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Kapitel 6

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31. Januar 1997

Doktor Diego Schwarzstein erinnert sich noch genau an den ersten Termin. Es war der 31. Januar 1997, sein Geburtstag und der Tag, an dem er Lionel kennenlernte, der zu diesem Zeitpunkt neuneinhalb Jahre alt war. Die Eltern waren besorgt über das langsame Wachstum ihres dritten Sohns und hatten ihn deshalb in das Sprechzimmer des Doktors in der Klinik für Hormon- und innere Medizin gebracht, in der Córdoba 1764 in Rosario Centro.

„Es war eines dieser Gespräche über Kleinwüchsigkeit, die ich jeden Tag reihenweise führe“, erinnert sich der Arzt. Leo war kein Star, kein namhafter Fußballer und noch nicht einmal ein Profi, sondern einfach nur ein Jugendspieler bei Newell’s. „Und ich bin Zeit meines Lebens ein Fan der Aussätzigen gewesen [das beweist auch ein Foto seines Sohnes, das sich unter der Glassscheibe auf seinem Schreibtisch befindet und bei einem Spiel entstand, in dem die Rot-Schwarzen ein Tor gegen die Boca Juniors erzielten]. So konnte ich eine vertrauensvolle Beziehung mit dem Patienten aufbauen. Wir unterhielten uns immer über Fußball. Das war das einzige Gesprächsthema, mit dem man die Schüchternheit des Jungen besiegen konnte.“

Es folgten etliche Termine, Studien, die über ein Jahr dauerten, komplizierte Untersuchungen, biochemische Analysen und Klinikaufenthalte. „Denn nur durch Untersuchungen können wir herausfinden, ob wir es mit einem Hormonproblem zu tun haben oder ob es sich bei dem Patienten ganz einfach um einen ‚Spätentwickler‘ handelt, also um ein Kind, dessen Wachstumsrhythmus von dem seiner Altersgenossen abweicht und das sich eben später entwickelt.“ Bei Messi gelangte der Arzt schließlich zur Diagnose Wachstumshormonmangel.

Schwarzstein erklärt, was das genau bedeutet: „Die Drüsen produzieren nicht genügend Wachstumshormone. Man kann das vergleichen mit einem Diabetiker, dessen Bauchspeicheldrüse nicht ausreichend Insulin herstellt, nur dass es hier die Substanz ist, die man zum Wachsen braucht, die nicht ausreichend produziert wird. Außerdem stellen Diabetiker etwa sieben Prozent der Weltbevölkerung, während Messis Störung nicht besonders häufig vorkommt. Statistisch gesehen ist nur einer von 20 Millionen Menschen betroffen. Und man muss ganz besonders darauf hinweisen, dass es nicht erblich ist. Sehen Sie sich nur Leos Brüder oder seine Schwester María Sol an, die ausgesprochen groß ist.“ Wie nahm Leo die Neuigkeiten auf? „Ich entsinne mich, dass er eine sehr gesunde Einstellung zu seiner Krankheit hatte“, sagt der Doktor. „Er ließ sämtliche Tests – selbst die heftigsten Eingriffe – und die Therapie ohne größere Probleme über sich ergehen. Seine Familie hat ihm sehr dabei geholfen. Eine erstklassige Familie.“

Nachdem das Problem erst einmal erkannt war, begann der Endokrinologe ein Behandlungsprogramm mit Wachstumshormonen. Bei dieser Behandlung erhält der Patient drei bis sechs Jahre lang täglich eine Spritze in die Haut, bis sein Entwicklungszustand zufriedenstellend ist.

Wie kann man die Entwicklung überprüfen? Wie kann man das Wachstumspotenzial ermitteln? Nun – mit Röntgenbildern der Hand. Der Arzt zeigt mir Beispiele aus verschiedenen Entwicklungsstadien: mit neun, zehn, elf bis zu achtzehn Jahren. Er deutet auf den Zwischenraum zwischen zwei Knochen und erklärt, dass der Patient die Grenze erreicht hat, sobald diese Lücke verschwunden ist. Von da an wird er nicht mehr weiterwachsen. Er fügt hinzu: „Wir können die Gene nicht besiegen, aber wir können ihnen bei Schwierigkeiten auf die Sprünge helfen. Ich muss noch betonen, dass ein natürlicher Mangel an Wachstumshormonen ein Leben lang anhält. Deshalb ist ein Eingreifen notwendig.“

