen wissen, spricht wenig dafür. Die alte senatorische Führungsschicht, die durch die neue Staatsform entmachtet worden war, pflegte ja bekanntlich in den „verräucherten, miefigen Kneipen“69 der Plebejer nicht zu verkehren – jedenfalls nicht offiziell oder in größeren Gruppen. Hinterund Beweggründe der kaiserlichen ‚Kneipenverordnungen‘ bleiben damit im Dunkeln.

Nicht so dagegen die Motive, aus denen die christlichen Kirchenväter vor den Gefahren des Wirtshauses warnten: „Weiche dem ganzen Elend des Wirtshauses aus!“, mahnt Kyrillos, Erzbischof von Jerusalem, seine Gemeinde.70 Und die Synoden des 4. Jahrhunderts wussten sehr wohl, warum sie Klerikern den Besuch von Lokalen aller Art untersagten – es sei denn im Notfall auf Reisen und nach Rücksprache mit dem örtlichen Pfarrer.71 In diesem unmoralischen Milieu hätten Christen nichts zu suchen, meinten sie – und übersahen geflissentlich die Tatsache, dass die heilige Helena, die Mutter Konstantins des Großen, in eben diesem Milieu als Gastwirtin gearbeitet hatte, bevor der Vater des großen Christen-Förderers sie zu seiner Konkubine gemacht hatte.72

Ob bürgerliche, kaiserliche oder christliche ‚Milieu-Kritik‘ – den harten Kern der Kneipenbesucher ließ sie unbeeindruckt. Zu diesem harten Kern gehörte in Pompeji ein ‚Club‘, der auf den schönen Namen seribibi hörte, „Spättrinker“, „Nachtschwärmer“. Wir kennen ihn nur aus einem Wahlaufruf. In groß gemalten Lettern wird auf einer Hauswand dazu aufgerufen, einen gewissen Marcus Cerrinius zum Aedilen zu wählen. Darum „bitten jedenfalls alle Spättrinker“.73

Ob das die Wahlchancen des Kandidaten verbessert hat?74

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