Читать книгу Mails von Marge - Margrit Lange - Страница 13

Belorado - Atapuerca

Оглавление

Am nächsten Morgen pieselte es. Irgendwie wussten wir noch nicht wie wir weiter vorankommen. Wolfgang packte mal wieder alles ein, muss ein Spiel sein, komme noch dahinter. Beim Frühstück beobachteten wir die Pilger, die sich ihre Regenjacken anzogen oder in widerspenstige Regencapes pellten. Der Rucksack wurde mit der Regenhülle bedacht und mürrisch verließen sie die Herberge. Nur ein älterer Herr ging nicht. Es war Josef, er sei so kaputt von der gestrigen Strecke, schlug die Hände vors Gesicht und meinte, er könne heute einfach nicht laufen. Er hätte ein Taxi bestellt. Taxi? – Taxi?, bei diesem Wort funkte mein Gehirn: Mitfahren!! Wir boten Josef gern eine Dreierteilung des Fahrpreises an. Nach einiger Wartezeit kam ein Wagen und wir verstauten glücklich unsere Rucksäcke. Nun sollte es von Belorado bis San Juan de Ortega 24,8 km mit dem Auto vorwärtsgehen.

Bevor wir losfuhren, tauchte noch ein Frankfurter Ehepaar, auch so um und bei sechzig, auf. Das Paar und Josef hatten in Domingo de la Calzada mit den jungen Frauen an dem Nebentisch gesessen. Sie hatte kurze dunkelrot gefärbte Haare und ungefähr meine ”Figur“. Er trug Schnurrbart und hatte kein Gramm Fett zu viel auf den Rippen, der wusste überhaupt nicht, was Speckröllchen sind, na doch - vom Anschauen. Die Frankfurterin beklagte sich darüber, dass er nie vor 8.30 Uhr aus dem Bett findet. So kämen sie immer viel zu spät los und würden dann immer über die Mittagszeit hinaus laufen. Sie war den Camino schon einmal alleine gelaufen und wollte jetzt mit ihrem Mann gehen. So richtig Lust hatte er aber sowieso nicht, auch täten ihm die Schultern vom Rucksack weh. Er schnallte sich frustriert sein Gepäck um. Jetzt sah man auch, warum sein Körper jammerte. Er zog die Bauchriegel nicht richtig fest, so trug er das Gewicht nicht auf den Hüften, sondern die Belastung lag auf den armen mageren Schultern. Na ja, Hüften hatte er ja auch nicht. Josef und wir machen ihn darauf aufmerksam, dass er die Gurte festziehen muss. Wir schickten sie mit dem üblichen Buen camino auf den nassen Weg.

Nun aber zurück zum Taxi. Es ging mit dem Auto hinauf und hinunter, hier eine kurvige Straße, dort ein büsschen Serpentinen und wir fuhren lange – längere – noch längere Zeit. Im Kopf zählte ich schon mal das Geld, was wir noch übrig hatten. Na, ob das reichte? Für eine 10 Minutenfahrt hatten wir ja 20,-- € gezahlt. Beschließe ein gelassenes Gesicht aufzulegen und die Aussicht zu genießen. Wir landeten an der Kirche San Juan de Ortega. Der Taxifahrer nennt den Preis, ich fragte sicherheitshalber noch einmal nach – 35,00 €? Durch die Fahrt hatten wir uns nicht nur die 24,8 km, sondern auch einen Anstieg von 770 m auf 1.160 m erspart.

Die kleine Kirche lud mich zum Eintreten ein, gerne nahm ich die Gelegenheit für unsere drei Kinder je eine Kerze anzuzünden wahr. Endlich wieder warmes flackerndes Licht. Draußen war es aber noch recht kühl, der Regen hatte sich verzogen. Josef meinte, er würde noch eine kleine Strecke laufen. Das taten wir auch. Es ging erst über Waldwege und später durch eine Weidelandschaft mit vielen Bäumen. Hatte mir oft auf dem Weg Bäume als Schattenspender gewünscht, die Sonne schien aber nicht und man brauchte keinen Schatten. Dafür waren die Bäume heute mal da.

Wir pilgerten locker die 3,7 km nach Agés und weitere 2,6 km bis Atapuerca. Auf diesem Stück schoss Wolfgang ein heftiger Schmerz in das linke Bein. Bei jedem Abwärtslaufen fragte ich ihn, ob es noch ginge. Er erwiderte nur – ja, es geht. Gut, dass wir den Tag nur so wenig gelaufen waren.