In Messis Fall handelte es sich keineswegs um ein Experiment. Anders als mal geschrieben wurde, war er mitnichten eine Laborratte. Der Doktor reagiert richtig angefressen auf das Thema und betont mit Nachdruck: „Das war nie ein Experiment. Man setzt seit vielen Jahren in solchen Fällen Wachstumshormone ein, genauer gesagt schon seit 30 Jahren. Damals stellte man das Wachstumshormon aus den Hirnanhangdrüsen von Verstorbenen her, riskierte dabei aber eine Infektion mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Seit Mitte der 1980er Jahre produziert man es mit gentechnischen Verfahren. Die langfristigen Nebenwirkungen sind unbekannt. Aber bisher haben wir bei unseren Patienten keine Probleme feststellen können – auch nicht in Messis Fall, wo der Einsatz dringend geboten war.“

Weshalb sind Wachstumshormone dann ein solches Tabuthema, und weshalb zählen sie zu den am häufigsten benutzen Präparaten beim Sport-doping?

„Verabreicht man sie einem Erwachsenen, der keinen Mangel aufweist, dienen Wachstumshormone als anaboles Steroid zum Aufbau von Muskelmasse und zur Reduktion von Fettgewebe. Damit wird die körperliche Leistungsfähigkeit erhöht“, erklärt mir der Arzt. Allerdings sind die Gesundheitsrisiken extrem hoch: Flüssigkeitsansammlungen, Schilddrüsenüberfunktion, hoher Blutzuckerspiegel oder Schädelüberdruck können die Folge sein. Es besteht außerdem ein erhöhtes Krebsrisiko.

Am Ende unseres Gesprächs bleibt noch die Frage nach den Kosten für die Behandlung, die sich auf bis zu 600.000 argentinische Pesos, also etwa 100.000 bis 125.000 Euro, belaufen können. Es handelt sich um eine erhebliche Summe Geld, die ein guter Grund für den Aufbruch der Familie Messi in Richtung Spanien gewesen sein mag. Schließlich war der FC Barcelona der einzige Verein, der zur Übernahme dieser Kosten bereit war.

„Mir ist diese von den Medien kolportierte Geschichte, dass der Vater Messi außer Landes brachte, weil hier niemand für die Behandlung aufkommen wollte, immer ein Dorn im Auge gewesen. Es ist nicht gesagt, dass dem wirklich so war. Die Sozialversicherung des Vaters kümmerte sich gemeinsam mit dem Fürsorgefonds des Acindar-Werkes um die Behandlung. Es ist also zweifelhaft, dass sie aus diesem Grund das Land verließen. Hier in Argentinien wird die Behandlung entweder von der privaten Krankenversicherung oder einer durch den Arbeitgeber finanzierten privatrechtlichen Krankenversicherung übernommen, sofern die Eltern dort Mitglied sind. Sind sie es nicht, kommt das Programa Médico Obligatorio [das öffentliche, steuerfinanzierte Gesundheitssystem] für die Kosten auf. Ansonsten gibt es auch noch den nationalen Beratungsausschuss für Kinder mit Wachstumshormondefiziten, der seit 1991 eine kostenlose Behandlung ermöglicht.“

Diese Version steht in deutlichem Gegensatz zur Darstellung der Familie Messi. Vater Jorge zufolge stoppten die private Krankenversicherung und der Fürsorgefonds des Acindar-Werks bereits nach zwei Jahren die Übernahme der gesamten Behandlungskosten. Angesichts der Fortschritte des Kindes waren die Funktionäre von Newell’s zunächst einverstanden, einen Teil der Kosten zu tragen, nämlich für jede zweite Spritze. Aber schließlich kamen die Zahlungen immer später an. „Wir sind so oft dort gewesen, um nach dem Geld zu fragen, bis meine Frau schließlich zu mir sagte: ‚Ich werde nicht länger bitten.‘ Und genauso geschah es dann auch“, sagt Jorge, der alles dafür tat, eine Lösung für das Problem zu finden.

