Читать книгу EXTRA VERGINE - Luca DiPorreta - Страница 9

Kapitel Fünf

Оглавление

Die Abendsonne tauchte die Hafenanlagen von Gioia Tauro für ein paar Minuten in ein warmes Licht, bis der Sonnenuntergang die Industriezone in eine blaugraue Stahllandschaft aus riesigen Kränen und Containerbergen verwandelte. Einzig die Blumenkohlwolken am Horizont leuchteten noch eine Zeit lang in rasch wechselnden Schattierungen von Orange über Rot bis hin zu fast kitschig anmutenden violetten Pastelltönen. Im ruhigen Meer vor dem Hafen begannen die Positionslichter der langen Kette von Schiffen zu blinken, die auf ihre Erlaubnis zum Einlaufen warteten.

Im größten Container- und Tankerhafen Italiens gingen mit dem Einbruch der Dämmerung die Flutlichter an. Hunderte von Scheinwerfern tauchten Kräne, Brücken und die Türme aus gestapelten Containern in gleißendes Licht. Auch die unzähligen Trucks, die genormte Container zu den Schiffen brachten oder von ihnen abholten, schalteten ihre Scheinwerfer ein. An den Quais beluden oder entluden an Giraffen erinnernde Kräne die mit armdicken Seilen an den Piers vertäuten Frachtschiffe. Ihr Quietschen beim Hin- und Herfahren vermischte sich mit dem dumpfen Brummen der Transportfahrzeuge und dem Surren der Generatoren auf den Schiffen.

Mit dem Sonnenuntergang setzte eine kühle Meeresbrise ein. Aber auch sie vermochte weder die über dem Hafen liegenden Schleier aus Ruß und Abgasen noch den penetranten Geruch des von den Schiffen verbrannten Schweröls zu vertreiben. Der vor mehr als einem halben Jahrhundert gebaute Hafen machte auf unbedarfte Betrachter trotz seines Alters keinen schlechten Eindruck. Der prekäre Zustand der bröckelnden Mauern, Quaianlagen und Gebäude, der Rost an den Auslegern der Kräne und die Schäden an den stinkenden und stotternden Dieselaggregaten waren erst beim genaueren Hinsehen zu erkennen. Nichts wies darauf hin, dass der Hafen schon während seines Baus im vergangenen Jahrhundert von der kalabrischen `Ndrangheta, der mächtigsten Mafiaorganisation in Süditalien, unterwandert worden war. Er blieb für sie bis heute einer der wichtigsten Umschlagplätze Italiens für Drogen, Waffen und Giftmüll.

An einem der Piers ganz hinten im Hafen schaukelte ein Tanker im öligen Brackwasser. Bug und Heck waren mit Stahlseilen an den Pollern vertäut. Auch auf diesem Schiff beleuchteten helle Scheinwerfer die Decks und die davor liegende Quaianlage. Ein Mann stand auf der Außenbrücke und bediente irgendwelche Steuergeräte. Der Ausleger eines Hafenkrans ragte über das Schiffsdeck hinaus. Dicke Rohre hingen bis zum Deck des Tankers hinunter. Arbeiter in gelben Overalls waren daran, die Rohre wieder einzuziehen und für den nächsten Entladungsvorgang zu fixieren, während zwei Matrosen auf dem Schiffsdeck die Stutzen der Tanks und die darüber liegenden Luken verschlossen.

Auf der Mole neben dem Schiff standen mehrere Tanklastwagen. Ihre Ladebrücken trugen grosse Flüssigkeitstanks. Auf keinem der fünfachsigen Trucks war ein Firmenname oder sonst ein Hinweis auf Besitzer oder Transportgut erkennbar. Einzig ein auf beiden Seiten jedes Tanks aufgemalter Olivenzweig voller schwarzer Oliven ließ ihren Inhalt erahnen und zeigte, dass die Fahrzeuge wohl alle zum gleichen Unternehmen gehörten. Alle Tankwagen waren im gleichen silbernen Farbton lackiert.