In Atapuerca angekommen liefen wir an einem Restaurant vorbei, dass ungewohnt nobel aussieht und stießen dann auf die Albergue El Peregrino (natürlich nicht nobel). Es warteten schon mehrere Pilger auf die Öffnung der Herberge, es ist erst 11.30 Uhr und sie würden um 14.00 Uhr öffnen. Habitatión doble war auch im Angebot. Josef kam um die Ecke, er möchte auch ein Zimmer für sich und nicht in ein Sechserzimmer. Josef und ich beschlossen den Ort nach anderen Unterkünften, Hostals oder Hotels, zu durchstreifen. Wolfgang blieb dort als ”Platzhalter“ an der Albergue sitzen.

Versteckt hinter der Kirche entdeckten wir das Papasol, ein Hotel mit Restaurant. Drückten unsere Nasen an den Butzenscheiben platt, sah nett aus. Im Inneren wuselte eine Frau herum, auf dem Schild war die Öffnungszeit 13.30 Uhr angegeben, ich ließ meinen Rucksack bei Josef vor dem Hotel liegen um Wolfgang zu holen. Gemeinsam trabten wir zum Hotel, da saß Josef am Spielplatz vor der Kirche. Ihm war es oben zu kalt geworden. Die Sonne hatte immer noch ihre Auszeit und es wehte ein kalter Wind.

Wolfgang gesellte seinen Rucksack zu Josefs und meinem Gepäck vor dem Eingang. Auf einer Holzbank ließen wir uns nieder, ich schaute zur Seite. Dort gab es einen Bretterverschlag mit dem Hinweis Albergue, da möchte ich nicht hinein. Nach längerer Zeit kam ein Auto vorgefahren und lud Gepäckstücke aus. Das war bestimmt das Gepäck der französischen Luxuspilger. Ich nutzte die Gelegenheit, um nach freien Zimmern zu fragen. Die Frau, die uns bereits vor einer Stunde gesehen hatte meinte nur ”Komplete“, aber Albergue wäre noch frei. Och – nö.

Wir liefen mit Josefs Rucksack bewaffnet zurück, sammelten ihn auf dem Weg ein und stellten fest, dass die Frau uns das ja gleich hätte mitteilen können, als sie uns kommen sah. Wieder an der Herberge angelangt, quakte gerade eine Frau: Wer ist denn hier der Letzte, aber man muss doch sagen können, wer der Letzte war. Das ginge hier schließlich nach Reihenfolge. Inzwischen sind die beiden Blondies (nenn sie ab jetzt so, habe vergessen woher sie kamen und ich habe nur einen Namen gehört, innerlich waren sie nicht ”blond“) die in S.D.d.l.Calzada mit Josef am Tisch saßen, auch hier gelandet. Sie wären in einen Bus gestiegen (also fuhr doch ein Bus), mitten in der Pampa mussten sie aussteigen, warum wussten sie auch nicht. Hatten telefonisch ein Taxi geordert und mussten nur für die Anfahrt des Taxis schon 17,00 € bezahlen.

Mit der Öffnungszeit der Albergue schob auch die Sonne ihre Wolkengardinen beiseite und holte nach, was sie bisher verschlafen hatte. Mit dem Schlüsselrasseln sprangen alle auf, um ja einen Schlafplatz zu bekommen. Geduldig warteten Josef und ich bis wir als Letzte dran sind. Wir bekamen unser Doppelzimmer, Josef nutzte die Kunst des Überredens und erhielt auch alleine ein Doppelzimmer. Wir kamen in ein Extrahaus, wo es nicht nur fünf Doppelzimmer, sondern auch eine Küche und ein Esszimmer gab. Das Zimmer von uns war groß genug zum ”Auspacken“, leider gab es in der Albergue weder Essen noch Trinken.

Schnell waren die üblichen Ankommrituale, duschen – waschen, erledigt und wir durchstreiften den Ort. In einer Bar, gemeinsam mit den Blondies, erfrischten wir uns auch innerlich. Zurück im Garten der Albergue, in der Zwischenzeit ausgebucht, waren die Sitzmöglichkeiten knapp. Setzte mich in den Schatten hinter dem Haus zu Josef auf die Holzbank. Er trug die üblichen Pilgersandalen und meinte, nun täten ihm nicht nur die Beine weh, nein, er hatte auch an der Spitze des mittleren Zehs eine fiese Blase. Er hätte den Fehler gemacht und war vorm Pilgern bei der Fußpflegerin gewesen. Das sah man, seine Zehennägel waren tief im Nagelbett abgefräst. Die dicke Blase scheuerte bestimmt bei jedem Schritt.

