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2.3 Kontinentale Tiefbohrung (KTB) und Geomorphologie

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Im Zuge des bisher umfangreichsten geowissenschaftlichen Großprojektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG, dem Projekt „Kontinentale Tiefbohrung (KTB)“ wurde die Verknüpfung von Thermochronologie und Geomorphologie systematisch angegangen. Nach mehrjährigen Voruntersuchungen in verschiedenen für die Tiefbohrung infrage kommenden Regionen, darunter die „Zone Erbendorf-Vohenstrauß“ (ZEV) in der Oberpfalz, der kristalline Schwarzwald und das Hohe Venn, fiel die Entscheidung auf einen Standort in der ZEV zwischen Windisch-Eschenbach und Erbendorf (Abb. 2.7). Der Standort liegt nur wenige Kilometer südlich der Erbendorf-Linie, die hier die Grenze zwischen Saxothuringikum und Moldanubikum darstellt, aber in der als Deckenrest des Tepla-Barrandiums aufgefassten ZEV. Die Hoffnung, eine Deckengrenze zu durchteufen, erfüllte sich nicht. Aufgrund des in Flachbohrungen festgestellten erniedrigten geothermischen Gradienten sowie neuartiger Bohrtechniken, die eine Bohrung in bis zu 300 °C heißes Gestein ermöglichen sollten, wurde die tiefste Bohrung der Welt mit ungefähr 14 Kilometer Teufe (bisher 12,8 Kilometer auf der Halbinsel Kola) erhofft. Bedauerlicherweise wurde im Vorfeld nicht berücksichtigt, was Geomorphologen wussten: Die obersten mehrere Hundert Meter der Erdkruste haben wegen der schlechten thermischen Leitfähigkeit von Gesteinen noch ein „Gedächtnis“ an das Eiszeitalter und sind daher noch unterkühlt. Ab etwa 1000 Meter Teufe herrscht aber mit 28 °C/km ein Gradient, der dem durchschnittlichen Gradienten in Mitteleuropa (ca. 30 °C/km) sehr nahekommt. Es wurde also nicht die tiefste aller Bohrungen, aber immerhin die heißeste: Bei 265 °C Gesteinstemperatur in 9101 Meter Tiefe wurde die Bohrung schließlich eingestellt. Damit wurde etwa die Mindesttemperatur der Niedrig-Temperatur-Metamorphose in situ erreicht.

Sowohl die Bohrkerne der Vorbohrung und der Hauptbohrung als auch die Umfelduntersuchungen stellten ein „Paradies“ für die Thermochronologie und ihre Verknüpfung mit der Geomorphologie dar. Bevor die in diesem Zusammenhang relevanten Ergebnisse in Grundzügen dargestellt werden können, müssen aber einige Grundlagen und Überlegungen zur Thermochronometrie vorausgestellt werden, insbesondere auch deshalb weil die Thermochronologie trotz ihres revolutionären Potenzials bisher in geomorphologischen Lehrbüchern kaum und in deutschsprachigen überhaupt nicht dargestellt wird.


Abb. 2.7 Lage und Umfeldgeologie der Kontinentalen Tiefbohrung (KTB; aus Duyster 1995).

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Die KTB sorgte für manche Überraschungen. Die erste war die durch unerwartet steile Lagerung bedingte relativ einheitliche Gesteinsabfolge aus Paragneisen, Amphiboliten und Metagneisen (Metabasiten) und deren Wechselfolgen. Nicht unerwartet war hingegen die Durchbohrung des „SE1-Reflektors“ in 7 Kilometer Tiefe, der die Fortsetzung der wenige Kilometer südwestlich an der Oberfläche ausstreichenden Fränkischen Linie darstellt. Eine weitere war die von den Erwartungen auffällig abweichende Tiefenverteilung der Apatit-Spaltspur-Alter (Abb. 2.8)