Ein schwarzer Toyota Land Cruiser mit abgedunkelten Scheiben stand vor dem Konvoi der Tankwagen, neben ihm eine Gruppe von Männern. Im Schatten der Bordwand tanzende rote Punkte zeigten, dass die meisten an einer Zigarette zogen, trotz des im ganzen Hafenareal geltenden Rauchverbots. Alle waren sie eher kleinwüchsig, mit von Sonne und Wind gegerbter Gesichtshaut, auf dem Kopf ein Wirrwarr von gekraustem schwarzem Haar. Sie unterhielten sich in einer Sprache, die nur der erfahrene Zuhörer einen Dialekt erkannt hätte, der nur noch in abgelegenen Bergtälern Kalabriens gesprochen wird.

Im Bürocontainer neben der Fahrspur öffnete sich eine Tür. Ein Lichtschein fiel auf die kleine Zugangstreppe, über die ein Mann auf die Mole hinunter trat und zum wartenden Lastwagenkonvoi ging. In der Hand hielt er ein Bündel Papiere. Noch bevor er beim vordersten Truck angekommen war, sah man ihn in Richtung der wartenden Männer den Daumen heben zum Zeichen, dass alles bereit sei.

Daraufhin erteilte einer aus der Gruppe den anderen eine Anweisung und wies mit der Hand zum Tor am Ende des Piers. Die Fahrer traten ihre Glimmstängel am Boden aus, gingen zu ihren Trucks und kletterten ins Cockpit der Zugfahrzeuge. Die Dieselmotoren starteten mit dumpfem Brummen, und die Lastwagen setzten sich einer nach dem anderen hinter dem schwarzen Toyota in Richtung Hafentor in Bewegung.

Zurück blieb das Tankschiff, dessen Name und Heimathafen man trotz der Hafenbeleuchtung schon nicht mehr lesen konnte. Im Neonlicht der Kommandobrücke waren die Um-risse eines Mannes erkennbar, der den in die Nacht entschwindenden Lastwagen nachblickte. Wahrscheinlich der Kapitän, dachte einer der Fahrer, dem Rückspiegel auf das Schiff blickte, dessen Ladung sie während der letzten Stunden in die Tanks ihrer Fahrzeuge gepumpt hatten.

Inzwischen war es Nacht geworden. Dank der unzähligen Scheinwerfer blieb es im Hafenareal hell wie am Tag. Als der Tankwagenkonvoi sich dem Gate näherte, trat ein uniformierter Wachmann aus dem Kontrollposten neben dem Tor. Er bedeutete mit seiner rot blinkenden Stablampe dem heranrollenden Führungsfahrzeug und damit dem ganzen nachfolgenden Konvoi zu stoppen.

Der Fahrer des Toyota streckte den Kopf aus dem Seitenfenster.

„Ciao Luigi, come va?“

„Non c’è male. Tutto bene.“

Ohne weitere Worte übergab der Wachmann dem Fahrer einen dünnen Ordner mit den Frachtdokumenten. Im Gegenzug erhielt er ein Couvert, das er kurz zwischen den Fingern rieb, als wolle er den Inhalt prüfen. Er quittierte den Empfang des Couverts mit einem kurzen Nicken, ohne auch nur einen Blick hinein zu werfen, und ließ es sogleich in seinem Uniformrock verschwinden. Mit einem Handsender aktivierte er die hydraulischen Motoren, die ratternd und quietschend das breite Hafentor zu öffnen begannen.

„Buon viaggio. A presto!“

Er tippte kurz an seine Mütze und verfolgte, wie die Tankwagen einer nach dem andern anrollten und hinter dem Führungsfahrzeug hinaus in die Nacht fuhren. Mit einem scheppernden Ton schloss sich das eiserne Tor hinter dem letzten Fahrzeug des Konvois.

Jenseits des Gates war, wie so oft im Süden Italiens, die Straßenbeleuchtung ausgefallen, und die roten Schlusslichter der Tankwagen wurden rasch von der Dunkelheit verschluckt. Einen Moment noch hing ein feiner Geruch aus Treibstoff und Abgasen der Dieselmotoren in der Luft, der sich aber rasch mit den vielen anderen Gerüchen des Industriehafens vermischte.

EXTRA VERGINE

Подняться наверх