Ich erzählte ihm, dass ich bei einer Pilgersendung im Fernsehen gesehen hätte, wie eine Blase mit einer Nadel und Faden durchstochen worden war. Ich fragte Josef, ob ich das bei seinem Fuß machen soll. Seine sanften Augen unter dem gewellten Silberhaar schauten mich bittend an: „Ja tu es.“ Yippie, ich hatte ein Opfer. Geschwind holte ich mein Peregrino-Besteck. Desinfizierte Nadel und Faden und bat Josef mich in den Arm zu kneifen, wenn ich jetzt sage. Das lenke den Schmerz ab, hätte bei meinen Kindern auch immer geklappt. ”Jetzt“, ich durchstach den Zeh, schnitt den Faden ab und wir beobachteten mit zwischen den Beinen herunterhängenden Köpfen, wie der Suppsch am Faden aus der Blase tropfte. Josef sah mich zufrieden an und meinte, er hätte nichts gespürt.

Da wir uns nun schon mal im Krankenlager befanden, erzählte Wolfgang, dass seine Wade ab und an schmerzen würde. Nun war Josef dran, er habe von seinem Arzt extra dafür Pillen mitbekommen, denn seine Beine würden auch immer wehtun. Er holte für Wolfgang eine dunkelrote Kapsel, die er dann schluckte. Ein junger Kölner mit kurzen gekringelten Löckchen berichtete, er hätte auch Probleme mit seinem einen Bein. Er hätte seine Mutter, die Ärztin sei, angerufen und sie habe ihm gesagt er solle sich Diclofinac besorgen. Genau das hatte Josef Wolfgang gegeben. Ich schrieb mir den Namen des Medikaments auf, damit wir es am nächsten Tag besorgen könnten.

Da die Herberge ein sogenanntes Trockendock war, beschlossen die Blondies, Josef und wir, noch in das Lokal am Anfang des Ortes zu gehen. Die Blondies trugen immer einheitliche T-Shirts, hatten längere, ”natürlich“ blonde Haare und waren so ca. 35 Jahre jung. Die schlankere Blondie hatte ein stark geschwollenes, bandagiertes Knie. Sie meinte, ihr Meniskus mache ihr schwer zu schaffen. Wir zogen zu dem Nobellokal, um dort unseren Flüssigkeitshaushalt aufzufüllen. Auf der Terrasse bediente El Camarero freundlichst eine italienische Familie am Nebentisch, sie hatten zuvor im Innenraum gesessen und gegessen. Wir hatten nicht gegessen, wollten nur trinken und wurden unfreundlichst eher nicht bedient. Unsere Störung, wir wollten bezahlen, empfand er wohl als Dreistigkeit. Nach uns knallte er die Glastür zu und schloss ab. Hatte er Angst, wir würden in der Albergue von dem Lokal erzählen und es kämen noch mehr Pilger? Da konnte er völlig sorgenfrei den Abend erwarten, denn in diesem Lokal würden wir bestimmt nicht essen wollen.

In der Albergue waren auch die ”Brünetties“, vom Nebentisch in S.D.d.l.Calzada, gelandet, fehlten nur noch die Frankfurter, aber die kamen nicht. Wir wollten gemeinsam ein Pilgermenu einnehmen. Beim Verlassen der Herberge meinte die schlanke Blondie irgendetwas von föhnen. Mein Unterkiefer ruckte tiefer: Du schleppst einen Föhn mit? Ja, im letzten Jahr wären sie auch einen Teil des Jakobsweges gelaufen, es war immer kalt und hätte ständig geregnet. Das verstand ich schon, aber ich hatte sogar auf Haarfestiger verzichtet, was man meiner Pusteblume schon ansah.

Josef, die Blondies, die Brünetties und wir landeten vor einem nett aussehenden, rustikalen Lokal, eine einzelne Frau schloss sich uns an. Es war 18.50 Uhr, das Lokal sollte um 19.00 Uhr öffnen. Wir, ich hatte endlich Smoke-Gefährtinnen, rauchten eine.

Plötzlich kam ein Pilger, er nächtigte auch in der Albergue, aus dem Restaurant gestürmt und regte sich darüber auf, dass er zehn Minuten gewartet hatte und keiner ihn bediente. Er zog wütend ab und wir um 19.00 Uhr in das Lokal. Tja, wer lesen kann, ist im Vorteil. Es war klein und gemütlich, aus großen Steinen gemauert und mit viel Nippes dekoriert. Schauten uns im Gastraum um, es standen zwei Vierertische und ein größerer Tisch im vorderen Raum. Der Größere war mit Coca-Cola Flaschen und Gläser, Brot und Brotkrümel belegt. Artig warteten wir, bis uns eine Sitzgelegenheit zugewiesen wurde. In Sekundenschnelle hatte der junge - äh, gut aussehende Camarero – eine sogenannte Rarität – den großen Tisch abgeräumt, mit neuer Tischdecke, Gläsern, Tellern und Besteck eingedeckt. Sie hatten ihren eigenen Tisch für uns geräumt.

