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Kapitel Fünfzehn

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Aus zwei der Fenstern im ersten Stock der alten Gutsvilla drang noch Licht. Sie gehörten zum Büro des Gutsverwalters, wo der kalabrische Geschäftsführer Carrera zusammen mit einem zweiten Mann trotz der weit fortgeschrittenen Nachtstunde noch arbeiteten. Auf dem grossen Sitzungstisch in der Mitte des Raumes standen eine fast leere Flasche Rot-wein und zwei gefüllte Gläser. Dazwischen lagen mehrere Papierstapel.

Carrera hatte das Jackett seines grauen Anzugs über eine Stuhllehne geworfen. Klein und gedrungen von Gestalt, spannten im Fitnesscenter gestählte Muskeln sein blütenweißes Businesshemd so fest, dass man befürchten musste, bei der kleinsten Bewegung würden einige Knöpfe durch die Luft springen oder sich ein Riss im Ärmel öffnen. Auf dem gedrungenen und leicht übergewichtigen Körper saß ein feister Kopf mit schmalen Lippen, runden Wangen und einer knolligen Nase. Die lebhaften, Intelligenz und Emotionalität signalisierenden Augen erschienen unter den buschigen, schwarzen Augenbrauen kleiner, als sie waren. Mit dem wie abgezirkelt wirkenden Haarkranz unterhalb der im Licht der Bürolampe glänzenden Glatze bekam die ganze Gestalt etwas Mönchisches.

Der andere Mann im Raum stand am Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Er trug einen hellen Sommeranzug, der offensichtlich nicht von der Stange war. Die Haut wirkte gegerbt wie die von jemandem, der sein Leben lang draußen im Feld gearbeitet hatte - ein Widerspruch zum Maßanzug und dem fein geschnittenen Gesicht mit den markanten Wangenknochen und der scharf konturierten, leicht gebogenen Nase, die ihm ein aristokratisches Aussehen verliehen. Don Felice war der Verwaltungsratspräsident und formelle Besitzer des Landguts San Vicente, das seine Familie schon über Generationen hinweg bewirtschaftete.

„Wir sollten uns in nächster Zeit etwas zurückhalten“, sagte Don Felice nach langem Schweigen. Sein Dialekt wies ihn unverkennbar als Ur-Toscano aus. Er hielt einen Stapel zusammengehefteter Dokumente in der einen Hand. Seine randlose Brille hatte er auf die Stirn geschoben, während er mit dem Zeigefinger der anderen Hand einer lange Zahlenkolonne auf einem der Papiere entlangfuhr.

„Ich habe kein gutes Gefühl“, ergänzte er, mehr zu sich selbst als an seinen Gesprächspartner gerichtet. „Solange die Brennerachse so intensiv kontrolliert wird, ist mir das Risiko einfach zu groß.“

Carrera starrte auf die vor ihm auf dem Tisch liegenden Papiere und sagte eine Weile nichts. Er legte missmutig die Stirn in Falten und presste die Lippen zu einem Strich zusammen.

„Scheiß-EU“, murmelte er schließlich vor sich hin. „Bevor wir den Schengenraum hatten, war es einfacher, trotz der vielen Grenzkontrollen. Man wusste, wer wann wo kontrollierte, und konnte entsprechend handeln.“

„Mag sein. Aber wir müssen uns den veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Wir dürfen kein Risiko mehr eingehen.“

Don Felice drehte sich wieder zum Fenster und schien in die Nacht hinaus zu starren. Zwar vermochte er im nachtschwarzen Gelände aus dem hell erleuchteten Zimmer heraus nichts zu erkennen, doch im Spiegelbild des Fensterglases konnte er Carrera am Tisch beobachten.

„Es steht diesmal zu viel auf dem Spiel“, fuhr er fort, ohne sich umzudrehen. „Zuerst müssen wir mehr über die Absichten der neuen Regierung wissen. Wenn wir uns geschickt positionieren, könnten wir vom politischen Chaos sogar profitieren. Ich will kein Risiko mehr. Mein Ruf und derjenige von San Vicente stehen auf dem Spiel. Wir warten ab, bis wir sehen, woher der Wind weht.“

Der Kalabrese drehte kaum merklich den Kopf und blickte mit seinen Knopfaugen kurz zu Don Felice hinüber. Hätte dieser inzwischen nicht wieder in seinen Papieren geblättert, sondern den Blick des Kalabresen aufgefangen, hätte ihn der kurze Blickkontakt vielleicht gewarnt. Er hätte aus dem abschätzigen Blick lesen können, was der Kalabrese in diesem Moment dachte: Dass Don Felice offensichtlich schwach wurde. Dass er Probleme zwar erkannte, sie aber nicht mehr zu lösen vermochte. Und dass er aus Sicht der Organisation wohl nicht mehr vertrauenswürdig war.