Jorge Messi erinnert sich: „River Plate hatte ein Büro in Rosario eingerichtet. Das war eine Chance für den Jungen und auch eine Möglichkeit, Druck auf Newell’s zu machen. Wir fuhren zu einem Probetraining nach Buenos Aires, und Leo trainierte in Belgrano [Stadtteil von Buenos Aires, in dem River Plate beheimatet ist] mit. Als sie ihn für ein erstes Spiel auf den Platz schickten, erkannten sie seinen Wert und dass er mehr als nur ein kleines Kind war. ‚Wir wollen ihn haben‘, sagten sie mir, ‚aber nur, wenn du die Bürokratie für uns erledigst und Newell’s dazu bringst, ihn gehen zu lassen.‘ Anders ausgedrückt: Die wollten keinen Ärger mit Newell’s. Also passierte nichts. Newell’s bekam Wind von der Sache und bat mich, ihn dort zu lassen. Sie machten weitere Versprechungen. Und dann kam Barcelona …“

Nachdem wir nun etwas mehr Klarheit in die Sache gebracht haben, wird erkennbar, dass sich die Messis und Schwarzstein zumindest in einem Punkt einig sind: „Der Wachstumshormonmangel und seine Behandlung sind lediglich eine Randnotiz – wirklich entscheidend sind die fußballerischen Fähigkeiten des Jungen.“ An dieser Stelle erhebt sich der Arzt aus seinem Sessel, schreitet in seinem Arbeitszimmer auf und ab und gibt eine Reihe von Reflexionen eines leidenschaftlichen Fußballanhängers von sich. Mit großer Inbrunst redet er über Sprintstärke, über Ballkontrolle und über „Leos Grenzen, die niemand so wirklich erkennen kann; und dann sind da noch die porteños, die Einwohner von Buenos Aires, die neidisch auf einen Spieler sind, der so gut wie nie die Hauptstadt betreten hat. Hierzulande ist es für den Erfolg nämlich unabdingbar, dass man für eine der großen Mannschaften aus Buenos Aires spielt. Man nehme nur Batistuta – der kam zwar auch von Newell’s, wurde aber in Argentinien erst berühmt, als er zu Boca ging.“

Wir lassen den Fußball nun für einen Moment Fußball sein und gehen noch einmal einen Schritt zurück. Die Behandlung mit den Wachstumshormonen mag in der Tat nur eine Randnotiz sein, aber man sehe sich nur einmal einen in La Capital erschienenen Artikel an, dessen Überschrift lautet: „Sie wollen Messis Medizin für ihre Kinder.“ Im Text heißt es weiter: „Seitdem Messis Behandlung öffentlich geworden ist, hat sich das Wachstumshormon für viele Menschen in den ‚Zaubertrank‘ verwandelt, der kleine Kinder groß werden lässt. Viele Eltern machen sich bei einer kleinen Statur große Sorgen. Das gilt besonders dann, wenn die Kinder in die Vorschule kommen und mit anderen verglichen werden. So ein Vergleich aber ist niemals gesund, weil das gewöhnliche Wachstum sehr unterschiedlich verläuft. In den meisten Fällen hat eine kleine Statur genetische Ursachen oder sie muss auf Mangelernährung in den ersten beiden Lebensjahren oder ein verzögertes Wachstum zurückgeführt werden (für das es keine spezielle Therapie gibt). Dennoch verlangen viele Eltern von ihren Kinderärzten die gleiche Behandlung, wie sie Leo Messi zuteil wurde.“

„Daran sieht man, welche negativen Folgen es haben kann, die medizinische Behandlung eines berühmten Fußballspielers über die Medien zu verbreiten, nämlich Fehlinterpretationen durch Eltern und die Bevölkerung im Allgemeinen“, hält der Doktor entgegen. „Das alles wäre nicht passiert, wenn die Sache die Vertraulichkeitsebene zwischen Arzt, Patient und Eltern nie verlassen hätte. Es ist meine Pflicht, darauf hinzuweisen, dass diese besondere medizinische Behandlung, die überdies noch viel kostet, bei Kindern ohne Hormonmangel nichts bringt. Für diejenigen, die wie Leo wirklich an einem solchen Mangel leiden, ist sie allerdings zwingend notwendig. Deshalb bekam er seit 1998 auch diese Behandlung. Nachdem die Therapie in Barcelona fortgesetzt wurde, misst er nun 1,69 Meter. Ohne diese Hilfe hätte er seine von den Genen eigentlich vorgesehene Größe nicht erreicht.“

Messi

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