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Kapitel Achtzehn

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Als Don Felice nach dem Tod seines Vaters Besitz und Leitung des Landguts übernommen hatte, erkannte er rasch, dass die wirtschaftliche Situation San Vicentes ausgesprochen schwierig war. Das Gutshaus und die übrigen Gebäude des Betriebs benötigten dringend eine umfassende Sanierung. Die Revision der Buchhaltung zeigte einen in den vergangenen Jahren stetig rückläufigen Ertrag. Dafür wuchsen die Kosten mit jedem Betriebsjahr, trotz der in den Zahlen ersichtlichen Sparbemühungen. Und die auf den Bankauszügen ausgewiesene Liquidität war schon länger nicht mehr positiv gewesen. Er sah auch, dass die Hausbank die Betriebskredite schrittweise aufgestockt hatte.

Wie es um die finanzielle Situation der Familie und des Guts stand, hatte ihn zuvor nie interessiert. Er hatte das unbekümmerte Leben als Sohn wohlhabender Gutsbesitzer geführt, der sich nicht darum zu kümmern brauchte, wie sich das von Generation zu Generation weitergegebene Vermögen entwickelte. Nichts war Felice damals ferner gelegen als die Vorstellung, in den elterlichen Betrieb einzusteigen. Er wollte weg vom ländlichen, in seinen Augen langweiligen und spießigen Leben in der Toskana. Er ging nach Mailand, studierte Jura und erwarb sich das Anwaltspatent. Anschließend arbeitete er viele Jahre in einer renommierten Kanzlei in Bologna und heiratete die Tochter des Seniorpartners. Nach San Vicente kehrte er nur gelegentlich zurück, zu Familienfesten etwa oder um sich einige Tage von Lärm und Hektik der Großstadt zu erholen. Aber als viele Jahre später sein Vater erkrankte und in der Folge immer gebrechlicher wurde, kam er häufiger zurück nach San Vicente.

Schließlich musste er sich eingestehen, dass sein Vater die Leitung des Landguts nicht mehr selber ausüben konnte. Einen fähigen und loyalen Geschäftsführer für das Gut zu finden erwies sich als schwierig. So entschloss er sich, ganz nach San Vicente umzuziehen. Seine Frau zeigte wenig Lust, das turbulente Stadtleben gegen die Arbeit auf einem Landgut und das gesellschaftliche Umfeld der Provinz zu tauschen. Ihre Ehe bestand ohnehin nur noch auf dem Papier und wurde wenig später geschieden. Er trat aus der Kanzlei aus und kehrte in sein Elternhaus zurück. Wenige Monate später starb sein Vater, und damit ging die Verantwortung für Besitz und Betrieb von San Vicente endgültig auf ihn über.

Jeden Frühling fand in Verona eine große Landwirtschaftsmesse statt. Eine renommierte Fachzeitschrift prämierte an diesem Anlass jeweils feierlich die besten Winzer und Olivenölproduzenten des Landes. Die Messe war über die Jahre zu einem weitherum beachteten Anlass geworden, bei dem nebst den Produzenten auch Fachleute, Einkäufer und Journalisten aus dem ganzen Land zusammentrafen.

Auch Don Felice wurde zum regelmässigen Besucher dieser Messe. Nicht nur wegen der vielen Leute, die er dort in einem ungezwungenen Rahmen treffen konnte, oder der neuesten Informationen aus der italienischen Wein- und Olivenwelt. Der Kurztrip nach Verona war immer auch eine willkommene Abwechslung vom anstrengenden und meist ein wenig eintönigen Alltag eines toskanischen Winzers und Olivenbauers.

Als er vor vielen Jahren mit seinem Weinglas in der Hand im Gewimmel der Ausstellungshalle stand, stellte sich ihm wie zufällig ein untersetzter, in einen dunklen Anzug gekleideter Herr mittleren Alters vor. Nach kurzem Smalltalk über die Situation im Weinhandel und die letzte Olivenernte gab ihm sein Gesprächspartner eine Visitenkarte, die ihn als Rechtsanwalt auswies. Der Name auf der Karte sagte Don Felice nichts. Auch die Unternehmung, deren Anschrift auf einen Ort in Kalabrien schließen ließ, war ihm unbekannt. Das kleine, in die Karte integrierte Bild eines mit Oliven behangenen Zweigs ließ darauf schließen, dass die Firma wohl im Handel mit Olivenprodukten tätig war.

Wenige Tage nach Abschluss der Messe erhielt er einen An-ruf vom Avvocato. Er sei zufälligerweise in Siena und würde sich freuen, Don Felice zu einem Essen einladen zu dürfen. Nebenbei erwähnte er, dass er ihm auch einen Geschäftsvorschlag unterbreiten wolle, der Don Felice vielleicht interessieren würde.