Jetzt stand auch der Kalabrese auf und massierte sich mit einem leisen Stöhnen den vom langen Sitzen schmerzenden Rücken. Mit hinter dem Kopf verschränkten Händen machte Carrera ein paar Dehnungsübungen, bei denen seine Gelenke vernehmlich knackten.

„Mach dir nicht in die Hosen. Wir warten nicht mehr länger“, sagte er schließlich in einem herrischen Ton. „Wir müssen endlich wieder liefern. Unsere Abnehmer werden ungeduldig. Wir haben schon die letzten beiden Lieferungen zurückgehalten. Die Tanks sind voll.“

Er setzte sich wieder an den Tisch und schlug mit der geballten Faust auf die Tischplatte.

„Schluss mit der Diskussion. Wir erwarten heute Nacht die nächste Lieferung. Und wir werden sie so rasch wie möglich verarbeiten und weiterleiten. So wie es abgemacht war.“

Sie wussten beide, wie sich trotz Schengenraum die Risiken der Zoll- und Finanzkontrollen verändert hatten. In den letzten paar Wochen war kaum ein Lastwagen mehr unkontrolliert von Italien nach Deutschland gekommen. Natürlich fahndeten die Trupps der Grenzpolizei in erster Linie nach Migranten, die auf der Südroute durch Italien nach Deutschland zu gelangen versuchten. Tanklastwagen waren in dieser Hinsicht weniger verdächtig als geschlossene Großtransporter oder Aufleger mit Containern, da sich hier Migranten kaum verstecken konnten. Dennoch waren zuletzt gleich mehrere Transporte aus San Vicente in Österreich, einmal sogar in Deutschland gestoppt und kontrolliert worden. In einem Fall hatten die Beamten Stichproben der Ladung entnommen. Es hatte einiges an finanziellem und intellektuellem Aufwand gebraucht, um die in einem der Zolldepots gelagerten Proben zu finden und auszutauschen, ehe sie an ein Labor der Grenzbehörden weitergeleitet wurden. Natürlich verfügte die Organisation über exzellente Verbindungen. Doch auch das würde im aktuellen aufgeheizten Klima nicht mehr helfen. Sie mussten in der nächsten Zeit vorsichtiger sein. Don Felice verstand nicht, warum die Organisation, vertreten durch diesen massigen Kalabresen Carrera, das nicht begreifen wollte.

Er blickte zum Schreibtisch neben dem Sitzungstisch hin-über. Auf einem der drei großen Monitore war eine Karte Italiens zu sehen. Irgendwo südlich von Rom blinkte ein kleiner Punkt auf einer rot markierten Linie, welche die Autostrada anzeigte und den Bildschirm vom unteren bis zum oberen Rand, also von Kalabrien bis zur Lombardei, durchzog.

Carrera warf ebenfalls einen kurzen Blick auf den Bild-schirm.

„Schon wieder verspätet“, meinte er brummig. „Sie werden erst weit nach Mitternacht hier sein. Morgen früh müssen wir mischen und abfüllen. Wir können die Lieferung höchstens noch für weitere vierundzwanzig Stunden zurückhalten. Schon das wird uns ziemlich Geld kosten. Du kennst die Konventionalstrafen, die wir akzeptiert haben.“

Erneut streifte er mit einem kurzen Blick Don Felice, der nun vor der raumhohen Glastür zur Terrasse stand, die Hände tief in den Taschen seiner Anzugshose vergraben.

Carreras Stimme bekam einen drohenden Unterton.

„Versuche nicht, uns Steine in den Weg zu legen! Risiken gehören zum Geschäft. Wir haben sie immer großzügig abgegolten. Es bleibt, wie wir es vereinbart haben.“

Don Felice drehte sich um und blickte zu Carrera. Auch sei-ne Stimme wurde noch eine Spur bestimmter. „Die Risiken werden mir zu groß. San Vicente ist seit fünf Generationen Stammhaus meiner Familie. Ich bin euch weit entgegengekommen. Doch so kann und wird es nicht weitergehen.“

Carreras Gesicht war ausdruckslos, als er Don Felices Blick erwiderte.

„Halte dich an unsere Abmachungen!“, erwiderte er mit unüberhörbarer Schärfe. „Du hast unser Geld immer gerne genommen. Ohne den Vertrag und den Kredit wäre San Vicente pleite und der Ruf deiner Familie längst ruiniert.“

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