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Wie garstig ist der Graben?

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Wir dankten Luca für sein großartiges Quizspiel. Toll, was er sich da ausgedacht hatte und wie er das gemacht hat, auch wenn er ziemlich streng war – zu mir. Das Spiel hatte uns angeregt. Wir kamen ins Nachdenken und ins Reden.

Was uns die Wissenschaft lehrt, ist derart gewaltig groß, dass es unsere Vorstellungskraft völlig überfordert. Auch die der Fachleute, denn die rechnen in ihrem praktischen Leben auch nur mit den gleichen irdischen Größenverhältnissen wie wir. Wenn die Sonne von uns acht Lichtminuten entfernt ist, und das sind immerhin etwa 150 Millionen Kilometer, wie viel Kilometer sind dann die 100.000 Lichtjahre von einem Ende der Galaxie zum anderen? Oder gar 13,4 Millionen Lichtjahre bis zur entferntesten Sonne? Diese Zahlen kann man errechnen, aber was besagen sie für uns Erdlinge?

Von all dem hatten die Menschen vor uns noch nichts gewusst. Unser Weltbild zeigt ein Universum, das nicht bloß erheblich größer ist als das früherer Zeiten. Es ist ein von A bis Z total anderes Weltbild.

Was macht dieses Wissen mit uns? Wenn wir Menschen von heute die Sonne sehen – sehen wir sie anders, als die Menschen der Vorzeit sie sahen? Was damals ein großes Problem war, wenn die Sonne zu wenig oder zu viel schien, ist für uns nur ein Ärgernis. Die Menschen früher hatten ganz andere existenzielle Ängste und Hoffnungen, wenn sie an die Sonne dachten, als wir heute, denke ich mir. Aber heißt das schon, dass es keine Brücke gibt zwischen dem Heute und dem Damals?

Wie ist es denn mit uns? Bestimmen uns in unsrem praktischen Leben tatsächlich die wissenschaftlichen Daten, die wir von der Sonne kennen, allein? Da ist doch immer noch genug Raum für anderes, wenn wir die Sonne erfahren, für Empfindungen, Dank, Erinnerungen … Der Blick von außen, gerade auch der nüchterne, kritische, um Objektivität bemühte Blick aus der wissenschaftlichen Perspektive, lässt uns eine Seite eines Phänomens erkennen. Aber er ersetzt doch nicht die persönliche, emotionale, seelische Begegnung mit ihm. Aus der Perspektive der persönlichen Betroffenheit sehe ich die Sonne anders, als der Astronom sie sieht, wenn er sie in seinem Forschungszentrum beobachte, und ich darf nicht sagen, dass ich sie falsch sehe! Er aber auch nicht.

Ja, da ist ein Graben zwischen uns Menschen der Neuzeit und den Menschen vor uns. Sie haben mit religiöser Ehrfurcht in ihren Mythen von der Sonne erzählt und sich mit ihnen dieses oder jenes, was es mit der Sonne auf sich hat, zu erklären versucht – aber ist dieser Graben so garstig, dass er nicht überbrückt werden kann? So fremd sind mir die Worte des Großen Sonnenhymnus des Pharaos Echnaton doch gar nicht, der die Sonnenscheibe am Himmel, Aton, für den alleinigen Ursprung und Garanten des Lebens hielt: „Schön erscheinst du im Horizont des Himmels, du lebendige Sonne, die das Leben bestimmt! …“ Nicht auf der Ebene des Erkennens, wohl aber auf der des lebendigen Lebens, das erlebt wird im Staunen und Sichängstigen, im Hoffen und Jubeln, im Bangen darum, dass man das eigene Leben verlieren kann und im Danken dafür, wenn man es gewinnt, … im existenziellen Erleben sind wir verbunden mit den Menschen, die vor uns waren.

Aber nicht so sehr, dass wir wie sie die Sonne zum Objekt eines neuen Sonnenkultes machen könnten. Die Sonne löst bei uns längst nicht mehr so viele Ängste und Hoffnungen von solch existenzieller Wucht aus, wie ich mir das bei unsren Vorfahren vorstelle.Wie fragen höchstens, wie es in einem Schlager mal hieß:

„Wann wird's mal wieder richtig Sommer,

mit Sonnenschein von Juni bis September,

und nicht so nass und so sibirisch wie im letzten Jahr?“

Ein verregneter Sommer ist doch aber nicht zu vergleichen mit dem Kampf ums Überleben in der Vorzeit.

