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Eine Reise in die Vergangenheit

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Opa, pass auf!“, rief mein hinter mir gehender Enkelsohn Luca.

„Was ist?“, fragte ich im Weitergehen, während ich mich nach ihm umdrehte. Da stieß mein Kopf auch schon gegen einen leicht in den Gang ragenden Felsen.

Der Führer unsrer kleinen Gruppe fragte mich, ob alles in Ordnung sei. „Mind your head“, ermahnte er uns noch einmal. Bloß auf den Kopf achthaben!

Langsam, leicht gebückt, gingen wir hintereinander den etwa zwanzig Meter langen Gang weiter, der ins Innere des gewaltigen Hügelgrabes führte, der einen Durchmesser von mindestens 75 Metern aufwies, wie ich in einem Flyer gelesen hatte. Der Gang wurde an den Seiten und oben von unbehauenen Felssteinen gebildet. Mein Eindruck war, dass er leicht aufwärts führte.

An seinem Ende öffnete er sich zu drei Kammern, je eine links und rechts und eine vorn als Abschluss. Unwillkürlich musste ich an ein dreiblättriges Kleeblatt mit einem langen Stiel denken. In Irland unvermeidlich. In der Mitte türmte sich ein konisch zulaufender etwa fünf Meter hoher Innenhohlraum auf.

Mir kam eine zweite Assoziation. Wie in einer Kathedrale mit Längsschiff, Querschiff, Apsis und Vierung, dachte ich. Dabei ist Newgrange 3000 Jahre älter als das Christentum, älter als die berühmtere Steinzeitkultstätte Stonehenge, älter sogar als die Pyramiden.

Meine Assoziation begegnete mir nicht einmal eine Minute später wieder, aber nun als kulturgeschichtliche Behauptung des Führers. Die christliche Kirchenbauform sei nicht vom Kreuz Christi herzuleiten, sondern von dieser Ganggrabanlage hier in Irland.

Ich habe das schon öfter erlebt, dass die Hüter großer Kulturgüter dazu neigen, ihre Schätze zum Maßstab für alles und jedes zu machen. Er erklärte auch die rechte Kammer zu einer Art Taufkapelle, weil sie eine wunderschön geschliffene Steinschale aufwies. Sie muss im Innern hergestellt worden sein, da sie gar nicht durch den Gang gepasst hätte. Ob es sich nicht auch um eine Opferschale handeln könnte, gab eine Frau zu bedenken. Der Führer räumte ein, dass das keiner genau wissen könne.

„Vielleicht haben die da auch Menschen geopfert, Opa. Kann doch sein oder?“ Im Moment interessierte sich mein Enkel sehr für vergangene Völker. Ägypter, Römer, Kelten, Germanen, die Wikinger, die Slawen. Gestern erst hatte er mir ein Buch über die Mayas gezeigt. Verständlich, dass er so fragt.

„Luca, das halte ich für sehr unwahrscheinlich“, antwortete ich ehrlicherweise.

In der anderen Kammer befand sich ein großer Stein. Ich dachte an einen Altar. Die obere Fläche wies eine Mulde auf, die Vorderseite wunderschöne Gravuren. Die habe ich auch schon auf anderen Steinen und Steinplatten gesehen. Besonders der große drei Meter lange Stein am Eingang des Ganges mit seinen Spiral- und Kreislinien fand meine ganze Bewunderung.

„Guck mal, Opa, das sind immer drei.“ Mein Enkelsohn versuchte, eine der verschlungenen Linien in der Luft nachzuzeichnen. Es gelang ihm nicht.

„Vielleicht haben die damals an Geburt, Leben und Tod gedacht“, gab ich zu bedenken. „Das ergibt doch drei.“

„Oder … oder … an Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft.“ Luca war stolz, dass ihm das eingefallen war. Jetzt war kein Halten mehr. „Oder … oder … Vater, Mutter, Kind, oder Körper, Seele und Geist oder …“

„Okay, Luca. Toll, was dir einfällt. Aber lass es gut sein“, bat ich.

„Ob das eine Schrift ist?“ Die Linien faszinierten ihn.

„Nach bloßen Verzierungen, die einfach nur schön sein wollen und nichts mehr, sieht mir das nicht aus. Aber was?“ Ich wusste es nicht.

Da ging plötzlich das spärliche Licht aus, das in der Anlage angebracht war. Es war stockfinster. Instinktiv griff der Zwölfjährige nach meiner Hand. Der Führer bat uns, aufmerksam auf das zu achten, was jetzt gleich geschehen werde.

Und das muss ich zugeben: Was jetzt erfolgte – ich lernte in der steinzeitlichen Anlage von Newgrange zu staunen, gründlich und ergriffen zu staunen. Ich bekam einen Eindruck von dem, was hier am 21. Dezember beim Aufgang der Wintersonne passiert, in jedem Jahr, etwa fünfzehn Minuten lang.

Ein Lichtstrahl fiel von Außen in den Gang und endete auf dem Boden, vielleicht einen Meter vor der steinernen Schlusswand. Was man für uns nur simulierte, war damals echt.

Der Guide erzählte uns, dass Professor Michael O´Kelly der erste Mensch der Neuzeit war, der hier dieses Naturschauspiel der aufgehenden Sonne am Morgen nach dem längsten Tag des Jahres erlebte. Der Professor hat hier in der stockdunklen Kammer gesessen, erklärte er uns, als am 21. Dezember 1967 um 09.58 Uhr britischer Sommerzeit ein erster Sonnenstrahl durch die Öffnung, die sich oberhalb des Eingangs befindet, in den Gang eindrang. Jetzt war mir klar, dass der Gang leicht nach oben führen musste, wenn das Licht auf den Boden treffen soll.

Der Lichtstrahl sei nach Schilderung des Professors immer größer geworden, erzählte uns der Guide. Dadurch habe das Grabinnere einen geradezu dramatischen Eindruck bekommen, weil die reflektierenden Einsprenkelungen in den Granitsteinen einen irisierenden Lichteindruck schufen. Da sich im Laufe der über fünftausend Jahre die Erdachse etwas verschoben habe, dürfte dieser Effekt früher noch größer gewesen sein als heute. Denn da müsste der Lichtstrahl direkt auf die hintere Kammerwand gefallen sein. Der Professor hatte in seinem Bericht vermerkt, sagte uns der Guide, dass der Lichtstrahl allmählich wieder schmaler geworden sei und ab 10.15 Uhr nur noch das spärliche Tageslicht in den engen Gang fiel.

Mir schien, als sei der tiefe Graben zwischen mir und den Menschen der Jungsteinzeit gar nicht mehr so tief. Die Botschaft ist doch überzeugend. Die Sonne schafft es! Sichtbar. Erfahrbar. Ab jetzt von Tag zu Tag mehr. Auf sie ist Verlass. Sie ist wieder im Kommen. Und mit ihr die Hoffnung. Nun wird wieder alles gut. Nässe, Kälte, Finsternis sind noch Realitäten, aber sie haben ihre Macht verloren. Die Tage werden wieder länger, und es wird heller werden. Und dann wird man das neue Leben sehen. Die Triebe, die Blüten. Ja, jetzt kann man es glauben: Die Sonne lässt uns nicht fallen.

Weihnachten? Um Gottes Willen!

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