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2.1 Diskrepanzen

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Die Antworten auf die vom Vatikan im Herbst 2013 weltweit in Umlauf gebrachte Umfrage zur Vorbereitung der Familiensynode zeigten in unbezweifelbarer Deutlichkeit, dass vor allem die offiziellen Standpunkte zu vorehelichen sexuellen Beziehungen, zur Verhütung, zum Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener vom Empfang der Sakramente sowie zu Homosexualität und homosexuellen Partnerschaften bei den Katholiken, die sich die Mühe gemacht haben zu antworten, auf wenig Verständnis stoßen oder sogar ausdrücklich abgelehnt werden.1 Sie werden in den Kommentaren als Baustein einer Sexualmoral wahrgenommen, die als „lebensfern“, als in ihrer Begründung nicht mehr überzeugend oder schlichtweg „veraltet“ empfunden sowie als irrelevant für die eigene Lebensführung bekannt wird.2 Diese Ergebnisse, aufgenommen und veröffentlicht in der ausführlichen Zusammenfassung der Deutschen Bischofskonferenz, bestätigen damit ein weiteres Mal die ausgeprägten Diskrepanzen zwischen der Lehre und dem gelebten Ethos im Feld der Sexualmoral. So gut wie alle empirischen Untersuchungen der letzten 50 Jahre zeigten diese Diskrepanz zwischen den amtlich vertretenen Positionen und der Praxis eines abweichenden Großteils der Katholiken, die davon überzeugt sind, dass es richtig und verantwortbar sei so zu handeln.3

Sie besteht freilich nicht in allen Punkten der Sexualmoral, etwa nicht bei der Verurteilung von Vergewaltigung, Ehebruch und Inzest. In Fragen wie Empfängnisverhütung und Wiederverheiratung nach dem Scheitern einer Ehe aber fallen sie besonders deutlich aus und gehören insgesamt zu den stärksten Diskrepanzen im Bereich der kirchlichen Glaubenslehre.

Bei der beschriebenen Diskrepanz handelt es sich nicht nur um eine Kluft zwischen der subjektiven Erkenntnis des moralisch Richtigen einiger Gläubiger und ihrem Handeln, sondern vielmehr um die Dissonanz zwischen der Erkenntnis vieler, was moralisch richtig ist, und offiziell vertretener Normen, was richtig bzw. falsch sei. Als 1968 die Enzyklika Humanae vitae die damals aufgekommenen Methoden der hormonellen Empfängnisverhütung verurteilte, wurde die Diskrepanz zum ersten Mal in dieser Ausgeprägtheit und mit einer solchen Wucht sichtbar, dass nicht nur prominente Theologen, sondern auch Bischöfe und ganze Bischofskonferenzen in vielen Ländern pastorale Erklärungen verfassten, in denen individuelle Konfliktlösungswege aufgezeigt wurden und die Bischöfe sich selber und ihren Mitarbeitern hinsichtlich der Einforderung der betreffenden Verbote Zurückhaltung auferlegten. Diese spezielle Frage verursacht deshalb im Alltagsleben der Gemeinden und Familien heute keine großen Konflikte mehr, zumal Seelsorger und Gläubige gleichzeitig Übereinstimmungen im moralisch Grundsätzlichen – verantwortete Elternschaft, Schutz des vorgeburtlichen Lebens, Kinderfreundlichkeit, Dankbarkeit für die Gabe des Lebens – sehen.

Gleichwohl ist der fortschwelende Konflikt ekklesiologisch unbefriedigend und Ausgangspunkt für viele weitere Konflikte um Personen und Meinungen. Bei der Praxis der Prüfung der Loyalität von Anwärtern für höhere Ämter (Bischöfe, Professoren) ist die Affirmation zur Position von Humanae vitae nach wie vor ein entscheidendes Kriterium. Untergründig ist das Beharren auf der offiziellen Position der Ausgangspunkt für tiefe Entfremdungen und Enttäuschungen. Dies konnte man vor allem im Zusammenhang mit der Frage der Bekämpfung von Aids hierzulande und in armen Ländern immer wieder beobachten.

Von amtlicher Seite wird der Hinweis auf die tiefe Diskrepanz zwischen kirchlicherseits vertretenen Normen und der Lebenspraxis von Katholiken manchmal mit dem Argument relativiert, bei Normen bleibe immer eine Differenz zwischen Forderung und Befolgung offen. Auch jede Rechtsnorm werde in einem bestimmten Umfang und mit einer gewissen Häufigkeit verletzt (man denke an Parkverbote oder Geschwindigkeitsbegrenzungen). Das stimmt; und doch ist diese Analogie verharmlosend. Nicht nur, dass sich der moralischen Nichtbefolgung nicht mit Strafmandaten und Überwachungskameras auf den Leib rücken lässt. Vielmehr geht es eben gar nicht nur um die stets vorhandene Differenz zwischen Normativität und Faktizität, sondern um die Dissonanz zwischen mit existenziellem Ernst gelebten Überzeugungen der vielen, die so handeln zu dürfen bzw. sogar zu sollen glauben, und den Standards einer Lehre, die in ihrem Sinn und Grund nicht oder nicht mehr eingesehen werden kann. Der Bruch – man könnte sogar von einer „Spaltung“ (griechisch: Schisma) reden – reicht also viel tiefer und betrifft nicht nur das äußerliche Verhalten, sondern auch die moralischen Einsichten, Erfahrungen und Überzeugungen, die für die Lebensführung so etwas wie Fixpunkte sind. Das Sich-Abfinden mit dieser Diskrepanz auf Dauer jedenfalls ist bedenklich und könnte als Sturheit und Lernverweigerung verstanden werden. Die Diskrepanz wird auch nicht kleiner oder unsichtbarer, wenn Theologen, die auf sie aufmerksam machen und Überlegungen anstellen, wie sie verkleinert werden könnte, mit Strafen rechnen müssen.

Ehe, Partnerschaft, Sexualität

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