Wir wissen durch die Naturwissenschaften so viel über die Sonne, dass wir unsre religiöse Naivität ihr gegenüber längst verloren haben. Luca hat uns das mit seinem Quiz sehr deutlich gemacht. Da können wir nicht so tun, als seien wir noch Menschen vor diesem Wissen.

Wir sind heute auch viel zu weit weg von dem natürlichen Ablauf des Jahres, das ja durch die Sonne bestimmt ist. Urlaub, Ferien, Schul- und Arbeitszeit sind uns näher als die Jahreszeiten. Das Weihnachtsfest als Wintersonnenwendfest ist perdu. Seine Wiederbelebung ist unmöglich, auch wenn einige esoterisch orientierte Menschen es probieren.

Mit dem Abstand zwischen uns Heutigen und den Menschen damals meine ich aber nicht, dass sie uns in jeder Hinsicht fremd sind.

Ich denke nämlich, dass die Leute in Newgrange nicht nur ihr Überleben gefeiert haben, sondern auch ihr Leben. Wenn es ihnen darum ging, durchzukommen durch eine lebensbedrohliche Zeit, dann hatten sie, glaube ich, dabei auch immer im Blick, dass sie ihr Leben als wertvoll, als dankenswert erfahren wollen. Ich will doch auch nicht bloß so vorhanden sein. Ich will leben, will spüren, dass ich lebendig bin.

Das verbindet mich mit meinen Vorfahren mehr als mit manchem meiner Zeitgenossen heute, wenn diese mehr daran interessiert sind, wo es die neuesten Sonderangebote gibt, als daran, ob man seinen Feinden verzeihen sollte oder ob man Vertrauen wagen darf. Ich habe großen Respekt vor denen, die Newgrange gebaut haben, vor dem, was sie zu dieser enormen Kraftanstrengung antrieb und wie sie das bewältigt haben.

Ich fühle mich ihnen durchaus nahe, ohne ihr Fest zu feiern. Newgrange imponiert mir unvergleichlich mehr als jedes supermoderne Einkaufszentrum heute.

Ich habe dazu ein paar Verse gemacht.

Wir heute haben´s ziemlich hell.

Die Nacht, die stört uns nicht.

Dass sich die Sonne wendet, fällt

für uns nicht ins Gewicht.

So gibt uns nun der längste Tag

kein´ Grund zum Feiern an.

Drum feiern wir das Kassenklingeln

samt dem Weihnachtsmann.

Die Sonnenwende ist passé.

Sie war einst nicht zu toppen

bei unsren Ahnen, den Germanen.

Wir gehen da lieber shoppen.

Es war ein wunderbares Timing. Ich hatte mich in einen stillen Raum zurückgezogen, um meine Verse zu schmieden, und war gerade damit fertig geworden, als unsere jüngsten Enkelkinder, die beiden sechsjährigen Zwillingsschwestern, aufgekratzt laut singend durchs Haus zogen. Sie hatten sich jeder aus gelbem Bastelpapier eine Sonne ausgeschnitten, natürlich mit einem Smily-Gesicht, die sie sich vor ihren Kopf hielten. Ihr Gesang war eine herrliche, alberne Mischung zwischen Singen und Kreischen.

Die Sonne fängt frühmorgens an,

dann zieht sie weiter ihre Bahn.

Spät abends legt sie sich zur Ruh.

und nachts macht sie die Augen zu.

Da war das bunte, verrückte, überbordende, lebendige Leben durch zwei aufgekratzte Schwestern in meine Gedankenwelt hineingeplatzt und hat mich daran erinnert, dass das Leben vor allem, zuerst und zuletzt, gelebt werden will und soll und, wenn wir nicht schon völlig verkopft sind, auch gelebt werden kann.

Es war ohnehin Zeit, die beiden zu Bett zu bringen. Sie wünschten sich, dass Oma und Opa ihnen ein Gutenachtlied vorsingen sollten.

Wer hat die schönsten Schäfchen?

Die hat der goldne Mond ….

Das Lied entfaltete seine Schlaf fördernde Macht nur sehr zögerlich. Aber nach einer Schlafgeschichte, die meine Frau und ich aus dem Lied heraus gesponnen hatten und nochmaligem Singen waren sie so weit, sich von dem Tag zu verabschieden, der noch so wunderbar lang für sie war, und sich der Ruhe der Nacht hinzugeben, geborgen in ihrem Bett und in der Liebe, die sie erfuhren.

Weihnachten? Um Gottes Willen!

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