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Kapitel 1:

Was man typischerweise mit „katholischer Sexualmoral“ verbindet

Ausgangspunkt und Widerlager aller theologischen Versuche in der jüngeren Vergangenheit, eine „tragfähige“1 oder gar „neue christliche“2 Sexualmoral oder Beziehungsethik gedanklich zu umreißen, ist die sogenannte katholische Sexualmoral. Obschon dieser Begriff theoretisch und normenlogisch durchaus unscharf ist, verbinden sich mit ihm ziemlich präzise inhaltliche, sprachliche und geltungsmäßige Vorstellungen. Als typische Merkmale gelten vor allem:

1.1 Ein Gefüge von konkreten Normen

Dargestellt finden kann man dieses Gefüge etwa in den zahlreichen älteren Beichtspiegeln, wo die konkreten Normen in der Form einfacher Tatfragen zur Gewissenserforschung bzw. zum Bekenntnis aneinandergereiht sind, z.B.: „Habe ich Unkeusches getan oder geschehen lassen? Allein oder mit anderen? Habe ich solches gelesen, darüber gesprochen oder unanständige Lieder gesungen? […]“3 In erneuerter und sogleich noch detaillierterer Gestalt findet man diesen Komplex beispielsweise im Katechismus der Katholischen Kirche von 1997. Dort wird im dritten Teil das „Leben in Christus“ abgehandelt und in einem Abschnitt desselben über die Zehn Gebote auch das sechste Gebot „Du sollst nicht die Ehe brechen“, dem die gesamte Sexualmoral zugeordnet wird.4

Nach den Verweisen auf wichtige biblische Aussagen hierzu (I) werden ausführlicher drei Bereiche thematisiert, nämlich die „Berufung zur Keuschheit“ (II), die „Eheliche Liebe“ (III) und „Verstöße gegen die Würde der Ehe“ (IV).

Unter den Verstößen gegen die Keuschheit werden aufgezählt: Unkeuschheit (als ungeregelte Geschlechtslust definiert), Masturbation, Unzucht, Pornographie, Prostitution, Vergewaltigung, sexuelle Handlungen unter Homosexuellen. Als verwerflich im Bereich der ehelichen Liebe werden Verstöße gegen die Haltung der Treue sowie alle Handlungen qualifiziert, die darauf abzielen, die Fortpflanzung zu verhindern (bzw. auch, sie mit technischen Mitteln herbeizuführen). Als „Verstöße gegen die Würde der Ehe“ werden Ehebruch, Ehescheidung, Polygamie, Inzest und das „Verhältnis“ (nichteheliche Beziehungen) genannt. Sexueller Missbrauch von anvertrauten Kindern und Jugendlichen wird sowohl bei der Vergewaltigung als auch beim Inzest ausdrücklich erwähnt und als Steigerung im Grad der Verwerflichkeit qualifiziert.

Inhaltlich zusammengebunden werden alle diese konkreten Normen durch zwei allgemeine Grundsätze, nämlich den Grundsatz der Keuschheit und den Grundsatz der Ganzheit der (Selbst-) Hingabe. Keuschheit wird als „Unversehrtheit der Person“ bzw. als unversehrte Bewahrung der in jedem Menschen „angelegten Lebens- und Liebeskräfte“ definiert. Unkeuschheit ist dementsprechend „ein ungeregelter Genuss der geschlechtlichen Lust oder ein ungeordnetes Verlangen nach ihr. Die Geschlechtslust ist dann ungeordnet, wenn sie um ihrer selbst willen angestrebt und dabei von ihrer inneren Hinordnung auf Weitergabe des Lebens und auf liebende Vereinigung losgelöst wird.“ Unter „Ganzheit der Hingabe“ versteht der Katechismus, dass die sexuelle Vereinigung ein vorbehaltloses gegenseitiges „Sich-Schenken“ der Gatten zum Ausdruck bringen soll. Das aber ist nur in der Ehe möglich bzw. die Ehe erscheint als die Erfüllung, als das Zeichen und das sakramentale Unterpfand dieser Hinordnung auf die leibliche Intimität der Gatten.

1.2 Die Form von Gesetzen

Moralische Verbindlichkeiten werden typischerweise in der Form von Vorschriften präsentiert, ganz in Analogie zu rechtlichen Sollensforderungen. Es handelt sich eben nicht nur um Ideale, denen nachzueifern ist, oder um Zielvorstellungen, also um Hinweise, nach welcher Richtung man sich mühen solle. Durch Verbote werden die Grenzen zwischen dem erlaubten und dem verbotenen Handeln unmissverständlich und oft auch rigoros markiert. Dabei handelt es sich also nicht nur um einen sprachlichen Duktus der inhaltlichen Forderungen, sondern um die Verwendung einer Begrifflichkeit, die mit Vorstellungen von Setzung, Vorgegebenheit, Unveränderlichkeit, Einhaltung von Regeln – unabhängig von der inneren Intention und individuellen Situation der Handelnden sowie objektiv feststellbarer Eindeutigkeit – in Zusammenhang gebracht und von daher interpretiert und verstanden wird. Dahinter steht theologisch die Gewissheit, dass sich der Wille Gottes mittels der gesetzlichen Bestimmungen fassen lässt.

