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DAS NESTHÄKCHEN

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Ich bin das Nesthäkchen unserer Familie und zehn Jahre jünger als meine älteste Schwester. Als es mit meiner Geburt losgeht, steht meine Mutter gerade am Waschtrog und wäscht unsere Wäsche. Dabei platzt ihr die Fruchtblase. „Marlene, Eleonora, Annedore, kommt schnell her! Ihr müsst sofort zum Stahlwerk laufen und euren Vater holen!“

Tapfer rennen sie über die Stahlwerkbrücke und erzählen dem Pförtner, was passiert ist. „Wir sollen auch noch sagen, dass Vati gleich den Krankenwagen bestellen muss“, fügen sie aufgeregt hinzu.

In den ersten Jahren bin ich ziemlich oft krank. Als ich das erste Mal ins Krankenhaus muss, habe ich massiven Durchfall. Zuvor wurde meine Mutter vom Arzt ausgeschimpft, weil sie seiner Meinung nach viel zu spät in seine Praxis kam. „Mit Wasserverlust bei einem Kleinkind ist nicht zu spaßen, Frau Wedding“, sagt er streng.

Das zweite Mal komme ich ins Krankenhaus, weil meine Mandeln raus sollen. Ich habe andauernd Fieber und Atembeschwerden. Dabei ziehe ich die Luft geräuschvoll wie ein Asthmakranker ein und stoße sie ebenso laut wieder aus. Meine Schwestern machen mir in dem Fall ein Dampfbad und schieben meinen Kopf erbarmungslos über eine Schüssel mit heißem Wasser. Dann wird noch ein dickes Handtuch über Kopf und Schüssel gelegt, und ich habe das Gefühl zu ersticken. Der Dampf beißt mir in Nase und Augen. Doch meine Schwestern halten mich mit eiserner Hand fest. Nach einer Weile wird es erträglicher und meine Atemwege werden frei. „So, weil du so schön brav gewesen bist, bekommst du eine ganze Schüssel Pudding für dich alleine“, sagen sie.

Der Löffel liegt griffbereit in der Schüssel. Ich brauche nur noch zuzugreifen. Voller Erwartung stecke ich ihn mit dem Pudding in den Mund. Statt des wunderbaren Puddinggeschmacks schmecke ich aber etwas widerlich Bitteres und fange an zu würgen.

„Runterschlucken!", befehlen mir meine Schwestern.

Wie konnte ich nur denken, sie würden mir ohne Hintergedanken Pudding schenken? Und dann noch eine ganze Schüssel für mich alleine. Diese wundervolle Süßspeise mit Medikamenten zu versauen, ist ja wohl das Letzte.

Ich muss mich des Öfteren mit solchen Infekten rumplagen. Deshalb beschließt der Arzt: „Die Mandeln müssen raus!“

Nun sitze ich mutterseelenallein in einem sterilen Krankenhauszimmer. Neben mir liegt ein etwas älterer Junge, der mir ständig die roten Schuhe meiner Puppe klaut und sie dann auch noch zu seinem Schniedelwutz in den Schlüpfer steckt. Wie eklig! Außerdem übernimmt er das Regiment über uns beide. Was ihm in den Sinn kommt, das muss gemacht werden. Wenn ich nicht willig bin, schnappt er mich und trägt mich einfach in der ganzen Kinderabteilung umher.

Meine Schwestern finden das natürlich niedlich: „Ramona hat einen kleinen Freund und der trägt sie sogar auf Händen.“

„Hahaha!“, sage ich da nur.

Die Operation ist auch nicht witzig. Eine grobe Schwester nimmt mich auf den Schoß. Ich sehe fast gar nichts, weil es erst dunkel ist und mich dann ein furchtbar grelles Licht blendet. Die Schwester klemmt ihr rechtes Bein um meine Beine, und meinen Oberkörper hat sie ebenfalls fest im Griff. Ich soll den Mund weit öffnen. Ein Mann im weißen Kittel, von dem das grelle Licht kommt, sitzt mir gegenüber. Er greift mir zweimal mit einer Art Zange in den Mund und reißt mir ratzfatz die Mandeln aus der Kehle. Ich spucke ziemlich viel Blut.

Nach der Operation geht es zurück ins Zimmer. Der blöde Kerl aus dem Nachbarbett ist immer noch da und grinst mich besitzergreifend an. Wenigstens gibt es am nächsten Tag leckeres Eis in Hülle und Fülle.

Die Ratte kommt

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