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Kapitel Eins

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Sie hatte nicht den Hauch einer Chance. Als sie auf der Plattform des Edelstahltanks stand und den Deckel öffnete, legte sich ihr eine Hand um den Hals und drückte ihren Kehlkopf zusammen. Ihr Schmerzensschrei glich einem leisen Krächzen, das sogleich in ein noch leiseres Röcheln überging.

Sie spürte einen großen Körper hinter sich. Aus dem Winkel ihrer in Panik aufgerissenen Augen sah sie, wie eine andere Hand den geöffneten Deckel des Tanks zur Seite schwenkte. Ohne den Druck auf ihren Hals zu lockern, griff die zweite Hand ihr rüde zwischen die Beine und hob sie in die Luft, als sei sie eine Strohpuppe. Ihr Kopf wurde nach unten in die Öffnung des Tanks gedrückt. Eine widerliche Duftwolke von ranzigem Olivenöl schlug ihr entgegen, und sie fiel kopfüber in den Tank.

Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert, die ihr jedoch wie eine Ewigkeit vorkamen. Der Tank war gut zur Hälfte gefüllt, und das Öl schwächte den Aufprall ihres Körpers am Tankboden ein wenig ab. Instinktiv versuchte sie sich aufzurichten, was in der stockfinsteren Enge nicht einfach war. Kopf und Schultern schmerzten höllisch. Doch ein gewaltiger Adrenalinschub verdrängte die Schmerzen. Es gelang ihr, sich so weit zu drehen, dass die Füße den Boden berührten und sie sich abstoßen konnte. Ihr Körper schoss nach oben, bis ihr Kopf wieder aus der stinkenden Brühe herausragte und sie ein wenig der Restluft im Tank in die schmerzenden Lungen pumpen konnte.

Eine Erinnerung an einen lange zurückliegende Schulung für die Mitarbeiter des Landguts schoss ihr durch den Kopf. Man hatte ihnen dort die Funktionen der riesigen, mehrere zehntausend Liter fassenden Edelstahltanks erklärt. Damals hatte ein neugieriger Teilnehmer gefragt, was zu tun sei, wenn eine Ratte oder ein anderes Tier in einen Tank fallen würde. Der Kursleiter hatte dem Fragenden über den Rand seiner Brille einen ironischen Blick zugeworfen.

„Wenn man im Olivenkeller die notwendige Sorgfalt walten lässt, fällt nichts und niemand irgendwo hinein“, meinte er nur. „Und falls doch“, fügte er hinzu, „ist das kein Problem.“ Da Olivenöl eine leicht geringere Dichte aufweise als Wasser, könne ein hineingefallenes Tier nicht schwimmen und würde sogleich zum Boden des Tanks absinken. Das gelte im Übrigen auch für Menschen.

„In Olivenöl zu schwimmen mag vielleicht der Haut gut tun“, war sein Schlusssatz, „aber man wird den Effekt nicht mehr genießen können.“

Ihr fiel ein, dass in den großen Tanks meist kleine Stahlleitern angebracht waren, damit man für die Reinigung und Wartung in den Tank hinuntersteigen konnte. Mit angehaltenem Atem tastete sie die Wände ab und fand die schmalen, an die Innenwand geschweißten Leiterstufen. Sie schaffte es, den Handlauf zu fassen und sich ein paar Stufen hinauf zu ziehen.

Obwohl ihre Ohren und Augen vom Öl verklebt waren, hörte sie, wie sich über ihr jemand am Tankdeckel zu schaffen machte. Der im Deckel eingelassene Einfüllstutzen öffnete sich, und für einen kurzen Moment konnte sie durch den öligen Film auf ihren Augen ein helles Licht sehen. Der Lichtfleck verschwand sogleich wieder, und sie hörte ein feines Klicken. Es kam vom Einfüllstutzen, über den das frisch gepresste oder angelieferte Olivenöl in die Tanks gepumpt wurde. Sekunden später verspürte sie den weichen Strahl des einströmenden Öls auf dem Kopf.

Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Die Luft im Tank wurde knapp. Vorsichtig tastete sie nach der kleinen Stablampe in ihrer Jeans. Zu ihrer Erleichterung war sie ihr beim Sturz nicht herausgefallen und funktionierte sogar noch. Rasch steckte sie die Lampe in den Mund, um die Hände frei zu haben. Ein paar Minuten noch konnte sie sich unter Todesangst von Stufe zu Stufe nach oben zum Tankdeckel ziehen, während das stetig einströmende Öl den Tank weiter auffüllte. Die faulig stinkende Olivenbrühe bedeckte bereits ihren Oberkörper und stieg Millimeter um Millimeter zu ihrem Kopf empor.

In Panik drückte sie den Kopf schräg gegen den Tankdeckel und begann mit den Fäusten gegen die Wand des Tanks zu hämmern, obschon sie wusste, dass niemand sie hören konnte. Und selbst wenn, würde das nichts ändern. Ihr Peiniger würde in Ruhe ihren Tod abwarten und den Deckel erst wieder öffnen, um ihre Leiche herauszuziehen.

Ein Gedanke blitzte in ihr auf. Etwa zehn Zentimeter unter dem Deckelverschluss sah sie im Licht ihrer Lampe das Sieb, das Verunreinigungen im einströmenden Öl auffangen sollte. Es war mit einem Spanner in der Zuflussöffnung fixiert, aber nicht verschraubt, wohl weil man es so einfacher herausziehen und reinigen konnte. Noch hatte sie genügend Kraft, um das Sieb aus seiner Halterung zu ziehen und auf den Boden des Tanks fallen zu lassen. Sie zog ihr mit Öl getränktes T-Shirt aus und stopfte es hastig in die nun frei liegende Zuflussöffnung, um den einströmenden Ölstrahl zu stoppen. Dann zog sie den Gürtel aus ihrer Hose. Sie tastete nach einem der als Ausstiegshilfe innen an der Tankwand angeschweißten Halterungen und band sich mit dem Gürtel daran fest.

Ihr Atem ging jetzt immer schneller. Schwindel erfasste sie. Die immer kleiner werdende Luftblase über ihr enthielt kaum noch Sauerstoff. Mit aller Kraft wehrte sie sich gegen die auf-kommende Ohnmacht. Wenn sie erst einmal das Bewusstsein verloren hatte, gab es kein Erwachen mehr. Ein unsinniger Gedanke schoss ihr durch den Kopf: „Hätten sie doch wenigstens gutes, nach frischem Gras oder Brombeeren riechendes Öl genommen, um mich umzubringen, anstatt mich in dieser stinkende Brühe zu ertränken.“

Ihre Armmuskeln begannen ob der Anstrengungen zu zittern. Die Füße rutschten von den schleimigen Stufen der Innenleiter, und die Hände lösten sich von den stählernen Handläufen. Die Lampe fiel ihr aus dem Mund und verschwand im schwarzen Öl. Einzig die Fixierung mit dem Gürtel verhinderte, dass sie in den finsteren Tank zurückglitt, als sie das Bewusstsein verlor.

Dass Sekunden später der Deckel wieder geöffnet wurde und ein Gesicht in den Tank lugte, nahm sie nicht mehr wahr. Auch nicht, dass jemand sie an den Schultern fasste, den verknoteten Gürtel löste und sie aus dem Öltank zog.

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