1.3 Geltung aus Autorität

Die konkreten Normen treten im Modus autoritativer Sollensforderungen entgegen. Sie sind nicht primär darauf angelegt, bei den Adressaten Einsicht schaffen zu wollen oder an ihre Überzeugungen anzuschließen. Oft werden sie sogar ohne Begründung geltend gemacht. Eine solche gibt es zwar, aber sie ist nicht konstitutiv für den Geltungsanspruch. Entscheidend ist vielmehr die Autorität, die den Geltungsanspruch erhebt und ihn verbirgt. Das ist je nachdem das kirchliche Amt, die Lehre der Kirche oder die Einstimmigkeit und Beständigkeit der Tradition. „So hat es die Kirche immer verstanden und gelehrt“5, lautet dann die vorrangige Begründung, vor allen einzelnen Belegen, theologischen Reflexionen und sogar biblischen Referenzstellen. Gibt es solche (wie im Falle der Homosexualität), dann werden diese zumeist ungeschichtlich, also in ihrem Wortlaut und so, wie sie einem Leser unmittelbar zugänglich sind, genommen und nicht auf dem Hintergrund ihres historischen Kontextes verstanden und in aus ihm sich erschließenden Gründen.

Das erwartete sittliche Verhalten derer, die diese Normen zur Kenntnis nehmen, ist, dass sie ihnen Folge leisten. Weder auf die Bemühung um ein eigenes Urteil noch auf den Eigenentscheid zum Handeln kommt es vorrangig an, sondern auf die gehorsame Annahme, sofern die Normen für den Einzelnen nicht aus eigener Einsicht einsehbar sind. Die Semantik vieler kirchlicher Dokumente zur Moral zielt darauf, Verhalten und Überzeugungen der Gläubigen durch institutionelle Weisungen zu binden.

Dazu passen auch die Bilder, mit denen sich die Kirche in nicht wenigen Dokumenten selbst bezeichnet, nämlich als „Mutter und Lehrmeisterin aller Völker“6, als „Wächterin und Auslegerin des gesamten Sittengesetzes“7 und als „Expertin der Menschlichkeit“8. Diese Bilder wollen gerade keine begrifflich exakte Ekklesiologie umreißen, die sich Zug um Zug auslegen ließe, sondern wählen den symbolischen Code der Metaphern. Gleichwohl können auch Metaphern gegenüber den Gläubigen Überlegenheit und Unanfechtbarkeit signalisieren.

1.4 Thema Scheitern – Fehlanzeige

Sexualmoralische Normen wollen dem sexuellen Verhalten und den intimen Beziehungen von Menschen Ausrichtung und Gestalt geben, nicht ihre Realität erfassen und beschreiben. Von daher eignet ihnen von vornherein der Charakter der Idealität: Sie skizzieren eine Wirklichkeit, wie sie sein sollte. Interessant bleibt indessen die Frage, welcher Platz der Abweichung und dem Nichteinhalten bestimmter konkreter Normen im normativen Setting zugewiesen wird.

Hier ist die Tradition sehr rasch mit der Kategorie der Sünde, sogar mit der der schweren Sünde zugange, während der Katechismus dieses Wort vermeidet und stattdessen lieber von „Verstößen“ spricht. Abgesehen von der Frage, ob das Kriterium der Übertretung einer gesetzlichen Norm schon ausreicht, um „Sünde“ zu diagnostizieren, weil hierfür auch die Innenseite des Täters (Einsicht, in der Lage dazu sein usw.) relevant ist, stellt sich doch allem voran die Frage, ob außer der Schuld nicht auch andere Möglichkeiten der Nichteinhaltung bestehen, die gerade nicht intendiert und gewollt ist, sondern sich aufnötigt und erlitten wird. Beziehungen sind wie viele andere Projekte im Verlauf eines menschlichen Lebens nicht immer erfolgreich und beinhalten auch bei sorgfältiger Prüfung, anfänglicher Zuneigung und viel gutem Willen psychische und psychosoziale Risikofaktoren, die nicht oder nur zum Teil der Kontrolle und Steuerung der Partner unterliegen. Zu diesen Risikofaktoren gehören beispielsweise Rollenmuster, generationenübergreifende Konstellationen, Wiederholungen verletzenden und schädigenden Verhaltens. Schuldigwerden und Scheitern müssen also nicht moralisch strikt unterschieden werden, sondern können im konkreten Fall miteinander vielfach verwickelt sein.

In der traditionellen katholischen Sexualmoral kommt die Möglichkeit des Scheiterns jedoch so gut wie nicht vor. Es wird zwar mit einzelnen Fällen gerechnet, in denen eine Trennung gerechtfertigt ist, und auch damit, dass die Anteile des Verschuldens zwischen den Partnern ungleich sein können, aber in beiden Fällen muss vom Fortbestand des Ehebandes ausgegangen werden.9 Das Scheitern als Resultat einer gemeinsamen Entwicklung, die als Ehe intendiert war, ist gar kein Thema, genauso wenig wie das Scheitern einer Beziehung, die zwar als „Verhältnis“ begonnen hat, aber nie zu einer Ehe wurde.

Ehe, Partnerschaft, Sexualität

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