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So schnell wirst du mich nicht los, sagt der Weihnachtsmann

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Über Weihnachtsmänner, die eine Balkonbrüstung erklimmen oder an einer Regenrinne hochklettern, muss ich schmunzeln. Mit dieser Fantasiefigur kann man so manches Unterhaltsame und Wohltuende vermitteln. Aber Weihnachtsmänner, die Angst verbreiten, die moralisierend daherkommen oder die mich zum Kaufen überreden wollen, finde ich furchtbar. Ich übersehe den Kitsch nicht, der gerade zu Weihnachten mit Händen zu greifen ist. Aber ich gebe auch gerne zu: Mancher Kitsch ist schon wieder so herrlich kitschig, dass es richtig schön ist.

Und da ist noch etwas, was mir am Weihnachtsfest gefällt. Ich singe gern die alten christlichen Weihnachtslieder, ebenso aber auch die der weihnachtlichen Folklore.

„Ich steh an deiner Krippen hier o Jesu, du mein Leben …“

Was für ein Lied! Da ist einer überwältigt davon, dass es in dieser Welt mit ihren Unzulänglichkeiten und auch Gemeinheiten Liebe gibt, dass ein Mensch mit seinen engen Grenzen weit und offen werden kann und sich zugleich geborgen und glücklich fühlt. Ein Geschenk des Lebens, ein Wunder. Und gleich daneben der Kitsch. „Susanni susanni susanni“ und „Eia wärn wir da.“

Noch mehr ist das bei den Liedern der weihnachtlichen Folklore der Fall. „Der blonde Knabe im lockigen Haar …“ Albern!

Und trotzdem hat dieses Lied „Stille Nacht“ die große emotionale Kraft, Menschen anzurühren, ihre Verhärtungen aufzubrechen und sie wieder ihr Herz spüren zu lassen.

Ja, Lieder sind mehr als ihre Texte. Und Texte sind mehr als ihre Wörter. Deshalb kann ich sie singen und zugleich doch meine kritische Distanz bewahren. Auf ihre christliche Ideologie will ich nicht hereinfallen, auch nicht auf ihre Betulichkeit, ebenso wenig wie auf ihre Sentimentalität. Im Übrigen: Was im Leben kann ich denn schon ohne innere Distanz tun? Was gibt es denn, bei dem ich kein Aber verspüre?

Der Musiker und Schauspieler Christian Steyer mit seinem Jazzchor fällt mir ein. Wie der mich hineinnimmt in die lebensbejahende Energie, die von seinen Konzerten ausgeht. „Alte Weihnachtslieder neu interpretiert.“ Das gelingt ihm, ohne sie auch nur im Geringsten modisch zu verpacken. Ihr guter alter Sinn, bewahrt in ihren gealterten Worten und Bildern, sprechen unmittelbar zu mir; und ich lebe doch heute in einer sehr anderen Welt. Wenn Christian Steyers Solistenchor singt: „Fürchte dich nicht!“, dann verliere ich meine Angst.

Mir ist das ganz klar: In dem alten Fest Weihnachten steckt eine Sehnsucht nach Leben; mehr noch als bloß die Sehnsucht, auch schon die Erfahrung, dass gelebt werden darf und kann. Und die ergreift und erfüllt mich. Ich werde dankbar und muss jubeln. Ja, Weihnachten ist schön, weil es gut tut. Nicht zufällig wird es gefeiert in den kurzen, dunklen Tagen des Winters, an denen die Sonne zeigt, dass sie sich nicht unterkriegen lässt.

Und es sind nicht nur die Lieder, es ist die Musik überhaupt, die mich für den Inhalt des Festes öffnet. Weihnachten ohne Corellis Weihnachtskonzert oder Bachs Weihnachtsoratorium, geht das für mich? Und ein bisschen gehört Johnny Cashs sentimentales „Silent night“ auch noch dazu.

Und noch etwas gefällt mir an Weihnachten: Ich esse gern, und zu Weihnachten besonders gern, Gänsebraten. Der Popmusiker Frank Zander fällt mir ein, der Jahr für Jahr für obdachlose und bedürftige Menschen ein Weihnachtsessen organisiert. Und das nun schon seit über zwanzig Jahren. Mehr als dreitausend Menschen waren es beim letzten Mal. Weihnachten ist ein Fest der Gelegenheiten, sich und anderen das Leben schön zu machen.

Auf den Punkt gebracht: Ich finde Weihnachten schön mitsamt dem geschmückten Baum im Zimmer. So weit wie der norddeutsche Dichter und Schriftsteller Theodor Storm, der durchaus kein Freund der Religion war, erst recht nicht der christlichen, will ich nicht gehen. „Weihnachten – es war immer mein schönstes Fest“, hat er gesagt. Nein, aber schön ist es schon.

Ich denke an meinen Freund. Der hält Weihnachten nicht aus. Ich habe ihm einmal ein paar Verse geschmiedet.

Das Weihnachtsfest – was soll ich sagen?

Ich kenne ein´n, der stellt sich immer tot.

Er leidet an den süßen Tagen.

Sieht er ´nen Weihnachtsmann, dann sieht er rot.

Der ganze Rummel, das Getue!

Die Stille Nacht ist nur sentimental.

Es gibt sie nicht, die Himmelsruhe.

Ihr seid doch alle krank, verdammt noch mal!

„Der strafende und belohnende Weihnachtsmann ist doch furchtbar und der mit der Colaflasche in der Hand auch. Erst recht der, der mich ständig zwingen will, zu kaufenkaufenkaufen.“

Ich habe die Worte meines Freundes noch im Ohr.