Mit acht Personen nahmen wir Platz, nett, wenn nur dieses wie überall übliche Riesen-LED-TV-Gerät nicht so laut plärren würde. Als außer uns keiner im Raum war, bog ich meinen Oberkörper zur Seite um an die Fernbedienung zu kommen und das Gerät etwas leiser zu stellen. Schade, leider kam doch einer, guckte mich in meiner schiefen Haltung und dann die Fernbedienung an. Nahm sie und stellte den Fernseher aus. So konnten wir uns doch unterhalten.

Der gut beleibte Besitzer kam, um die Bestellungen aufzunehmen, er erklärte den Pollo mit Hahnenkamm und Pogewackel, den Stier mit den Metal-Hörnern und schwamm eine Runde für den Fisch, bei dem letzten zur Auswahl stehenden Essen war er ratlos. Fast alle entschieden sich für die Suppe als Vorspeise. Wir erfuhren, dass der Josef 71 Jahre alt ist und aus München kommt und verheiratet ist. Er war in Saint-Pied-de-Port gestartet und möchte den ganzen Weg gehen. Die Blondies, hatten jetzt beide ein Glitzer-Shirt an, wollten bis León gehen. Die Brünetties sind verheiratet und liefen immer 14 Tage, mehr würden die Familien nicht zulassen.

Ich warf in den Raum, was sie denn dazu bringen würde zu laufen, mich hätte dieser Zwang noch nicht wirklich erreicht. Oh – da hatte ich ja was gesagt, es ging ein Ruck durch die Körper und sechs Augenpaare starrten mich an. Nur Wolfgang betrachtete seinen Teller. Josef begann, wenn er morgens startet, ist sein Körper voller Freude und will los. Die Brünetties gingen immer getrennt und fühlen sich während des Pilgerns völlig frei. Die Blondies gingen zusammen und fühlten wie Energie in sie ströme. Die Frau, die sich uns angeschlossen hatte, ca. Mitte der Vierzig, meinte, sie wäre im vorigen Jahr mit Ihrem Mann den Weg gegangen, hätte viel abgenommen und ginge jetzt alleine. Sie war so voller Traurigkeit, keiner fragte weiter nach.

Es wurde uns eine kräftige Bohnensuppe serviert. Der Wirt zeigte uns gestenreich, dass wir für den nächsten Tag nun eine Portion Extra-Speed hätten. Die schlanke Frau meinte nur, das könne sie nicht essen und löffelte nur die Brühe. Wir anderen hauten rein, schöpften pure Energie. Das nicht mit dem Körper erklärbare Hauptgericht entpuppte sich als Cordon bleu. Das Gespräch ging weiter übers Wandern, alle stellten fest, dass sie entweder morgens oder abends Magnesium zu sich nahmen. Ach nee, nun war ja alles klar, sie pfiffen sich täglich die Drogen rein und ich nahm nämlich nix. Da hatten wir den feinen Unterschied der Motivation auch geklärt.

Die allein reisende Frau, war schon frühzeitig zur Albergue gegangen. Wir zahlten, es wurde eine Klingel herausgesucht und damit geläutet, denn Trinkgeld ist hier nicht üblich. Josef, die Blondies und wir wollten noch einen Absacker in einer Bar zu uns nehmen. Die Brünetties gingen lieber schon schlafen. In der Bar hatte sich der ganze Ort mit Kind und Kegel versammelt. Der übliche Fernseher war hier nicht ausgeschaltet und trug zur Geräuschkulisse bei. Wir bestellten uns fünf Pacharan und erhielten in rasantem Tempo die gut gefüllten Gläser. Eine Frau schob ihren Kinderwagen hinter der Theke in einen Raum, gefiel ihr wohl nicht so, kam mit dem Wagen wieder heraus und versuchte es auf der anderen Seite. Vielleicht sollte ich noch anmerken, dass es in der Bar ziemlich eng war.

Der Wirt bediente alleine, er hatte die üblichen – ich arbeite viel und oft die Nacht durch Triefaugen – er litt an ausgedehnten Geheimratsecken, als Ausgleich trug er einen spitteligen Zopf. Fröhlich tanzte er mit den Gläsern und Flaschen hinter der Theke, wischte sich kurz die Schweißperlen von der Stirn und wedelte mit den Händen nach dem Motto – hey, will hier keiner mehr etwas zu trinken? Lachte witzelte dabei fortwährend mit seinen Gästen. Die pure Lebenslust quirlte nur so durch den vollen Raum. Da wir ja am nächsten Tag wieder ein Date mit unseren Wanderschuhen hatten, bezahlten wir unsere Longdrinks. Oh man, nun hüpfte der Wirt aber erst richtig und haute kräftig gegen die Glocke über der Theke. Er hatte 50 Cent Trinkgeld bekommen. Nun aber ab in Bett. War es der Wein oder der Pacharan, ich schlief sehr gut.

Mails von Marge

Подняться наверх