Für Spaltspuren in Titanit konnte eine Schließungstemperatur von etwa 310 °C und für die Lage der Partiellen Ausheil-Zone (PAZ) zwischen etwa 265 °C und 310 °C abgeleitet werden (Coyle & Wagner 1998). Die Titanit-FT-Alter sind in der Abbildung 2.9 b gegen die Tiefe dargestellt. Dabei fällt auf: Bis 4000 Meter Tiefe zeigen die Alter keine Abnahme und deuten auf eine starke Abkühlung vor ungefähr 245 Millionen Jahren zu Beginn der Trias hin. Hinweise auf eine Kopplung mit Denudation ergeben sich aus der Existenz ausgedehnter triassischer Schwemmfächer südwestlich der Fränkischen Linie. Die Daten sprechen für eine spät- bis postkretazische Krustenstapelung durch Überschiebung(en). Ebenfalls gleichbleibende Alter zwischen 5500 und 7000 Meter Tiefe sprechen für ein weiteres Abkühlereignis vor etwa 100 Millionen Jahren während der Kreidezeit. Indizien für starke Denudation während der Oberkreide sind zum Teil sehr grobe oberkretazische Konglomerate im Hessenreuther Forst an der Fränkischen Linie sowie die Apatit-FT-Alter der obersten 2000 Meter (Abb. 2.8 a). Die Altersabnahme der Titanit-FT-Alter zwischen 4000 und 5500 Metern wird als fossile posttriassische PAZ interpretiert, die während der Oberkreide gehoben wurde. Demnach hat es zwischen der Trias und der Kreide kaum oder keine Denudation gegeben. Unterhalb von 7000 Meter (SE1-Reflektor) springen die Titanit-FT-Alter wieder von kretazisch auf triassisch infolge eines vertikalen Versatzes um 3000 Meter entlang des SE1-Reflektors (Fränkische Linie).

Ein genauerer Blick auf die Apatit-FT-Alter zeigt auch in diesem Abschnitt der Gesteinssäule Sprünge, visualisiert durch gerissene horizontale Linien (Abb. 2.8 b). In den obersten 2 Kilometern stellen die Apatit-FT-Alter ausweislich der Spurlängen Abkühlalter dar. Folglich können in diesem Abschnitt ebenfalls Störungen (Überschiebungen) vermutet werden, die in einem Stockwerk oberhalb der Apatit-PAZ (bis etwa 2 Kilometer Tiefe) aktiv waren und zu einer Krustenstapelung führten. Die Annahme, dass dies noch im Tertiär und vielleicht sogar im Quartär geschah, wird regionalgeologisch durch oligozäne Sedimente in Gräben und Senkungszonen sowie oberoligozän-untermiozän aktiven Vulkanismus gestützt (Zöller & Peterek 2012).

Aus den hier unter dem Gesichtspunkt der Oberflächenformen zusammengefassten Ergebnissen lässt sich folgendes Fazit ziehen: Die mesozoisch-känozoische Intraplattentektonik prägt die heutige Geomorphologie Mitteleuropas.


Abb. 2.8 a) Gesteinsfolge nach Duyster et al. (1995). b) Spaltspur-Alter der Kontinentalen Tiefbohrung KTB, links Apatit-Spaltspur-Alter und mittlere Spurlängen, rechts Titanit-Spaltspur-Alter (Peterek 2016, bearbeitet nach Coyle et al. 1995).


Abb. 2.9 Temperatur-Zeit-Pfad für die KTB. Der untere, der mittlere und der obere Block lagen vor etwa 250 Millionen Jahren noch im gleichen Krustenstockwerk unterhalb der PAZ von Titanit (> 310 °C). Eine erste Krustenstapelung erfolgte zu Beginn des Mesozoikums: Der untere und der mittlere Block erreichten die Titanit-PAZ, während der obere Block bereits darunter auskühlte (< 265 °C). In der Oberkreidezeit (ab ca. 100 Millionen Jahre) und im Alttertiär (bis vor ca. 25 Millionen Jahren) erfolgte eine weitere Stapelung und Abkühlung, wodurch Teile des oberen Blockes mehr als die Apatit-PAZ (60 °C) abkühlten (Peterek 2016, bearbeitet nach Coyle & Wagner 1995).

„Da aber die Geomorphologie die Gestalt der Erde vom historischen und genetischen Gesichtspunkt studiert, kann sie nur zusammen mit stratigraphischen, faziellen und tektonischen Untersuchungen konkretisiert werden. Von geomorphologischer Forschung kann also nur dann die Rede sein, wenn die Untersuchung der Formen sich mit dem Komplex der geologischen Erkennung homogenisiert“ (Moldvay 1973, S. 479).

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