Es sind auch meine Worte. Was da abläuft, macht auch mir schlechte Laune. Der Geschenkezwang, das ganze weihnachtliche Kaufgehabe, das schon längst auf Touren läuft, bevor die Adventszeit begonnen hat. Die Einforderung von Familienharmonie: Heiligabend sitzt man zusammen mit Eltern und Schwiegereltern bei sich zu Hause, am ersten Feiertag mit den Eltern in ihrer Wohnung und am zweiten dann mit den Schwiegereltern in deren Wohnung. Und zu alledem, was mir das Fest verleidet, kommt noch die unaufhörliche Berieselung mit weichgespülter Weihnachtsmusik.

Mein Freund ist Theologe wie ich auch.

„Was die Kirche da macht, zu Weihnachten – wie will sie das verantworten?“ Er war empört. „Sie fördert die völlige Leere dieses Festes. Dabei beansprucht sie doch, einen wichtigen Inhalt zu haben, wegen dessen es sich lohnen würde, Weihnachten zu feiern.“

Mein Freund hat keine Hoffnung mehr, dass sich das ändern wird. „Solange noch Menschen kommen, tut man alles, sie zu halten. Wenn sie nur kommen und sogar mitmachen – das ist doch das Wichtigste für die Kirche. Wichtiger als die Frage, was die Wahrheit von Weihnachten ist oder sein könnte, vielleicht sogar sein sollte.“

Was habe ich entgegenzusetzen? Es stimmt ja, was er sagt. „Da haben wir mit Kindern ein Krippenspiel eingeübt, dessen Geschichte für die Erwachsenen längst unglaubwürdig geworden ist. Wovon handelt es? Vom Jesuskind im Stall, von Engeln und Hirten und den Heiligen drei Königen.“

„Na ja, für Kinder und Familien …“, hatte ich eingewendet.

„Du verstehst mich falsch, wenn du denkst, dass ich etwas gegen Krippenspiele habe“, hatte er widersprochen. „Doch wir müssen fragen, was für welche? Was vermitteln sie denn? Haben Kinder kein Recht auf Wahrhaftigkeit?“

Doch, natürlich, denke ich.

Und was mein Freund zu den Gottesdiensten gesagt hatte, hatte auch nicht ermutigend geklungen. Dabei ist er ein milder Mensch. Die prophetische große Geste liegt ihm völlig fern.

„In den Gottesdiensten“, so behauptete er, „werde an ein paar abgegriffenen großen Begriffen wie Frieden, Gnade, Menschwerdung … versucht, die alte Geschichte gegenwärtig zu machen. Sicherlich ehrlich gemeint. Aber wie soll das gelingen? Hier bei uns, wo doch bei so vielen das Wort Gott längst zu einem Fremdwort geworden ist? Und das sind mehr Menschen als die, die sich dezidiert als Atheisten bezeichnen.“

Das ist ja auch mein Eindruck: Weihnachten ist für die Kirche gar kein Fest mehr, das der Welt gilt, sondern nur noch den religiös Interessierten. Dabei behauptet die Kirche genau das Gegenteil.

„Weihnachten ist ein Symbol“, sagte er. „Und dieses christliche Symbol ist gestorben. Man kann es nicht mehr auferwecken. Es ist verbraucht, vernutzt, tot.“

„Ich habe da noch meine Hoffnung“, habe ich dagegengehalten. „Die Kirche müsste nur ein kritischeres Problembewusstsein haben.“

„Mache dir nichts vor, Klaus. Weihnachten ist uns abhandengekommen.“

„Oder du ihm?“

„Ja“, sagt er nach einer Pause, „oder ich ihm. Aber da ist kein Verlustschmerz.“

Wir schwiegen und fühlten uns trotz der Differenz unsrer Empfindungen ganz miteinander verbunden.

„Und das mit der Wintersonnenwende ist doch auch kein Grund mehr, Weihnachten zu feiern“, hatte er noch einmal das Wort ergriffen. „Dieses Ereignis der Natur war einmal von eminenter Bedeutung. Aber heute?“

Wieder musste ich ihm Recht geben. Ich kann auch nicht sehen, dass in unsrer lichtüberfluteten Zeit, in der die Nacht zum Tage gemacht wird und man vor lauter Lichtverschmutzung keine Sterne mehr sehen kann, die Sonnenwende eine entscheidende Rolle spielt. Unsere Entfernung von der Natur ist heute so weit gediehen, dass der jährliche Lauf der Sonne und damit der Wechsel der Jahreszeiten unser Leben weniger bestimmt als der Wechsel von Arbeit und Urlaub.

Was ist uns noch dieses Fest in diesen Dezembertagen wert?

Ich spüre den Druck dieser Frage und leide daran, dass die Mehrheit meiner Zeitgenossen sich diese Frage gar nicht stellt.

Vielleicht tun es am ehesten noch diejenigen, die versuchen, sich wegzuducken, diesen Tagen zu entkommen, irgendwohin. Da fährt einer los. Von den Malediven verspricht er sich Sonne, Wärme, Strand, Palmen, Erholung und vor allem Vergessen. Im Foyer seines Hotels begrüßt ihn ein Weihnachtsmann mit einem Weihnachtsengel an seiner Seite, der ihm eine Spekulatiusschachtel als Geschenk überreicht. „Merry Christmas“ sagen beide und ziehen ihn für ein Erinnerungsfoto zum Weihnachtsbaum, der neben dem Tresen steht.

Auf den Punkt gebracht: Weihnachten ist ein Gräuel.

Weihnachten? Um Gottes Willen!

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