Sie trafen sich in einem renommierten Restaurant nahe der Piazza del Campo. Beim Essen zeigte sich der Avvocato er-staunlich gut informiert über die Situation von San Vicente. Er eröffnete Felice, dass er über Möglichkeiten verfüge, allfällige finanzielle Probleme des Landguts zu lösen. Auf einem Blatt Papier, das er aus seiner Agenda herausriss, skizzierte er dem verblüfft zuhörenden Don Felice ein Finanzierungsangebot, das diesem fast die Sprache verschlug. Er brauchte nicht nachzurechnen, um zu erkennen, dass er damit alle seine finanziellen Probleme und auch die lästige Abhängigkeit von der Bank loswerden könnte.

Natürlich war er sich bewusst, dass das, was ihm der Anwalt vorschlug, viel zu gut klang, um wahr zu sein. Jede Leistung verlangte nach einer Gegenleistung. Das galt umso mehr, als sein Gegenüber und die von ihm vertretene Organisation in Süditalien beheimatet war.

„Warum machen Sie mir dieses Angebot? Und was erwarten Sie von mir als Gegenleistung?“ fragte er misstrauisch.

Der Avvocato kam ohne weitere Umschweife zum Punkt.

„Ich vertrete eine der grössten Olivenölfirmen in Süditalien. Wir sind auf der Suche nach verlässlichen Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten und gemeinsam wachsen können. Von Ihrem Landgut San Vicente haben wir viel Positives gehört.“

Seine Mandanten, führte er weiter aus, seien beeindruckt von der hohen Qualität seiner Produkte und dem seit Generationen erstklassigen Ruf, den die Marke San Vicente im In- und Ausland genieße.

„Wir haben auch gesehen, dass Ihre Olivenpresse über freie Kapazitäten verfügt. Unsere eigenen Fattorias in Apulien und Kalabrien sind ausgelastet. Angesichts der schwierigen politischen und rechtlichen Lage im Süden haben wir entschieden, nach zusätzlichen Kapazitäten für unsere Produkte im Norden des Landes und vor allem in der Toskana zu suchen.“

Nach der Veroneser Messe, auf der er ja die Ehre gehabt ha-be, Don Felice persönlich kennen zu lernen, habe er seinen Partnern von San Vicente und seinem Besitzer berichtet. Er sei dann beauftragt worden, mit ihm Kontakt aufzunehmen und eine mögliche Zusammenarbeit auszuloten.

„Selbstverständlich“, und hier hüstelte der Anwalt diskret, „haben wir uns auch nach den wirtschaftlichen Aspekten Ihres Olivenguts erkundigt. Dabei haben wir den Eindruck erhalten, dass die finanzielle Situation von San Vicente“, wieder zögerte er kurz, als suche er nach den treffenden Worten, „momentan etwas angespannt erscheint.“

Seine Organisation würde sich mit Vergnügen einerseits am wahrscheinlich ein wenig knappen Eigenkapital des Landguts beteiligen. Andererseits wäre man auch bereit, ihm einen Betriebskredit zu vorteilhaften Bedingungen einzuräumen. Mit frischem Kapital könnten nicht nur die Bankschulden abgelöst, sondern auch der Maschinenpark und die Infrastruktur modernisiert werden, so dass einem weiteren Wachstum nichts im Wege stünde.

„Und“, führte er weiter aus, „wenn aus der erwarteten Expansion des Geschäfts ein neuerlicher Kapitalbedarf entsteht, ist unsere Organisation in der Lage, die dazu benötigten finanziellen Ressourcen rasch und unkompliziert bereitzustellen“.

Er legte den kleinen Zettel mit den Eckwerten des Angebots vor Don Felice auf den Tisch.

„Es besteht keine Eile. Denken Sie einfach mal ein paar Tage über das Angebot nach. Ich bin mir sicher, gemeinsam könnten wir San Vicente in eine wieder erfolgreiche Zukunft führen!“

Später, auf der Heimfahrt, war Don Felice froh, dass auf der Strasse nicht mehr viel Verkehr war. Es fiel ihm schwer, sich auf die Fahrt zu konzentrieren. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab zum kleinen Zettel, den er in die Innentasche seines Jacketts gesteckt hatte.

Auch in den darauffolgenden Tagen konnte er an nichts anderes mehr denken. Natürlich war ihm klar, dass er ein Finanzierungsangebot einer süditalienischen Organisation, deren geschäftlicher Hintergrund trotz der Erläuterungen des Avvocato ziemlich wolkig blieb, eigentlich nicht annehmen durfte. Recherchen im Internet nährten in den nächsten Tagen seinen Verdacht, mit wem oder was er es hier zu tun hatte: mit einem Ableger der ´Ndrangheta, des kalabrischen Zweigs der Mafia. Das bestätigten ihm auch einige berufliche und private Kontakte, über die er zusätzliche Informationen zum Anwalt und der dubiosen Organisation einholte. Doch wenn er in seinem Büro saß, das Angebot der Kalabresen vor sich auf dem Tisch, und hinter sich im Wandschrank die langen Reihen der Ordner seiner Buchhaltung, voll mit Belegen und Zahlen, die den unaufhaltbaren Niedergang von San Vicente dokumentierten, fragte er sich, welche Alternativen ihm noch blieben.

Er kannte die Antwort.

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